Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Samstag, 24. Juni 2023

OTFRIED PREUSSLERS „KRABAT“ – EIN ANTIFASCHISTISCHER ROMAN?


Dieser Essay erschien ursprünglich Ostern 2021 in der Gruppe "Wir brauchen den Widerstand gegen Rechts". Er wurde hiermit auch  in den Blog übernommen, wo er übersichtlicher und bebilderter darstellbar ist.


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FOCUS: Sie haben oft gesagt, die Thematik des „Krabat“, die Verführung zur bösen Macht, sei das Thema Ihrer Generation ...

Preußler: Als das Buch 1971 herauskam, fuhr ich zu einer Lesung vor Bibliothekaren in die Schweiz. Dort sagte einer in schönstem Schwyzerdytsch: „Sagen Sie, Herr Preußler, der Meister, das ist doch wohl der Hitler?“ Und da ist mir aufgegangen: Ja, er hat Recht. Der Meister ist zwar nicht Hitler, aber doch eine Inkarnation der bösen Macht.

FOCUS: Aber was kann der „Krabat“ jungen Menschen heute bedeuten – in unseren friedlichen Zeiten?

Preußler: Sagen Sie das nicht. Denken Sie doch nur an den Terrorismus. Auch heute und in unserem Land kommt es vor, dass junge Leute auf Extremisten hereinfallen.


 


Dieses Jahre wäre er 100 Jahre alt geworden – der große Kinder- und Jugendbuchautor OTFRIED PREUßLER (geboren als Otfried Syrowatka), Vater des „Kleinen Wassermanns“, der „kleinen Hexe“, vom „starken Wanja“, dem „Räuber Hotzenplotz“ und Autor des vielfach preisgekrönten Meisterwerkes „Krabat“ von 1971, eines virtuosen Jugendromans auf der Basis der sorbischen Volkssage um „Mistr Krabat“.

Und 52 Jahre wird dieses vielleicht bedeutendste Jugendbuch Deutscher Sprache (ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendpruchpreis, dem Europäischen Jugendbuchpreis, dem Polnischen Jugendbuchpreis, dem Dänischen Jugendbuchpreis und dem Ehrenpreis der amerikanischen Bibiliotheken) 2023 alt.

Deshalb möchte ich mir an dieser Stelle die Zeit nehmen zu untersuchen, ob dieses Buch vielleicht tatsächlich in erster Linie nicht als fiktionaler Sagenstoff, sondern als sehr greifbare reale Warnung vor dem Faschismus geschrieben worden ist?


Dafür gibt es noch einen zweiten konkreten Ansatzpunkt:

2015 wurde der Öffentlichkeit erstmals bekannt, dass Preußler, als gerade 20-jähriger und damals noch NS-überzeugter Jugendlicher wohl bereits einen Hitlerjugendroman geschrieben hatte, namens „Erntelager Geyer“.

Preußlers NS-Frühwerk "Erntelager Geyer"


Das Buch – das offenbar nur wenig rassistische Entgleisungen enthält - verschwand später spurlos, es tauchte in Preußlers Bibliographien und Biographien niemals auf. Niemand wusste davon. Offenbar schämte sich Preußler dieses unüberlegten Frühwerkes. (https://orf.at/v2/stories/2294576)

1944 wurde das Werk so beschrieben:

„Der Verfasser, ein junger, jetzt im Felde stehender Reichenberger lenkte bereits durch einige Gedichte die Aufmerksamkeit auf sich. Und dieses Buch schrieb er mit 17 Jahren. In frischer, anschaulicher Darstellung erzählt er hier von dem Kriegs- Ernteeinsatz einer Schar Jungens in Wernersdorf, von ihrem erstmaligen Erleben des Bauerntums, wie sie es bisher kaum kannten. Fröhlich und guten Willens packen sie jede Arbeit an, freilich mit der baldigen Erkenntnis, dass diese nicht immer leicht sei. Aber sie sind stolz darauf, mit allen Schwierigkeiten fertig zu werden und richtige Männerarbeit zu leisten. Den Ausgleich zu der harten Bauernarbeit bildet das Lagerleben mit der sportlichen Ertüchtigung, mit Geländespielen, Heimabenden und manchen lustigen Streichen. Eben diese schöne Kameradschaft des Lagers auch hilft manchem von ihnen, bei der schweren Bauernarbeit durchzuhalten. In seiner Schlichtheit der Gestaltung und des Inhalts ist dieses Buch ein wertvoller Beitrag zum Bilde unserer Jugend von heute.“




Er selbst erwähnte es nie.

