Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Freitag, 21. Juni 2024

"CITIZEN X" (1995) - zum Tode von Donald Sutherland





Gestern, am 20.06.2024, wurde bekannt, dass die kanadische Schauspielerlegende Donald Sutherland ("Invasion Of The Body Snatchers", "Wenn die Gondeln Trauer tragen", "Die Tribute von Panem") im  Alter von 88 Jahren verstorben ist.  Eine seiner eindrucksvollsten Rollen spielte er 1995 in "Citizen X" - von diesem bemerkenswerten TV -Film wollen wir an dieser Stelle berichten.


Donald Sutherland grandios ambivalent als Oberst Fetisow in "Citizen X" - für die Darstellung gewann er den Emmy und den Golden Globe als bester Nebendarsteller




Dieser vielfach preisgekrönte, teils bewegende, hochspannende Fernsehfilm nach Tatsachen (Regie und Buch Chris Gerolmo), zeigt mustergültig die Unterdrückung von Menschen, die unter der Diktatur, hier dem Sowjetkommunismus, leben müssen und die entsetzlichen Folgen ideologischer Verblendung am Extrembeispiel einer legendären Polizei-Ermittlung die Geschichte schrieb.


Ein Mann kämpft allein: Oberst Burakow (furios: Stephen Rhea) jagt ein Phantom.



Es lohnt sich unter aktuellen Gesichtspunkten übrigens
zu beachten, dass Wladimir Putin, genau zu der Zeit, in der die Geschichte spielt, im Ausland als KGB-Agent aktiv war. Er dürfte von derselben extrem ideologisierten Geisteshaltung geprägt worden sein, die im Film dargestellt ist.


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Russland, Sowjetunion 1982:

In einem Waldgebiet, Lesopolosa, bei Rostow am Don, tauchen immer wieder auf unvorstellbare Weise verstümmelte Leichen auf. Immer junge Frauen oder kleine Kinder - beiderlei Geschlechts.

Mehrere von Ihnen verschwanden zuvor spurlos. Mehrere wurden in Begleitung eines unheimlichen, großgewachsenen Mannes gesehen.

Immer findet man sie in den Wäldern. Immer in der Nähe von Bahngleisen. Als die Fälle sich schließlich über die ganze Südukraine erstrecken, wird klar, dass es sich um ein Phänomen handeln muss, das es im kommunistischen Sowjetrussland eigentlich gar nicht geben darf, da es dem dekadenten kapitalistischen Westen zugeschrieben wird: Ein Serienmörder geht um….

Die Behörden sind alarmiert, die erste Mordkomission der Sowjetunion überhaupt wird – heimlich - eingerichtet. Da die Aufgabe niemand übernehmen will, wird der Forensiker Viktor Burakow (herausragend Stephen Rea), der keine Polizeierfahrung hat, mit der Leitung der Ermittlungen (zwangs-)betraut.


Burakow ahnt früh, wo der Mörder seine Opfer findet...


Diese Ermittlungen werden insgesamt 15 Jahre dauern, weil die Diktatur es so will, weil die Partei und Burakows wendegesichtiger Vorgesetzter Oberst Fetisow (furios: Donald Sutherland) aus ideologischen Gründen Ermittlungen in die falsche Richtung forcieren: Burakow soll lieber verfemte Homosexuelle jagen.

Den Durchbruch wird erst das erste Täterprofil der russischen Kriminalgeschichte, inoffiziell erstellt von dem Psychiater Bukanowksi (Max von Sydow), bringen, das er, ohne den Namen des Mörders zu kennen, mit „Staatsbürger X.“ überschreiben wird – und das Tauwetter der Perestroika…


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Das brillant recherchierte, feinsinnige Kriminal-Drama basiert auf dem Tatsachenbericht „The Killer Department“ von Robert Cullen , der auch selbst fließend Russisch spricht und alle Beteiligten später interviewte.

Es ist nicht nur eine grandiose Milieubeschreibung der zerfallenden Sowjetunion und ihrer Menschen, sondern auch das unerträglich spannende Protokoll einer Täterjagd.

Mehr als zwölf Jahre lang, immer wieder behindert durch die unfassbaren bürokratischen Hemmnisse des Kommunismus, folgten der frühere Forensiker Viktor Burakow und später auch sein Vorgesetzter Mikhail Fetisow so aufopferungsvoll wie unbeirrt der Spur des Mannes, den die Presse später den „Rostow Ripper“ nannte, bis sie ihn 1990 fassten und ihm einen Namen gaben:

Andrej Chikatilo.


Serienmörder Andrej Chikatilo


Ein ängstlich – neurotischer früherer Schullehrer der bereits 1986 auf einer Bahnstation aufgegriffen worden, und irrtümlich als Täter ausgeschlossen worden war, obschon sich in seiner Aktentasche ein Seil und ein Fleischermesser fanden – aufgrund einer falschen Blutgruppenanalyse, und weil die kommunistische Partei die Freilassung des Parteigenossen erzwang.

56 Menschen starben unter seinen Händen.


Ermordung eines Mörders: Andrej Chikatilo (eindrucksvoll: Jeffrey DeMunn) wird hingerichtet



Der brillante, stark gespielte halbdokumentarische Fernsehfilm des Senders HBO erzählt die schier unfassbare Geschichte der Jagd nach dem „Rostow Ripper“ hypnotisch und ohne jeden effektheischenden Sensationalismus nach.

Der Fokus liegt nicht auf Metzeleien oder Brutalitäten sondern auf der großen Tragik des Falles und der enormen Leistung des Ermittlungsbeamten Leutnant Burakow der den Täter ohne Hilfe und ohne Pause über mehr als eine Dekade (1978 – 1990) jagte und schließlich in die Falle lockte.




FBI-Legende John Douglas sollte später bewundernd sagen, Burakow sei der einzige Mensch auf der Welt von dem er nie verfolgt werden möchte.

In weiteren Rollen brillieren der enorm vielschichtige Donald Sutherland als Oberst Fetisow, der große Max Von Sydow in einer unvergesslichen Nebenrolle als erster russischer Psychiater in einem Serienmordfall, der über seine eigene Courage erschrickt, sowie Jeffrey DeMunn in einer feinfühligen Darstellung Chikatilos, die selbst diesem abartig veranlagten Menschen eine grundlegende menschliche Würde verleiht.


Schauspiel-Titan Max von Sydow als Psychiater Bukanowsky, der das Täterprofil, überschrieben mit "Staatsbürger X" (Citizen X) erstellte.


„Citizen X“ war für 7 Emmys und 2 Golden Globes nominiert , Stephen Rea wurde auf dem Filmfestival von Kairo und beim Katalonischen Filmfestival Stiges als Bester Schauspieler ausgezeichnet, wo „Citizen X“ zudem als Bester Film und für die Beste Regie prämiert wurde.

Jeffrey DeMunn erhielt den CableACE Award als Bester Nebendarsteller .

Donald Sutherland wurde für die Rolle des Oberst Fetisow 1995 mit dem Golden Globe und dem Emmy Award als Bester Nebendarsteller ausgezeichnet.

Chris Gerolmo erhielt für das Drehbuch nicht nur den renommierten Edgar Allan Poe Award sondern auch den Writers Guild Of America Award.

Hier findet sich die deutsche Synchron-Fassung, kurioserweise unter anderem Titel :



(ab ca. Minute 100 wiederholt sich der Film)

Engl. Fassung: