Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Sonntag, 10. April 2022

Der Graf von Monte Christo



„DER GRAF VON MONTE CHRISTO (1954)
MIT JEAN MARAIS
 (komplett, deutsch, beide Teile, restauriert)



Am 28. August 1844 publizierte der schwarze französische Schriftsteller Alexandre Dumas sr., im Magazin „Le Journal des débats“ die erste Folge seines Fortsetzungsromans „Der Graf von Monte Christo“, der später auch in Buchform publiziert wurde, und als vielleicht erster moderner Thriller Literaturgeschichte schrieb.
 


Es war auch der erste Roman der einen Justizirrtum zum Thema hatte.

Im selben Jahr hatte Dumas, der von Sklaven aus der Karibik abstammte, seinen Durchbruch mit „Die drei Musketiere“, später weitere Bestseller mit „Der Mann mit der eisernen Maske“, „Joseph Balsamo“ , „Die schwarze Tulpe“ und den beiden Musketier-Fortsetzungen.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Dumas, der zu Lebzeiten von der Kritik verachtet wurde, als der begnadete Erzähler der er ist, mit seinem sensationell gesponnen Garn, alle literarisch angeseheneren Konkurrenten und die Jahrhunderte überdauert hat.
Der vor überraschenden Plot Twists strotzende Rachethriller „Der Graf von Monte Christo“, in dem Dumas die Fähigkeit zum Cliffhanger zur eigenen Kunstform entwickelt hat, ist ein echter Page-Turner den man, einmal angefangen, unmöglich mehr aus der Hand legen kann; allein wie Dumas pere die - in den meisten Adaptionen ausgesparte - Nebenhandlung der späteren unheimlichen Giftmordserie im Haus de Villefort ausrabeitet ist von ungeheurer Kunst der Spannungserzeugung.

Und der Roman wurde nie besser verfilmt als in der mitreißend-aufwendigen Farbverfilmung durch Robert Vernay aus dem Jahre 1954, die mit Jean Marais, der „Witwe“ von Jean Cocteau, einen idealen, Mantel- und-Degen-erprobten Heldendarsteller und zugleich vielschichtigem Charaktermimen in Personalunion als Protagonisten hat.




Die Handlung:
Der Junge Seemann, Kapitän Edmond Dantes (Marais) wird, von einer Seereise nach Elba zurückgekehrt, Opfer einer diabolischen Intrige.
Danglars, der neidische Zahlmeister des von ihm geführten Schiffes, der „Pharao“, Fernand Mondego, der in Dantes Verlobte Mercedes verliebt ist, und sein verschlagener Nachbar Caderousse, verbünden sich am Abend vor Dantes Hochzeit zu einem mörderischen Komplott. Sie zeigen Dantes mit einem gefälschten Brief als angeblichen napoleonischen Spion an, und bestechen den korrupten Untersuchungsrichter de Villefort.
 
Noch während der Hochzeit wird Dantes verhaftet, entführt und, ohne jeden Prozess auf das Felsengefängnis der berüchtigten Gefängnisinsel Chateau D’If verbracht.
Von dort, so heißt es, kehrt niemand zurück.



Dort vegetiert er 5 Jahre lang ohne jede Hoffnung und vergessen von der Welt in Kerkerhaft vor sich hin und versucht sogar sich zu Tode zu hungern, als ein anderer Gefangener sich mühselig zu seiner Zelle durchgräbt.

 


Dieser Gefangene, der alte Geistliche Abba Faria wird Dantes Mentor in der Haft, er schult ihn, bildet ihn aus und verrät ihm das geheime Versteck eines unermesslichen Schatzes auf der Insel Monte Christo.
 
Als der Abbe schließlich nach mehreren Monaten verstirbt, sieht Dantes seine Chance gekommen. Als Farias Leichnam in einen Sack eingenäht wird, öffnet er diesen heimlich, entnimmt den Körper des Freundes und schlüpft, mit einem Messer bewaffnet selbst hinein.


 
Die Wachen werfen den Leichensack von den Zinnen in die tosende See, wo es Dantes gelingt sich zu befreien – und so winkt ihm die einzigartige Möglichkeit zur epochalsten Rache die jemals ein Mensch ersonnen hat, der Rache des „Grafen von Monte Christo“…..

Die Unbestechlichen (1976)




"All The President's Men" (Die Unbestechlichen) von 1976




„Die Unbestechlichen“ (All The President’s Men) von 1976, der zurecht als bester Spielfilm über Pressejournalismus überhaupt gilt, zeigt die Enthüllung von Watergate.

In den Hauptrollen zu sehen sind Robert Redford (auch Produzent) und Dustin Hoffman, sowie Jason Robards, Jack Warden, Martin Balsam, Jane Alexander und Hal Holbrook. Regie führte Alan J. Pakula (Produzent von „Wer die Nachtigall stört“ 1962, Regisseur von „Sophies Choice“ 1982, mit Meryl Streep)

D.Hoffman, R. Redford, J. Robards, J. Warden, M. Balsam


In der Nacht vom 17. Juni 1972 ertappt ein Wachmann 5 Einbrecher im Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Building in Washington, das sie offenbar verwanzen sollten.

Kurze Zeit später stehen sie vor dem Untersuchungsrichter, dabei ist routinemäßig auch Presse anwesend, darunter Bob Woodward (Robert Redford) von der Washington Post. Ihm fällt auf, dass einige der Einbrecher behaupten für die CIA zu arbeiten, und beginnt zu recherchieren.

Zusammen mit seinem Kollegen Carl Bernstein (Dustin Hoffman) folgt er der Spur, die dichter wird, als im Notizbuch eines der Einbrecher der Name Howard Hunt auftaucht, eines hochrangigen CIA-Mannes der zu dieser Zeit im Weißen Haus arbeitet – im Büro von Charles Colson, dem Chefberater des US-Präsidenten.