Erst posthum wurde eine Ausgabe entdeckt.

Vielleicht, mag man mutmaßen, hat er versucht mit seinem „Krabat“ literarische Abbitte zu leisten, seine Verführbarkeit zu verarbeiten.

Vielleicht hat er deshalb 10 Jahre bis zur Besessenheit an diesem Buch gearbeitet, das ihm anfangs ganz und gar nicht gelingen wollte. Vielleicht hat er sich deshalb so sehr damit gequält, dass er vorübergehend auf einem Auge erblindete und sich zur eigenen Erholung vom „Krabat“ den „Hotzenplotz“ ersann.

Falls es so war, so ist diese literarische Wiedergutmachung, die vielleicht auch Abbitte für die nationalsozialistische Jugendsünde gewesen sein mag, noch mehr für die eigene Verführbarkeit, nach meinem subjektiven Dafürhalten gelungen.


Der junge Wehrmachtssoldat Preußler in Diensten des NS-Regimes


Für diese These spricht, dass der Sudetendeutsche Preussler in einem völkisch geprägten, deutschtümelnden Haushalt in Reichenberg/Liberec im heutigen Tschechien aufwuchs, dass sein Vater Josef Syrowatka ein überzeugter Nationalsozialist und Antisemit war, der später, nach dem Einmarsch der Nazis, seinen Namen zu Preußler „eindeutschen“ um nicht zu sagen arisieren ließ (https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Preu%C3%9Fler).

Der junge Otfried Preußler auf dem Lande.


Und für diese These spricht im Besonderen, wie stark Preußler in seinem Roman“ Krabat“, nach der sorbischen Volkssage, eigene biographische Elemente hat einfließen lassen, die in der Vorlage nicht enthalten sind, und die eine metaphorisch-allegorische Lesart nahelegen. Diese Lesart wiederum hat er selbst befeuert, als er sagte, Zitat:

Mein „Krabat“ ist keine Geschichte, die sich nur an junge Leute wendet, und keine Geschichte für ein ausschließlich erwachsenes Publikum. Es ist die Geschichte eines jungen Menschen, der sich mit finsteren Mächten einlässt, von denen er fasziniert ist, bis er erkennt, worauf er sich da eingelassen hat. Es ist zugleich m e i n e G e s c h i c h t e , die Geschichte meiner Generation, und es ist die Geschichte aller jungen Leute, die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich darin verstricken. Dagibt es nur einen Ausweg, den einzigen, den ich kenne: den festen Willen, sich davon frei zu machen, die Hilfe von treuen Freunden – und jene Hilfe, die einem aus der Kraft der Liebe zuwächst, der Liebe, die stärker ist als die Macht des Bösen und alle Verlockungen dieser Welt.

 


Schriftsteller Otfried Preußler Ende der 1980er Jahre


Befassen wir also kurz mit dieser Geschichte – mit Hilfe vor allem der brillanten Diplomarbeit „Autobiographische Elemente in Otfried Preußlers „Krabat“ von Elisabeth Wolfsgruber BA (https://docplayer.org/60645783-Diplomarbeit-titel-der-diplomarbeit-autobiographische-elemente-in-otfried-preusslers-krabat-verfasst-von-elisabeth-wolfsgruber-ba.html?fbclid=IwAR1moXKyBEIOsUMxZ4b-fFK2YXP8hO2uDv3yT899N4tcS1zQnFXzl_FHd1Q) – um zu sehen, inwieweit sie sich in „Krabat“ spiegelt.


"Eine herrlich unbeschwerte Zeit" sei seine Jugend gewesen, schreibt Preußler Jahrzehnte später. Nachzulesen ist darüber im Buch "Ich bin ein Geschichtenerzähler", bestehend aus ausdrucksstarken autobiografischen Skizzen. Von der hysterischen Begeisterung vieler Sudetendeutscher für das Nazi-Regime, die damals womöglich auch Familie Preußler teilte, berichtet er ebenso wenig wie von Einverleibung des Sudetenlandes 1938, der Zerschlagung der "Rest-Tschechei" und dem Terror-Regime der Deutschen über Tschechen und Slowaken.“

(Quelle: SZ)

 

Holzschnitt von Herbert Holzing

„An der Kriegsschule in Dresden wird er vorerst in einem Offiziersbewerberlehrgang ausgebildet, bevor er erst nach Russland, dann als Leutnant nach Rumänien eingezogen wird und dort 1944 in Bessarabien in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerät. Fünf Jahre verbringt er in unterschiedlichen Arbeitslagern, darunter das berüchtigte Offizierslager Jelabuga , bis er im Jahre 1949 entlassen wird und heimkehren kann.“