Carl Bernstein und Bob Woodward


Geleitet von Woodwards anonymer Geheim-Quelle „Deep Throat“ (Hal Holbrook), der an hoher Stelle im Justizsystem sitzt, folgen Woodward und Bernstein unter dem Druck der Öffentlichkeit, und unter zunehmender Lebensgefahr, der Spur weiter zu einem Scheck, den sein Aussteller keinem Geringeren als Maurice Stans, dem Vorsitzenden des Komitees zur Wiederwahl des Präsidenten, persönlich in die Hand gedrückt hatte, und der später auf dem Konto eines der Watergate – Einbrechers auftauchte……
Die Spur führte die beiden Reporter zu einer unvorstellbaren Verschwörung, einem illegalen Fonds und einer kriminellen Vereinigung der Republikaner im Weißen Haus.

Gestützt durch ihren mutigen Chefredakteur Ben Bradlee (Jason Robards), der sich völlig hinter seine unerfahrenen und unbekannten No-Name Reporter Woodward und Bernstein stellte, enthüllte die Washington Post bis 1974 den größten politischen Skandal der amerikanischen Geschichte.







Die Washington Post erhält für die Artikelserie von Woodward & Bernstein 1973 den Pulitzerpreis für investigativen Journalismus.

Am Ende der Recherchen werden 16 hochrangige Politiker ins Gefängnis gehen.

32 weitere werden zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Am 9. August 1974 wird der Mann der den Watergate-Einbruch befohlen hatte zurücktreten um einem Amstenthebungsverfahren zuvorzukommen:

Richard Milhous Nixon, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
Zu Fall gebracht durch den Block und den Bleistift zweier Journalisten.


Nixon bei seiner Ruecktrittserklaerung


Journalisten-Legende Gene Roberts, langjähriger Herausgeber der New York Times, nannte die Arbeit von Bernstein & Woodward "maybe the single greatest reporting effort of all time"

Der halbdokumentarische und brillant gespielte „All the President’s Men“ ,basierend auf dem gleichnamigen Sachbuch von Woodward und Bernstein, und brillant inszeniert von Alan J. Pakula, gilt gemeinhin als der beste Film zum Thema Presse, Pressefreiheit und Enthüllungsjournalismus.

Nominiert für 10 Britische Filmpreise und 8 Oscars setzte und setzt er den Maßstab für das gesamte Genre. Spannender wurde die Arbeit von investigativen Journalisten niemals auf der Leinwand gezeigt, der Film ist praktisch gepflastert mit Gänsehaut-Momenten.




Am brillantesten gelingt es "All The Pressident's Men" den Weg der Information zu zeigen, besonders in den filmisch genial aufgelösten Telefonsequenzen in der Redaktion und in der pointierten Weise die kreativen Wege zu zeigen, auf denen Woodward und Bernstein ihren Quellen und Zeugen Informationen entlockten...
Kritikerlegende Roger Ebert schrieb: „It provides the most observant study of working journalists we're ever likely to see in a feature film.”

Das sensationelle Drehbuch von William Goldman, das erstmals einen Spielfilm aus einem Sachbuch (!) machte, setzte Standards und gewann hochverdient den Oscar, ebenso Jason Robards in seiner Darstellung von Ben Bradlee, dem Herausgeber der Washington Post, sowie der Tonschnitt und das Produktionsdesigner-Team das die komplette Redaktion der Post im Studio nachbaute.

Ich ergänze den Beitrag um die brillante Doku "All the President's Men Revisited" von 2013, erzählt von Robert Redford, die auf Film und Skandal zurückblickt....und der Öffentlichkeit nach 40 Jahren den Namen der berühmtesten anonymen Quelle der US-Geschichte verrät - die Identität von "Deep Throat"....





Freitag, 1. April 2022

DAS OTHELLO-PARADOXON: DER MANN DER M**R SEIN WOLLTE

 DAS OTHELLO-PARADOXON: DER MANN DER M**R SEIN WOLLTE 

Von Stefan C. Limbrunner



Trigger-Warnung:


Der Text beschreibt und analysiert eine rassistische Othello-Interpration. Der entsprechende am Ende verlinkte Filmausschnitt arbeitet mit entsprechenden Stereotypen und Klischees, wie auch manche der Fotos, die besonders für BIPoC verletzend sein könnten. Rassistische Begriffe in den Zitaten sind mit Sternchen entschärft.






I. EINLEITUNG




Im Oktober 2021 kam es an der University of Michigan zu einem Skandal, als der Professor für Kompositionslehre, Bright Sheng (66), seit 1995 hält er den Lehrstuhl als „Leonard Bernstein Distinguished University Professor“, seinen Studenten die 1965er Verfilmung von William Shakespeares „Othello“ vorführte – ohne den nötigen Triggerhinweis für Afroamerikaner, und leider auch ohne jede kritische Thematisierung des dort angewendeten Blackfacings und der dort bedienten Stereotypen 

(https://theviolinchannel.com/composition-professor-accused-ofracism-at-university-of-michigan/)

Nachdem ich mich damit eingehend auseinandergesetzt habe, und als Reaktion auf die, aus meiner Sicht vorsätzlich, bewusst und fahrlässig rassismusrelativierenden Beiträge unserer NO GO Quelle (Anmerkung: Der Facebook Gruppe "Wir brauchen den Widerstand gegen rechts" https://www.facebook.com/groups/1584361998467221) WSWS, die sich als linkssozialistisch framt, aber im konkreten Fall in Argumentationslinie, Phrasierung und Verdrehung von neurechten Relativierungen völlig ununterscheidbar ist, möchte ich, aus fachlich berufenem Munde –unter Zuhilfenahme zahlreicher Quellen – dazu etwas sagen. 


Wesentlich beziehe ich mich auch auf den Essay „Olivier’s “Othello” and Racism in Theatre“ von Darby Williams, dem bislang besten Text den ich zu dieser Problematik JE gelesen habe






II. ZUM STÜCK









Erst einmal zum Stück selbst: “Othello, der M**r von Venedig” (frühneuenglisch “The Tragœdy of Othello, The M**re of Venice”) ist eine der großen Tragödien von William Shakespeare, als deren Inspirationsquelle  eine Erzählung aus der Sammlung „Hecatommithi“ des Italieners Giraldo Cinthio ausgemacht werden konnte. 