(Quelle: Diplomarbeit Elisabeth Wolfsgruber)

 

Über diese Zeit führt die SZ genauer aus:


„Nach dem Abitur 1942 zieht die Wehrmacht Preußler ein. Zwei Jahre später muss der junge Leutnant nach Rumänien, wo die Rote Armee die deutschen Verbände bald aufreibt. Preußler kommt unverletzt in Gefangenschaft, doch die nächsten fünf Jahre verbringt er hinter Stacheldraht in sowjetischen Lagern, irgendwo am Ural. Das Sterben ist dort Normalität, Folge des brutalen Klimas, der Zwangsarbeit, von Hunger und Seuchen. Preußler schreibt von Willkür, aber auch von Russen, die mit den hungernden Deutschen ihr Essen teilen. Preußler und die anderen rezitieren auswendig gelernte Gedichte, Goethe, Schiller, Eichendorff. Es ist das Einzige, was an die ferne, unerreichbare Heimat erinnert. Damals habe er bei seinen Kameraden sein "erstes Praktikum als Geschichtenerzähler absolviert", meint er später: Gegen das Heimweh, "gegen Verzweiflung und Tod". Einmal rettet ihm eine jüdische Armeeärztin das Leben, ihr Sohn ist im Kampf gegen die Deutschen gefallen.

Otfried Preußler hat, abgesehen von den erwähnten Skizzen, über seine Zeit in Krieg und Gulag nichts veröffentlicht. Er schreibe für Kinder, darum habe er seine aufgeschriebenen Erlebnisse nicht publiziert. "Aber das bekommt vorläufig niemand zu sehen", so Preußler. "Erst wenn ich tot bin."

 

Vielleicht aber, möchte man mutmaßen, haben wir es in anderer Form, der,in der der konservativ geprägte Preußler, ein Mann mit vielen Traumata, es uns erzählen konnte – indirekt, doch eindringlich, unaufdringlich doch zwingend - doch schon zu Lebzeiten zu sehen bekommen.

Vielleicht ist sein Opus Magnum unter diesem Blickwinkel ganz neu zu lesen, zu verstehen - und neu zu würdigen.

1958 kam Preußler in der Internationalen Jugendbibliothek in München erstmals wieder als Erwachsener in Kontakt mit dem Krabat-Stoff, von dem er schon als Elfjähriger gehört hatte, nämlich über den seinerzeit neu übersetzten Bildband „Mistr Krabat“ von Martin Nowak-Neumann – und dieser leitete Preußlers eigene Faszination an der Geschichte ein und auch einen Arbeitsprozess, der in mehreren Anläufen scheiterte, uns als verzweifeltes „Nebenprodukt“ den Räuber Hotzenplotz brachte, der zu Preußlers Erholung wurde, und der erst mit der Publikation 1971 endete.


Auf dieses Buch stieß Preußler 1958 in  München



Mehr über die Arbeit beschreibt Preussler hier: https://www.yumpu.com/de/document/read/17394715/otfried-preussler-krabat-zehn-jahre-arbeit-thienemann-verlag

Und wen man nun, so wie Elisabeth Wolfgruber in ihrer glänzenden Diplomarbeit (https://docplayer.org/60645783-Diplomarbeit-titel-der-diplomarbeit-autobiographische-elemente-in-otfried-preusslers-krabat-verfasst-von-elisabeth-wolfsgruber-ba.html) unter diesem Blickwinkel einen Blick auf den Roman wirft, der so, unter Schmerzen, entstanden war, dann, fallen einem manche Bezüge wie die Schuppen von den Augen:


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In dieser Mühle, in der Krabat bei Preußler volle 3 Jahre verbringt, wovon das erste für 3 zählt, kreiert Otfried Preußler, vormals Syrowatka, in der sagenhaften Verkleidung sowohl eine metaphorische Allegorie eines faschistischen Systems, als auch eine verfremdete Abbildung eines Lageralltags.


  • Das faschistische System skizziert Preußler, hat man den Vorgang einmal durchschaut, in überraschender Deutlichkeit: 

Wir haben einen klassischen Führerkult an dessen unmittelbarer Spitze der Gevatter, in mittelbarer der Meister steht. Ein Meister der - nur bei Otfried Preußler - einäugig ist und gelegentlich die Peitsche schwingt....