Shakespeare vollendete das Werk 1603 oder 1604. Das Stück spielt im Osmanisch-Venezianischen Krieg (1570-1573). Die Geschichte dreht sich um zwei Personen, Othello und Jago. Othello ist ein militärischer Befehlshaber maurischer Abstammung, der als General der venezianischen Armee die Verteidigung Zyperns (damals venezianische Provinz) gegen die Invasion der osmanischen Türken übernimmt. Er hat vor kurzem Desdemona, eine schöne und reiche , vor allem Weiße Venezianerin, die viel jünger ist als er, gegen den Willen ihres Vaters geheiratet. Jago ist Othellos bösartiger Fähnrich, der die Eifersucht seines Herrn so lange schürt, bis der sonst so stoische Schwarze seine geliebte Frau in einem Anfall von blindem Zorn tötet und danach den Freitod wählt. Aufgrund der anhaltenden Themen Leidenschaft, Eifersucht und Rassismus ist Othello immer noch aktuell und beliebt... 


....und wird in zahlreichen Versionen aufgeführt.

Wenn wir uns nun der Frage nähern wollen, ob und warum gerade Laurence Oliviers Othello rassistisch ist, so dass in der Folge auch Shengs Ignoranz gegenüber diesem Umstand (unbewusst) rassistisch war, müssen wir erst einmal auf die Aufführungsgeschichte und die unheilige Praxis des Blackfacings werfen, die mit ihr verquickt ist. Bereits in der Uraufführung von „Othello“ am 1. November 1604, vor 417 Jahren wurde die Hauptrolle des Othello von einem Weißen gespielt, der zum Schwarzen umgeschminkt war: Richard Burbage. 


Ira Aldridge - der erste Schwarze Othello




Ira Aldridge in Farbe



Erst 221 Jahre später (!) durfte, im Jahre 1825, mit Shakespearedarsteller Ira Aldridge, erstmals ein schwarzer Schauspieler die Rolle des Othello spielen. Aber auch in den Jahrhunderten die folgten blieb dies, das 20. Jahrhundert eingeschlossen, eine Seltenheit. Erst 1930, 105 Jahre nach Aldridge, hatte mit dem großen Paul Robeson dann wieder ein schwarzer Schauspieler die Chance. Am berühmtesten ist aber seine spätere Interpretation derselben Rolle, 1942 am New Yorker Broadway.


Der große Paul Robeson als Othello.



Paul Robeson mit Desdemona




 1955 folgte ihm erstmals der große James Earl Jones, eine Theaterurgewalt in dieser Rolle, berühmt wurde aber vor allem seine 1981er Interpretation an der Seite von Christopher Plummer als Jago. Der erste schwarze Leinwand-Othello war erst 1995 zu sehen, in Gestalt von Laurence Fishburne. 



Jahrhundertschauspieler als Othello: James Earl Jones




Christopher Plummer als Jago, James Earl Jones als Othello für die Ewigkeit



Und erst in allerneuester Zeit, sah man Avery Brooks, Chiwetel Ejiofor und Cyril Nri in der schwierigen Ausnahmerolle. Bis dahin hatten, nach Burbage, Edmund Kean, Emil Jannings, John Gielgud, John Neville, Laurence Olivier, Orson Welles, Paul Wegener, Richard Burton, Anthony Hopkins, Raoul Julia, Sergej Bondartschuk, Thomaso Salvine und zahllose andere Weiße die Rolle in Black- oder Brownface gespielt – in zum Teil fürchterlich entglittenen Klischees. Einzige Ausnahmen bildeten der ungeschminkte Thomas Thieme in Deutschland, sowie Ben Kingsley, der geschickt die eigene Ethnie als Halbinder einsetzte, und der große Sir Patrick Stewart – mit einer genialen Lösung über die ich später noch berichten werde. 



Ben Kingsley, bürgerlicher Name Krishna Banji, als indisch angehauchter Othello





Aber im Grunde wurde die Rolle über 400 Jahre praktisch ausschließlich und exklusiv von Weißen Schauspielstars dominiert, die sich, im schlimmsten Fall, hemmungslos Schuhcreme ins Gesicht schmierten um „N***r“ zu spielen. 



Stummfilmstar Paul Wegener




Emil Jannings, Bühnentitan
und erster Preisträger eines Darsteller-Oscars




Götz Georges Vater Heinrich George mit Schuhcreme




Sir John Gielgud




Richard Burton, stilisiert.







Sergej Bondartschuk 1956




Sir Paul Scofield




Sir Anthony Hopkins als hellerer Maure




Die Technik des Blackfacings hat per se schon rassistische Wurzeln, wie das Siebte Flugblatt hier erläutert hat




 „Das grundlegende Problem des Blackfacings ist nicht das Verkleiden selbst sondern die Tradition in der es steht und die Machtausübung die es immer noch darstellt. Die Tradition gründet um 1830 in den USA, in den Minstrel-Shows des Vaudeville. Dort war es erforderlich, dass schwarze Charaktere, damalige Sklaven, in Nummern und Stücken vorkommen konnten, damit man sie als dumme Untermenschen und geborene Diener verspotten und verhöhnen konnte. Da Schwarze das aus verständlichen Gründen nicht selbst tun wollten und außerdem nicht auch noch – Gott bzw. KKK bewahre – die gut bezahlten Darsteller-Jobs erhalten sollten, entwickelte man das Blackfacing.

 

Menschen mit dem Normstatus weiß spielten eine, wie sie glaubten, untergeordnete „Rasse“, Ethnie, und zwar gemäß der weißen Stereotypen die sie dazu hatten, und von denen sie wussten, dass das Publikum sie bestätigt sehen wollten, weil sie sich damit wohlfühlten. Es war ein Unterdrückungsmittel - auch noch im 20. Jahrhundert und ist es auch heute noch. Es ging darum Menschen vollständig aus einer Kunstform, am besten noch allen, zu verdrängen, ihnen Repräsentanz zu nehmen, und rassistische Klischees ungestraft bedienen zu können.