  • ....und auch in dieser spezifischen Ausgestaltung tut sich ein biographischer Bezug auf:

Man kann darin einen fernen, wenn auch verdüsterten Abglanz des nordischen Gottes Odins sehen, der ein Auge gegen Weisheit tauschte, vielleicht aber auch eine Reminiszenz an **einen die Reitpeitsche schwingenden Einäugigen, dem Preußler in russischer Kriegsgefangenschaft begegnete und den er die „mit Abstand übelste Figur“ nennt, „die wir im Lazarett zu ertragen hatten“. **

(Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/blick-in-otfried-preusslers-nachlass-neues-von-krabat-17467847-p6.html)

Der - nur bei Preußler - einäugige Meister in der Schwarzen Schule



Dieser Meister hat absolute Gewalt über die Mühlknappen, sie sind ihm verfallen, er weiss was sie denken, sogar was sie träumen, er kann sie verwandeln, herrscht über die Mühle (und verweigert z.B. dem Scholta in „Schnee auf den Saaten“ im Namen der Mühle die Hilfe) er alleine entscheidet auch über Leben und Tod, er ideologisiert die Knappen. Er herrscht über die geheime Bruderschaft, verlangt und erhält absoluten Gehorsam.


  • Eine absolute Hierarchie der Ränge wie im Totalitarismus...


(Lehrjunge, Knappe, Altgesell, Meister, Gevatter), wobei die letzen Ränge nur durch Willkürakte erreichbar sind, finden wir ebenso vor, wie klassische Elemente ideologischer Indoktrination (allfreitaglich in der schwarzen Kammer), den klassischen der Führung nahestehenden Denunzinaten (Lyschko), die massive Verlockung durch die Macht (Die Verheißung der Zauberkunst, die sogar „über Kaiser und Könige Macht verleiht“, das Angebot des Meisters an Krabat ihn zu seinem Nachfolger zu machen und Macht über Leben und Tod zu geben). 




  • Wir finden aufbegehrende Mitläufer (Tonda, Michal) die mit dem Tode dafür bezahlen werden und in Pumphutt, sogar einen waschechten Widerstandskämpfer von außen. 


Es finden sich ferner...

  • ...eine spätere geheime Widerstandszelle (Krabat und Juro die gegen den Führer konspirieren), 
  • ein heidnischer mit stark ritualisierten Zeremonien konstituierter Geheimbund (Die geheime Bruderschaft die man als Spiegelung von gemeinschaftsstiftenden Riten zur Zeit des NS-Regimes lesen kann, z.B. der Jugendweihe, dem Tragen des Totenkopfrings und anderer Requisiten oder die Fackelzüge) 
  • und die für den NS-Staat übliche Nibelungetreue seiner Anhänger (Der Adler des Sultans)

  • Auch die schuldhafte Verstrickung der Knappen in furchtbare Verbrechen die verdrängt werden…

...das Geheimnis des siebten Mahlganges, des „Toten Ganges“ als Symbolismus für einen Völkermord – und vielleicht auch deshalb der dem Judenstern optisch ähnelnde Drudenfuß auf der Stirn der Knappen, den diese, wie eine Schuld, herunterschwitzen müssen?


"Neugierig stieg er die hölzernen Staffeln zur Bühne hinauf, von der aus das Mahlgut sackweise in die trichterförmige Schütte gekippt wird, aus der es dann über den Rüttelschuh zwischen die Steine läuft.

Beim Einkippen läßt es sich nie vermeiden, daß Körner danebenfallen - nur lag kein Getreide unter der Schütte, wie Krabat erwartet hatte. Was da verstreut auf der Bühne umherlag und auf den ersten Blick aussah wie Kieselsteine: beim zweiten zeigte sich's, daß es Zähne waren - Zähne und Knochensplitter.

Entsetzen packte den Jungen, er wollte schreien und brachte doch keinen Laut aus der Kehle. Plötzlich stand Tonda hinter ihm. Krabat mußte ihn überhört haben. Nun ergriff er die Hand des Jungen. »Was suchst du da oben, Krabat? Komm runter, bevor dich der Meister erwischt - **und vergiß, was du hier gesehen hast. **Hörst du mich, Krabat - vergiß es!«

 

Dies alles im Schatten der Mühle, die da liegt „in den Schnee geduckt, dunkel, bedrohlich, ein mächtiges, böses Tier, das auf Beute lauert“, ihres wuchtigen Mühlrades, dessen Achsen, man so man wollte, mit ein paar rechten Winkeln leicht zu einer riesigen Swastika ergänzen könnte.




  • Dann wiederum die Merkmale der Gefangenschaft: 

Der Kontakt zur Außenwelt ist spärlich und begrenzt, nie darf einer alleine die Mühle verlassen. Fluchtversuche (Krabat, Merten) ob im Wachen oder im Traum erweisen sich als sinnlos, werden vereitelt und schwer bestraft. 


  • Dazu die unverhohlenen Anspielungen auf den Krieg, 

den Schwedenkrieg der durchaus als Bild für den zweiten Weltkrieg stehen kann (im Militärüberdruss der Knappen im schwankhaften Kapitel „Feldmusik“, oder dem Kriegsrat in Dresden während dem der Meister den Kurfürsten zum Durchhalten im Krieg bewegt). 

Immer mehr der Mühlknappen sterben und landen in der verschneiten Begräbnisstelle, dem „Wüsten Plan“ und die, die Nachrücken, wie die Pimpfe in „Die Brücke“, die neuen Lehrlinge, werden von Jahr zu Jahr jünger….ein Bild für das Verheizen der Kindersoldaten?


Die berühmte englische Übersetzung von Anthea Bell litt unter 
ihrem, für US-Verhältnisse, ungünstigen Titel


Besonders auffällig sind die extrem sprachmächtigen und vielschichtigen Beschreibungen der harten Winter im Koselbruch – Preußler scheint alles zu wissen über eingeschneite Häuser, vereiste Rinnen, gefrorene Böden, sterbende Saaten, den eisigen Wind, wie der Schnee eine unbekannte Gegend völlig unkenntlich macht und einebnet, das Aussehen des Mondes im Schneegestöber….diese Dinge wirken, als stammten sie aus direkt erlebter eigener Erfahrung. Und tatsächlich: Jelabuga, wo Preußler lange gefangen war,war berüchtigt für seine fürchterlichen Winter.

Und dann ist da noch die Rettung Krabats, in der Preußler stark von der Sagenvorlage abweicht, in der der Junge von seiner Mutter erlöst wird.


Die Kantorka mit dem Raben Krabat


In Preußlers Roman, ist es die Kantorka die Krabat rettet, das Mädchen das er liebt, nach dem er sich in der unerreichbaren Ferne Schwarzkollms sehnt, so wie Preußler sich in der Kriegsgefangenschaft nach seiner Annelies Kind sehnte, die er später weit entfernt in Rosenheim wiederfand, und gerettet wird er von ihr, durch Erlösung aus den gelebten 5 Jahren Mühle, so wie der junge Preußler aus 5-Jahren Haft in Gefangenlagern erlöst wurde, von einer unbekannten Ärztin, einer jungen russischen Jüdin, die seine Entlassung durchsetzte als er nur noch 40 Kilo wog, und deren Namen er nie erfuhr….so wie auch Krabats Kantorka im Roman keinen Namen hat.


Otfried Preußler  nach dem zweiten Weltkrieg mit seiner Verlobten Annelies, die, vermutlich,
eine von zwei Vorlagen für die Figur der Kantorka wurde.


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Nun ist ein Autor keinesfalls, schon gar nicht eins zu eins, identisch mit einer Figur seines Romans, aber sein Leben, seine Biographie, sein Erfahrungsschatz, sind doch auch immer das Material mit dem er, wie unbewusst auch immer, arbeitet, das Reservoir aus dem er schöpft.




Und unter dieser Prämisse bestätigt sich die These dieser Überlegungen: Ja, Krabat IST in der Tat das „Lied von der Freiheit eines Menschen“, eines Menschen der vom Faschismus, von der Verlockungen der Macht, verführt, in Gefangenschaft und Todesgefahr gebracht aber gerade noch rechtzeitig erweckt, gewarnt und gerettet worden ist, der seine Individualität im Totalitarismus wiedererkämpft, und in diesem Sinne ist „Krabat“ ohne jeden Zweifel ein ganz und gar antifaschistisches Buch.




Vielleicht das persönlichste das er je geschrieben hat.


„Während sie auf die Häuser zuschritten, fing es zu schneien an, leicht und in feinen Flocken, wie Mehl, das aus einem großen Sieb auf sie niederfiel.“

 



EINE GEKÜRZTE LESUNG VON „KRABAT“ DURCH DEN AUTOR SELBST FINDET SICH HIER:


Krabat, das erste Jahr:



Krabat, das 2. Jahr




 Krabat, das 3. Jahr