 

[…] 

 

„Blackfacing“ war die Make-Up-Technik die es auch seit Sidney Poitiers Filmdebüt 71 weitere Jahre ermöglicht hat und ermöglicht, dass Charaktere die bestimmten Minderheiten angehören, Schauspieler*innen die diesen Minderheiten angehören vorenthalten und stattdessen von Normweißen gespielt werden, notfalls auch dafür vollständig als Rollen “auf Weiß“ umgeschrieben werden. Auf diese Weise behalten Weiße Gestalter eine uneingeschränkte Kontrolle darüber wie die Angehörigen von Minderheiten dargestellt und dass diese im relaen Leben dabei zugleich in Nischen festgehalten werden, die sie nicht verlassen können. So kann nie eine echte multikulturelle Gewöhnung eines Publikums einsetzen.

 

[…]

 „Othello“ wird fast immer von Weißen in Blackface an den großen Deutschen Bühnen gespielt. Nicht weil wir nicht die Schwarzen Schauspieler dafür hätten, nein, weil es eine Star-Rolle für große Shakespeare-Darsteller, die Stars der Ensembles ist, und diese Stars sind, aufgrund Weißer Theaterleiter, Regisseure, Dramaturgen, den angenommenen Vorlieben eines mehrheitlich Weißen Publikums, aber auch aufgrund strukturell rassistischer Elemente bei Besetzung und Zusammenstellung der Ensembles nahezu immer weiß.“ 

 


Durch Blackfacing und Whitewashing (umschreiben von Rollen auf Weiß) wird ganz generell Einfluss auf den Pool verfügbarer Rollen genommen, und auf diese Weise Repräsentanz manipuliert: 

Während ein Weißer Schauspieler alle Weißen Rollen spielen kann, plus alle, für die man ihn ethnisch umschminken oder die man für ihn auf Weiß umschreiben kann, ist ein Schwarzer Schauspieler , auch in gegenwärtigen Besetzungspraktiken (Die Caster sind Weiß) angewiesen auf die Rollen die seiner Ethnie entsprechen und die nicht zugleich auf Weiße umgeschrieben oder durch Schminktechnik weggeschnappt wurden. 
Das ist ein drastisch verkleinerter Rollen-Pool, eine Verurteilung zur Nische. Die unbewussten Vorlieben Weißer Theaterleiter, Regisseure, eines Weißen Publikums und natürlich Weißer Theaterkritiker führen auch an heutigen Theatern maßgeblich dazu dass primär Weißen Theaterdarstellern eine Karriere als Bühnenstar ermöglicht wird. 


Othello ist eine Star-Rolle. 


Die gibt man nicht irgendeinem Ensemblemitglied und dafür engagiert man keinen unbekannten Schwarzen Schauspieler von der Schauspielschule weg. Und da kommt dann die Schminke ins Spiel.






 III. OLIVIERS OTHELLO AUF DER BÜHNE 








Mit diesem Vorwissen können wir nun über Oliviers Othello sprechen, der in mehrfacher Hinsicht einen Sonderfall darstellt. Am 21. April 1964 trat Sir Laurence Olivier, in der einzigen großen Shakespeare-Rolle auf, die er bisher gemieden hatte - Othello - im Rahmen der Eröffnungssaison des legendären Londoner National Theatre, dessen Intendant, Schauspielstar und Star-Regisseur Olivier selbst war. Er hatte Vorbehalte, aber mit 57 Jahren nahm er ein anstrengendes Fitnessprogramm auf und nahm sechs Monate lang Stimmtraining in Anspruch, um seine Stimme um eine Oktave zu senken. 

Die Wirkung war schon beim ersten Durchlesen verblüffend. Theaterkritiker Kenneth Tynan berichtet, wie "eine Handgranate" in die entspannte Sitzung geworfen wurde, als Olivier "wie ein Tiger über den Text herfiel ... eine fantastische, lautstarke Darbietung, die einem die Ohren versengte".



Sir Laurence Olivier und Maggie Smith in den Proben zu "Othello". Olivier ist
noch nicht in Blackface





In seiner Autobiografie schreibt Olivier, dass er keinen "blassen, kaffeefarbenen Kompromisslook" wollte. Also ließ er sich zweieinhalb Stunden lang schminken; Anthony Holdens Biografie beschreibt, wie sein Körper von Kopf bis Fuß schwarz gefärbt und dann poliert wurde; seine Lippen wurden verdickt, seine Augen geweißt. 

"Die ganze Sache wird in den Lippen und der Farbe liegen", sagte er im Mai 1964 dem Magazin Life.  “Ich schaue mir jedes Mal die Lippen der N***r an, wenn ich sie im Zug oder sonst wo sehe, und tatsächlich sehen ihre Lippen eher schwarz oder blaubeerfarben aus als rot". 





In seiner Autobiografie ging er ausführlich auf die technischen Einzelheiten des Blackface-Makeups ein, das 1964 verwendete: 

"Schwarz am ganzen Körper, Max Factor 2880, dann ein helleres Braun, dann Negro Number 2 [der Name eines Make-up-Tons], ein stärkeres Braun. Braun auf Schwarz, um ein sattes Mahagoni zu erhalten. Dann der große Trick: dieser herrliche halbe Meter Chiffon, mit dem ich mich am ganzen Körper polierte, bis ich glänzte... Die Lippen blaubeerfarben, die stramm gelockte Perücke, das Weiß der Augen, weißer denn je, und der schwarze, schwarze Glanz, der mein Fleisch und meine Knochen bedeckte und im Licht der Garderobe glitzerte." 

 

(Quelle: https://www.arogundade.com/sir-laurence-oliviers-othello-in-blackface.html) 



Schallplatten-Aufnahme der Bühnenfassung






Ihm zur Seite eine blutjunge und brillante Maggie „Prof McGonagall“ Smith als Desdemona (allerdings wurde sie später gekündigt, nachdem sie eines Abends bessere Kritiken erhalten hatte, als Olivier, der gute Mann war da empfindlich) und Frank Finlay als Jago, Regie führte John Dexter. Seine Darbietung wurde zur Theatersensation, und folgende, oft kolportierte Anekdote soll sich tatsächlich zugetragen haben: Demnach applaudierten seine Schauspielerkollegen an einem denkwürdigen Abend hinter der Bühne. Olivier schlug weinend die Garderobentür zu. 

"Ich weiß", sagte er, "aber ich weiß nicht, wie ich es gemacht habe, also wie kann ich es wiederholen?“

Franco Zeffirelli schwärmte seinerzeit, dass die Aufführung 300 Jahre Schauspielkunst auf den Punkt gebracht habe. Das TIME MAGAZINE schrieb damals über die Bühnenfassung: 

„Als er sich auf die Probe vorbereitete, dröhnte und brüllte Olivier gegen die Dachsparren des Probesaals, bis er seine "Rippenreserve" verstärkt hatte. Er tränkte sich in Kaliumpermanganat, aber das reichte nicht aus, um ihn ausreichend zu verdunkeln, so dass er sich schließlich für kohleschwarze Fettfarbe entschied. Er straffte die Federung in seinem Schritt und erklärte: "Othello sollte wie ein weicher schwarzer Panther laufen." 

 

Maggie Smith und Larry Olivier in den Proben - noch ohne Make Up



Er übte die seltsam akzentuierte, seltsam betonte Sprache, die an die Art und Weise erinnerte, wie manche Jamaikaner und Afrikaner Englisch sprudeln lassen, und schaffte es so, die Art und Weise zu vermitteln, wie der Mohr Italienisch spricht. Olivier sah Othello als einen Mann, der nicht blind für Jago's Ambitionen war, sondern nur für seine Strategeme, die er zu spät erkannte. Die Interpretation war jedoch nur das Tor zu seinem Triumph, der seinen Höhepunkt im Ausbruch der Eifersucht und der mörderischen Gewalt des Mohren erreichte."

 

 

Alan Dent von der Financial Times meinte dazu: 


"Er ist wie ein Löwe, der in einer grausamen Falle gefangen ist." In der Daily Mail meinte der oft anerkennungswürdige Bernard Levin: "Sir Laurence' Othello ist größer als das Leben, blutiger als der Tod, mitleiderregender als Mitleid.“ 








Die Reaktionen der Kritiker auf diese Verwandlung waren ihrer Zeit entsprechend. 



"Er hat einen Bewegungsspielraum entwickelt, der organisch mit der Rolle zusammenhängt" (Times) 

"Durch weiß der Himmel, welche Hexerei, [er] fängt die Essenz dessen ein, was es bedeuten muss, mit einer dunklen Haut geboren zu sein" (Express) 

"dieser Othello zwingt Sie, ihn nicht nur als Farbigen zu akzeptieren, sondern als N***r, mit einer n***oiden Sprache" (Guardian) 

Einige Kritiker waren jedoch skeptisch. 

"Die katzenartigen Bewegungen, die lang anhaltenden Töne der Agonie" waren "zu wahnsinnig" (Standard); 

"eine Art von schlechtem Schauspiel, zu dem nur ein großer Schauspieler fähig ist ... wenn die Eifersucht übertragen wird, kommt der weiße Mann durch"(Sunday Telegraph). 


Ein Regisseur erinnert sich, dass er das Stück als Schauspielschüler gesehen hat: 

"Es war fantastisch, aber ich weiß nicht, ob ich es für rassistisch hätte halten sollen. Ich erinnere mich, dass Vanessa Redgrave es schrecklich fand." 



Maggie Smith und Laurence Olivier nach der Aufführung







IV. OLIVIERS OTHELLO IM KINO 









1965 nun wurde just diese Inszenierung des National Theatre ,mit Originalbesetzung, fürs Kino in Breitwand abgefilmt unter der inszenatorischen Leitung von Stuart Burge. Laurence Oliver wurde als Bester Hauptdarsteller für den Oscar nominiert, Frank Finlay als Bester Nebendarsteller, Maggie Smith und Joyce Redman jeweils als Beste Nebendarstellerin. 







Ein kleiner Interview-Schnippsel von damals zeigt die extreme Natur von Oliviers Transformation auf:






In Darby Williams bemerkenswertem Aufsatz „Olivier’s “Othello” and Racism in Theatre”, heißt es hierzu kritisch: 

„Oliviers Auftritt in dem Film von 1965 war komplett in Blackface und markierte den Anfang vom Ende dieser ungerechten Praxis in der hohen Schauspielkunst. Seine Körperlichkeit, sein stimmlicher Ausdruck und seine emotionale Entwicklung waren unverhältnismäßig stark von Minstrel-Shows und Stereotypen geprägt und gipfelten in einer Darstellung, die eher einer Karikatur als einem tragischen Helden glich. In Anbetracht von Oliviers beeindruckender Karriere als Shakespeare-Darsteller klingt seine Darstellung des Othello schockierend dissonant. (…)

 Leider ist die Schminke kaum Oliviers schlimmstes Vergehen. Oliviers Manierismen scheinen ausschließlich von seinen eigenen rassistischen Vorurteilen geprägt zu sein: Sein schwerfälliger Gang, seine donnernde Stimme und sein allzu häufiges Augenrollen sorgen für einen Othello, der im besten Fall eine Farce und im schlimmsten Fall geradezu beleidigend ist. Für Theaterneulinge ist es ein verwirrendes und groteskes Spektakel. Für Theaterleute ist es eine Quelle der Demütigung und des Ekels.“ 



Sir Laurence Olivier spielt Ethnie, während Maggie Smith sich an ihn schmiegt





Zeitgenössische Kritiken waren jedoch voll des Lobes, Kritikerpäpstin Pauline Kael schwärmte sich in ihrer Analyse, in der der rassistische Ansatz von Oliviers Darstellung in keinster Weise auch nur wahrgenommen, stattdessen völlig ins Gegenteil interpretiert wurde, sogar noch selbst vor Stereotypen strotzte, regelrecht ins Nirwana (https://scrapsfromtheloft.com/movies/laurence-olivier-othello-pauline-kael/ ): 

„Oliviers N***r-Othello - tiefe Stimme mit einer Spur von fremder Musik darin; fröhliches, dickes, selbstzufriedenes Lachen, rollende Pobacken; großartig und barbarisch und, ja, ein wenig unzüchtig . . . Olivier ist der körperlichste Othello, den man sich vorstellen kann. Als Fürst ist dieser Othello ein wenig vulgär - zu einschmeichelnd, ein Angeber, ein arroganter Mann. Reduziert auf die Barbarei, zeigt er uns einen verstümmelten afrikanischen Prinzen im Inneren des Kriegerhelden. Jago hat ihn durch seine Irrationalität bis auf eine andere Art von Schönheit entblößt. Es tut uns leid, das zu sehen, und es tut uns auch nicht leid. In unseren Augen ist der afrikanische Prinz in seiner Einsamkeit schöner als der schicke Höfling in seiner reflektierten weißen Pracht. . . . Welcher N***rschauspieler könnte es in diesem Stadium der Weltgeschichte wagen, die Rolle mit der Unverfrorenheit zu spielen, die Olivier an den Tag legt?“ 

 


Olivier in Blackface


Eine der löblichen und sehr kritischen Ausnahmen blieb damals die NEW YORK TIMES in ihrer Besprechung vom Februar 1966 


„Ein gewagter und einzigartiger Aspekt dieser Inszenierung lässt den sensiblen amerikanischen Zuschauer jedoch sofort verblüfft und unbehaglich werden. Das ist das radikale Make-up, das Sir Laurence für seine kraftvolle und leidenschaftliche Darstellung des eifersüchtigen M**ren gewählt hat: Er spielt Othello in blackface! 

Richtig, Blackface - nicht der dunkelbraune Fleck, über den selbst die mutigsten weißen Schauspieler heutzutage nicht hinausgehen wollen. Mehr noch, er bedeckt sein glänzendes schwarzes Gesicht mit einer Perücke aus schwarzem Haar und seine Lippen sind innen mit einem verblüffenden Himbeerrot verschmiert und verdickt. Mehrmals rollt er in seinen Wutausbrüchen oder Reflexionen die Augen in den Kopf, so dass das Weiße wie kleine Milchachate aus dem tintenfarbenen Gesicht schimmert, was zur Folge hat, dass er auf den sensiblen Amerikaner den mittlerweile unerhörten Eindruck eines theatralischen N***rklischees macht. 

Er sieht nicht aus wie ein N***r (falls er den M**ren so darstellen will) - nicht einmal wie ein westindischer Häuptling, mit dem ihn einige Londoner Kritiker verglichen haben. Er sieht aus wie ein Rastus oder ein Endgegner in einer amerikanischen Minstrel-Show. Man wartet fast darauf, dass er aus seinen wallenden, weißen Gewändern ein Banjo hervorholt oder auf ein Tamburin schlägt, und außerdem spricht er zu Beginn mit einer tiefen, dichten, würdevollen Stimme, die den Zuschauer störend an Amos aus der alten Amos 'n' Andy-Radioserie erinnert. Es ist nicht die vertraute, gefühlsgeladene Stimme von Sir Laurence, die in vierfachem Tempo vorwärts sprintet. Obwohl er später dazu kommt - wenn er anfängt, die Wände zu zerkratzen und den Theatersaal beben zu lassen -, gibt es dann eine weitere Ablenkung durch den unerklärlichen Stimmwechsel. Das mögen alles nur physische Aspekte sein, die durch die Montage von mittleren Einstellungen und Nahaufnahmen, die der Regisseur des Films, Stuart Burge, meistens verwendet hat, stark vergrößert werden. 

Vielleicht handelt es sich um bewusste, dreiste Details einer extravaganten Bildgestaltung, die den M**ren größer und dynamischer erscheinen lassen soll, als wir es gewohnt sind, und die aus der Distanz der Bühne nicht so grob ethnisch wirken mag. Er beherrscht uns mit anschaulichen Mitteln - seinen stolzierenden Bewegungen, seinem strahlenden Lächeln, seinem stürmischen Stirnrunzeln, seinen blutigen Muskelverspannungen, seinen Schmerzensschreien gegen den Himmel. Und in dieser Hinsicht ist dieser "Othello" einer der kühnsten, die man je gesehen hat. Aber er schafft es nie, sich vollständig von diesem theatralischen Stereotyp zu befreien“ 



Souvenir-Buch zum Kinofilm von 1965





V. DER MANN DER M**R SEIN WOLLTE 





Wie aus den bisherigen Schilderungen schon klar wird, legte Olivier einen massiven, extrem detailbesessenen Wert auf die Äußerlichkeiten der Rolle; um dies zu verstehen muss man zunächst wissen, wie Olivier gearbeitet hat. Als klassisch ausgebildeter Bühnen und Shakespeare-Darsteller britischer Schule der er war, war sein primärer Fokus für den Einstieg in eine Figur nicht deren Innenleben (obwohl er sich damit sehr eingehend beschäftigt, auch umfangreich analysiert und psychologisch durchleuchtet hat), sondern deren äußere Form. 

Im Gegensatz zum stanislawskischen Ansatz ging er, im Arbeitsprozess von außen nach innen vor, statt wie üblich von innen nach außen. Deshalb war für ihn die Äußerlichkeit einer Figur, wie sie aussah, sich bewegte, sprach, ihre Manierismen und Idiosynkrasien, physische Eigenheiten und Erscheinungsbild eine wichtiger, sinnlich- sensorischer, Erstzugang in deren Innenleben, sie war der Schlüssel mit dem er den Motor der Imaginationskraft, mit der er die Innerlichkeit der Rolle dann mit großer Kraft nachbildete und erlebte, startete und anwarf. 

Sehr deutlich wurde dies 1972 z.B. bei den Dreharbeiten zu „Mord mit kleinen Fehlern“ (Sleuth), der Verfilmung des meisterlichen Kriminalstücks von Anthony Shaffer, als er während den Leseproben zuerst komplett versagte, sich entschuldigte, und erst als er am nächsten wiederkam, diesmal mit Seidenhalstuch und stylischem Dandy-Schnauz, hatte er plötzlich Griff auf die Figur und zeigte sich als die Bühnenurgewalt, die er war. „I cant act with my own face“, sagte er damals. 




Damit sind wir beim Problem seines Othello: 



Olivier war ganz offensichtlich der Auffassung, das zeigen seine Bemühungen, selbst unter oben ausgeführter Prämisse, überdeutlich, dass er, um Othello zu spielen, „Schwarz“ spielen, dass er „Ethnie“ spielen muss. Er ging dabei erkennbar davon aus, dass ein Schwarzer, noch dazu ein Afrikaner, auf eine andere Art und Weise und in einer anderen Tonlage spricht als ein Weißer, geht und sich bewegt als ein Weißer. Seinen Bemühungen liegt die unausgesprochene Überzeugung der biologischen Andersartigkeit dieser anderen „Rasse“ zugrunde, und Olivier scheint mit manischem Eifer beflügelt gewesen zu sein, diese biologische Andersartigkeit zu spielen, und das Publikum mit seinem entsprechend artistischen Zauberkunststück der Verwandlung zu verblüffen – was auch gelang. 


Nur spielte er damit nicht die Figur Othello, sondern sein Schwerpunkt lag auf der Ethnie Othellos. 



Olivier und Smith bei den Dreharbeiten. Sir Laurence ist hier
innerlich ganz er selbst.



Zum Vergleich hier einige Kurz-Ausschnitte (im Rahmen eines Interviews) mit Bühnenlegende James Earl Jones in derselben Rolle, im Jahr 1981:




Jones, selbst Schwarz, verschwendet genau Null Minuten um „Schwarz“ oder „Afrikaner“ zu spielen, weil er selbst Schwarz ist. Er spielt schlicht und ergreifend das, was die eigentliche Spielaufgabe ist, nämlich Othello – mit seinen Hoffnungen, Sehnsüchten, Leidenschaften, seiner tiefen Liebe und seiner mörderischen aber eben nicht ethnisierten Raserei. 



Olivier geht hier in den Falle, und legt den Wert auf Transformation, vermutlich ohne jemals zu realisieren, dass der Großteil seiner Transformation letztlich auf lächerlichen Ideen der sogenannten „Rassen“lehre basiert, die 1964/65 bereits komplett veraltet und seit Jahrzehnten wissenschaftlich diskreditiert war. 



Olivier mit Frank Finlay als Jago




Das titelgebende Paradoxon liegt, soweit es Olivier betrifft, in dem Problem, dass obwohl Oliviers schauspielerische Konzeption der Figur subkutan rassistisch und lächerlich war, die Ausführung, also das eigentliche Schauspielhandwerk, gleichzeitig überragend war. Was wir in seiner Performance sehen können ist eine schlechte und grundfalsche Idee, die mit einer so hohen technischen Virtuosität durchgeführt ist – die ungeheure Körperlichkeit, die nahezu akrobatische Sprachbeherrschung bei totaler sinnlicher und intellektueller Durchdringung selbst der kleinsten Verästelungen seines Textes, der ungeheure Nuancen-Reichtum, die fast tänzerisch choreografierte Dynamik der Bewegung, die Art wie Olivier den Raum beansprucht, dass sie einem schier den Atem raubt. 


Das „Wie“ von Oliviers Othello ist, rein darstellungstechnisch, eine der größten Schauspielerleistungen überhaupt in dieser Rolle – NUR: Das „Was“ ist eben total rassistisch, manchmal an der Grenze zur unfreiwilligen Komik. 


Das Paradox ist ungefähr so, als ob Mozart seinen größten künstlerischen Erfolg mit einem NeuArrangement von Scooters „Hyper Hyper“ errungen hätte. Natürlich stellt sich dann die Frage, inwieweit das Stück an sich zugänglich und spielbar ist, wenn es, zumal Weiße, in solche Fallen lockt. Schwarze Darsteller sind sich dessen bewusst. Hugh Quarshie, seinerseits PoC und britischer Bühnenschauspieler, sagt über das Problem einer authentischen Besetzung: 

„Riskiert nicht ein schwarzer Schauspieler damit, dass er Othello spielt, rassistische Stereotypen zu legitimieren oder sogar wahr erscheinen zu lassen? Reproduziert nicht ein schwarzer Schauspieler, der eine Rolle spielt, die ursprünglich für einen schwarz geschminkten weißen Schauspieler und für ein hauptsächlich weißes Publikum geschrieben wurde, den weißen, also falschen, Blick auf schwarze Menschen? […] Von allen Rollen des Theater Kanons, ist Othello vielleicht die einzige, die nicht von einem schwarzen Schauspieler gespielt werden sollte.“ 



Reclaiming the Role: Laurence Fishburne als erster Schwarzer Othello der Kinogeschichte
mit Kenneth Branagh als Jago






Allerdings sollte man an dieser Stelle auch anfügen, dass Quarshie sich die Frage selbst, letztlich, doch mit „Ja“ beantwortet und 2015 in der Royal Shakespeare Company einen viel beachteten Othello gegeben hat


womöglich weil er erkannt hat, dass ein Schwarzer Schauspieler, mit seinem spezifischen Erfahrungshintergrund, diese Mängel reparieren kann, was bei einem Weißen selten bis nie der Fall wäre. Besonders EIN Element ist dabei entscheidend, nämlich Othellos Urmotivation. 


Bei Shakespeare findet sich, zumal an der Oberfläche, folgende primäre Lesart: 


Jagos Manipulationen funktionieren, weil Othello eben ein M**r, und damit naiv und zugleich extrem eifersüchtig und liebestoll ist. Das ist eine – rassistische –Prämisse die Shakespeare einerseits setzt, andererseits aber zugleich die Möglichkeit bietet sie zu unterlaufen. Eine andere, stärkere und ehrlichere Lesart ist nämlich ebenfalls im Text mitangelegt: Es ist nicht Othellos genetische Prädisposition die ihn für Jago empfänglich macht – sondern die Fragilität der Beziehung. Ein Schwarzer General, der im 16. Jahrhundert im Weißen Venedig eine Weiße Frau heiratet, muss sich bewusst gewesen sein, dass das auf extreme Ablehnung einer weißen Mehrheitsgeselllschaft stößt (wird im Stück auch ausbuchstabiert), diese Beziehung in einer feindlichen Umgebung einem dauernd Druck ausgesetzt ist, unter dem sie jederzeit zerbrechen kann. 



Dieses Wissen ist die Grundlage für Othellos Unsicherheit, und diese Unsicherheit ist Jagos Schlüssel zu Othello. 


Wer das verstanden hat, versteht Shakespeares Othello. 



Chiwetel Ejofor als Othello



Oliviers Othello, leider, folgt dem zuerst geschilderten Weg, und genau deshalb glaubt er auch Ethnie spielen zu müssen. Quarshies Äußerung legt noch ein zweites Problem in Oliviers Othello offen, wenn er von einer Rolle spricht „die ursprünglich für einen schwarz geschminkten weißen Schauspieler und für ein hauptsächlich weißes Publikum geschrieben wurde“ und daher aus einem „weißen, also falschen, Blick“ angelegt sei. Dasselbe lässt sich nämlich über Oliviers Interpretation sagen. Ein Schauspieler spielt eine Figur mit der Imaginationskraft, sie ist sein eigentliches Instrument, sie ist das Reservoir und zugleich das Material aus dem man eine Figur schöpft. 


Wenn man sich Oliviers Othello ansieht, wird außer den Details und Referenzen sehr schnell sehr klar, womit seine eigene Vorstellungskraft angefüllt war – mit Weißen Eindrücken davon, wie Schwarze sind. Er orientiert sich an Minstrel Shows, an Stereotypen des Blackfacings im Vaudeville (Augenrollen), an den sentimentalen Klischees in denen immer ein Hauch „Old Man River“- Rührseligkeit mitschwingt, an Darstellungen Weißer Schauspieler die Othello spielten, und an den Darstellungen Schwarzer Schauspieler, die unter Weißen Regisseuren und nach den Vorstellungen Weißer Drehbuchautoren, mal servile, mal dümmliche, mal hyperheroisierte Diener, Sklaven und Hausangestellte spielen mussten; sein Othello sieht nicht mal realistisch aus wie ein Afrikaner, und der imaginäre Dialekt, den Olivier mit seiner Weißen Phantasie erfindet, statt ihn zu recherchieren, leistet ein Übriges. 

Das Material aus dem Olivier seinen Othello, durchaus betörend, erschafft, ist ein ungeheuer reiches Sammelsurium Weißer Abziehbilder Schwarzer Menschen. Und damit gelingt es ihm nicht die stereotypen Anlagen des Stückes zu thematisieren und zu brechen, er versucht es auch gar nicht erst. Er beschränkt sich darauf sie mit den allerhöchsten, virtuosesten Mitteln künstlerischer Gestaltungskraft auf überwältigende Weise zu erfüllen. 


Und, ja, das macht seinen Othello rassistisch. 






VI. RASSISTISCH UND WAS NUN? 





Thomas Thieme als Othello am Hamburger Thalia-Theater




Nur: Wie damit umgehen? Nun, keinesfalls so wie Professor Sheng: Völlig unkritisch, haltungsfrei, ohne die schmerzhafte, kritische Auseinandersetzung zu suchen und zu wagen, in Konflikt mit dem zu gehen, was scharfer Kritik bedarf. Man kann, man sollte, das Handwerk, die Technik loben, und den falschen, rassistischen Ansatz analytisch in der Luft zerreißen. Um nochmals Darby Williams zu zitieren, der es perfekt auf den Punkt bringt: 


„Daher können wir solche Bearbeitungen nicht als künstlerische Erfolge betrachten. Darbietungen, die das Publikum entfremden und verletzen, haben auf der Bühne oder der Leinwand nichts zu suchen. Wenn moderne Theaterschaffende wirklich ein Umfeld fördern wollen, in dem alle Schüler die Künste sicher und effektiv schätzen können, dann sind Filme wie "Othello" von 1965 kaum mehr als ein abschreckendes Beispiel. Das heißt nicht, dass wir sie vergessen oder aktiv auslöschen sollten. Man sollte sich an sie wegen ihrer Darstellung und ihrer Fehler erinnern, sie aber nicht verherrlichen und schon gar nicht wiederholen.“ 



Genau so ist es. Und bevor jetzt das klassische, auch in den Artikeln von wsws orchestrierte, „das ist linke Identitätspolitik“ und „das ist genauso rassistisch!“-Geschrei einsetzt, weil angenommen wird, ich plädierte dafür, dass Weiße niemals Othello spielen dürften – was ich nicht tue -, möchte ich abschließend ein geniales Positivbeispiel aufzeigen , wie und warum dies doch möglich ist. 


Es kommt dabei nämlich auf das „wie" an.






1997 spielte der Weiße Sir Patrick Stewart, vielen besser bekannt als Captain Jean-Luc Picard in „Star Trek – The Next Generation“ und Prof. Xavier aus „X-Men“, seines Zeichens ein großer, klassischer Bühnendarsteller in Washington DC für die Shakespeare Theatre Company erstmals den Othello, eine Rolle die ihn faszinierte, seit er 14 Jahre alt war. Da es für ihn, den linksliberalen Antirassisten, undenkbar war, die Rolle mit Blackface oder auch nur abgemildertem Brownface zu spielen, suchte und fand er, mit seiner Regisseurin Jude Kelly eine andere Lösung.  


Sie führte zu einer bahnbrechenden Neuinterpretation des gesamten Stücks. Sir Patrick Stewart war der erste Weiße Othello der Moderne. Kelly und Stewart entwickelten eine so genannte "Fotonegativ"-Inszenierung: 


Alle anderen Darsteller waren Schwarz, während sein Othello als Weißer Mann mit rasiertem Kopf, Ohrringen und einer Schlangentätowierung auftrat. 



Sir Patrick Stewart brilliert als Weißer Othello in einer Schwarzen Gesellschaft




Es wurde die Geschichte eines Weißen Außenseiters in einer Schwarzen Gesellschaft. Dadurch öffnete Stewart einen neuen Weg für diese Rolle, die Möglichkeit rassistische Ethnisierungen komplett zu amputieren, die verheerende Tradition zu brechen, und zugleich der so lange Zeit rassistischen Wirkung des Blackfacings die Chance eines Schwarzen Ensembles, eines (hochklassigen) All-Black-Casts ganz bewusst und gewollt entgegen zu setzen. Die Gegenüberstellung von Othellos tragischer Gefühlsblindheit und Jago's unbändigem und obsessivem Hass wirkte einmal mehr wie ein Zauber. 


Coleridge beschrieb Jago's Qualen auf der Bühne als "die Motivjagd der motivlosen Bösartigkeit". Stewarts Darstellung fand eine seltsame Menschlichkeit in Othellos Verletzlichkeit gegenüber Jago's unerbittlicher Folter. 







Quellen







VIDEO-AUSSCHNITT: