Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Donnerstag, 8. November 2018

DER SCHATTEN EINES ZWEIFELS: „DIE ZWÖLF GESCHWORENEN (1957)“



“In den 60 Jahren seit seiner Uraufführung, hat Sidney Lumets Meisterwerk nichts von seiner Wucht verloren. In diesem Zeitalter der Unvernunft bleibt `Die 12 Geschworenen´ schmerzhaft und drängend zeitgemäß. Das ursprünglich als TV-Drama verfasste Drehbuch von Reginald Rose ist eines der besten die jemals verfilmt wurden“


CHRISTOPHER MACHELL, CRITERION REVIEWS





Es muss um 1972 gewesen sein, als eine junge Puerto-Ricanerin namens Sonia M. Sotomayor, damals achtzehn Jahre alt, mit dem Mann den sie einmal heiraten würde, Kevin Edward Noonan, auf einem kleinen Festival eine Filmvorführung besuchte. Sie war jung, das Gesicht umrahmt von langem schwarzem Haar dessen wilde Locken längst durch Glättung gezähmt waren, ihre Haut von jenem Bronzeteint der auf hispanische Wurzeln verwies; sie ähnelte einer Mischung aus der jungen Joan Baez und der jungen Rita Moreno.
Der junge Mann, der sie eingeladen hatte, war ein Date aus High School Tagen. Er hatte sie mühselig überreden müssen, für einen uralten schwarzweiß- Klassiker ins Kino zu gehen.
Die aufgeweckte 18 jährige, die erst mit neun Jahren Englisch gelernt hatte, hatte soeben den Zulassungstest für die Princeton University bestanden und würde bald am College studieren.
Sie war ein bekennender „Perry Mason“ Fan.

Das Licht im kleinen Kino verlosch, das alte Logo von United Artist erschien aus der Finsternis, das berühmte von Boris Kaufmann gestaltete Intro in großartigen, grobkörnigen Schwarzweißbildern begann, floss über in die unvergessliche Titelmusik von Kenyon Hopkins, dann erschienen die Credits: “12 Angry Men…..directed by Sidney Lumet“….





38 Jahre später, würde sie erklären, dieser Film habe sie mehr beeinflusst als jeder andere, den sie je gesehen habe. Es sei der Film gewesen der ihre Karriere ausgelöst habe. Sie erinnerte sich an den konkreten Schlüsselmoment für ihr Leben, wie sie sich im Kinosessel aufrichtete, als George Voskovec in der Rolle des Geschworenen Nummer 11, in der englischen Fassung ein Migrant aus Osteuropa, die Worte sprach: 


NUMMER 11: Verzeihung, bitte….
NUMMER 10: “Verzeihung bitte.” Warum sind sie immer so verflucht höflich?
NUMMER 11: Aus dem gleichen Grund, aus dem sie es nicht sind. Ich bin so erzogen worden. Diese Streiterei…. Das ist nicht warum wir hier sind, um zu streiten. Ich dachte immer, das sei das Bemerkenswerte an der Demokratie. Dass man uns….wie sagt man? Benachrichtigt. Dass man uns per Post benachrichtigt, hierher zu kommen und über Schuld und Unschuld eines Menschen zu befinden, den wir….den wir überhaupt nicht kennen. Ein Urteil durch das wir nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren haben. Das ist einer der Gründe weshalb wir stark sind. Wir sollten daraus keine persönliche Sache machen. Ich danke Ihnen.


Das war der Augenblick, the very moment, in dem es bei der hochbegabten Achtzehnjährigen „Klick“ machte.
Es war der Moment in dem sie sich entschied Jura zu studieren.
38 Jahre später war dieses „Klick“ nur noch ein fernes Echo.
Und Sonia M. Sotomayor war, nach einem langen, fast unmöglichen, Weg, einem Weg ausgelöst durch eine Replik aus einem 15 Jahre alten, meisterhaften Film in einem dunklen Kino in New York, als erste Latina und als erste Puerto-Ricanerin Richterin am Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika geworden.
Eingesetzt durch Barack Hussein Obama.




„Die 12 Geschworenen“ 1956 inszeniert von Sidney Lumet, handelt von einer aufwühlenden Geschworenenberatung in einem geschlossenen Raum. Die Geschichte setzt also genau dort ein, wo andere Gerichtsstoffe normalerweise enden – Nach dem Abschluss des Prozesses. Genauer : Dem Abschluss eines Mordprozesses gegen einen 17 – jährigen Jungen aus der Bronx, der seinen Vater bestialisch erstochen haben soll.

Ihm droht die Todesstrafe. Es gibt Beweisstücke.
Es gibt Augenzeugen.
Es gibt wasserdichte Indizien.

Aller Wahrscheinlichkeit nach, ist der Junge schuldig, aber eben nur aller Wahrscheinlichkeit nach. Was aber, wenn er unschuldig ist? Oder – für den „begründeten Zweifel“ bei dem die Geschworenen „in dubio pro reo“ urteilen müssten wäre das ausreichend – wenn er unschuldig sein könnte?


Die 12 Geschworenen (Sie tragen im Film nach klassischer Geschworenengepflogenheit keine Namen nur Nummern) werden in das Beratungszimmer eingeschlossen, müssen beraten, in Klausur gehen, urteilen. Es sind 12 völlig unterschiedliche Charaktere die in dem engen Raum an einem schwülheißen Sommertag eingeschlossen sind, und über Leben und Tod eines Menschen zu befinden haben: Ein engagierter College Coach (Martin Balsam) , Ein schüchterner Bankangestellter (John Fiedler) , der jähzornige Besitzer eines Botenservices (Lee J. Cobb), ein arroganter Börsenbroker (E.G. Marshall), ein arbeitsloser junger Mann (Jack Klugman), ein einfacher Anstreicher (Edward Binns) , ein flapsiger Baseball – Fan (Jack Warden), ein akribischer Architekt (Henry Fonda), ein alter Rentner (Joseph Sweeney), ein rassistischer Tankstellenbesitzer (Ed Begley sr.), ein Emigrant aus Osteuropa (George Voskovec) und ein oberflächlicher Werbefachmann (Robert Webber). In einer ersten hastigen Abstimmung stimmen 11 der Geschworenen für schuldig, nur einer, der Geschworene Nr.8 (Fonda), stimmt für „nicht schuldig“.

Nicht etwa weil er den Jungen tatsächlich für unschuldig hält – er ist sich nur nicht sicher, glaubt, die „zwölf wütenden Männer“ schuldeten dem Angeklagten wenigstens eine Diskussion, bevor sie sein Leben beenden. Schließlich brechen die Konflikte, Aggressionen und aufgestaute Wut zwischen den 12 Geschworenen offen aus, ungefiltert prallen die Temperamente aufeinander. In leidenschaftlichen Diskussionen, scharfen Rededuellen ringen die gefangenen Männer verzweifelt um die Wahrheit. Immer größere Zweifel an der Version der Staatsanwaltschaft tauchen auf. Aussagen werden überprüft, Lücken entdeckt, Augenzeugen hinterfragt, Tatabläufe nachgestellt – die Phalanx der Befürworter eines Schuldspruchs bröckelt ….



Reginald Rose, 1954
Die Ur-Idee zu „Die 12 Geschworenen“ kam Autor Reginald Rose bereits in den frühen 50iger Jahren nachdem er selbst in einem Strafprozess zum Geschworenen berufen worden war. Rose beschrieb die Geburt der Idee mit diesen Worten:

“Es war so ein beeindruckendes, feierliches Setting in diesem großen holzgetäfelten Gerichtssaal, nebst grauhaarigem Richter. Das hat mich umgehauen. Ich war überwältigt. Ich war Geschworener in einem Totschlags-Prozess, und wir gerieten in diesen großartigen, entfesselten acht-Stunden-Streit im Geschworenenzimmer. Ich schrieb damals einstündige Fernsehspiele für Studio One und dachte: `Wow, was für ein Setting für ein Drama!´“

Er arbeitete zunächst ein rund 60 minütiges Live - Fernsehspiel für die populäre Reihe „Studio One“ aus. Die Ausstrahlung der Live Aufführung in den Chelsea Studios in New York City fand am 20. September 1954 auf dem Sender CBS statt. Regie führte Franklin J. Shaffner („Planet der Affen“ 1968, „Patton“ 1970).
Dieses Live-Fernsehspiel ist bis heute erhalten und kann hier in voller Länge betrachtet werden:





Standfoto von der Aufzeichnung des Fernsehspiels, 1954
Der Erfolg des Fernsehspiels und die guten Kritiken weckten Interesse beim Filmstudio United Artists. Dazu ist zu wissen, dass es im amerikanischen Kino der 50iger Jahre zwei große Tendenzen gab um der Konkurrenz des zum Massenmedium gewordenen Fernsehens zu trotzen. Einerseits setzte man auf das, was eben das Fernsehen nicht leisten konnte, farbenprächtige Monumentalfilme in Cinemascope die mit ihren Schauwerten punkteten, andererseits übernahm man die besten Ideen des damals experimentierfreudigen jungen Mediums Fernsehen und arbeitete sie qualitativ hochwertig aus. So fanden neben „Die 12 Geschworenen“ die Fernsehspiele „Urteil von Nürnberg“ (1959), „Licht im Dunkel“ (1959), „Die Tage des Weines und der Rosen“ (1958) und „Marty (1954)“ auf die große Leinwand. Die Kinofassung von „Marty“ hatte 1955 gar 4 Oscars gewonnen, darunter für den besten Film des Jahres.

Aufnahmen zum Fernsehspiel von 1954. Hintere Reihe, dritter von Links ,
Joseph Sweeney, zweiter von rechts George Voskovec (hier noch ohne Schnauz)


Kein Wunder daher, dass im selben Jahr Interesse an dem originellen TV – Stoff von Reginald Rose aufkam. Andererseits war der Stoff, der ja weitgehend nur in einem einzigem Raum spielte und nicht einmal Namen für die Charaktere vorsah, so ungewöhnlich und gewagt, dass das Studio – so steht zu vermuten – nicht das volle Risiko tragen wollte.


Henry Fonda, 1956 bei den Dreharbeiten.
So lässt sich erklären warum man an Hollywoodstar Henry Fonda nicht nur im Hinblick auf die Hauptrolle, Nr.8, herantrat, sondern auch mit der Frage ob er gewillt sei den Stoff zu produzieren. Er war gewillt, und so produzierte er den Film schließlich zusammen mit einem Co – Produzenten – Autor Reginald Rose – für United Artists. Fonda musste sogar eine Hypothek auf sein Haus aufnehmen um an das Geld für das ambitionierte Projekt zu gelangen. Insgesamt stand letztlich ein Budget von 350 000 Dollar zur Verfügung.

Für die Regie wählte er den erst 31 Jahre alten Fernseh- und Theaterregisseur Sidney Lumet der noch nie zuvor einen Kinofilm inszeniert, aber mit seinen Fernseharbeiten Fondas Aufmerksamkeit erzielt hatte. Lumet spricht hier , entwaffnend ehrlich, über seine Motivation den Film zu machen:





Besetzt wurde die Kinofassung mit hochklassigen Film-, Fernseh- und Theaterschauspielern, nur George Voskovec ( der tatsächlich aus der Tschechoslowakei stammte; bekannt auch als Hellseher Peter Hurkos in „Der Frauenmörder von Boston“ 1968) und Joseph Sweeney entstammten dabei der ursprünglichen Besetzung des TV – Spiels. Überhaupt versammelte man, wie im Rückblick zu sagen ist, eine der hochkarätigsten Besetzungen der Kinogeschichte. Neben den Film- und Theatertitanen Henry Fonda (zweifacher Oscarpreisträger, „Früchte des Zorns“ 1940) und Lee J. Cobb („Die Faust im Nacken“ 1954, „Exodus“ 1960), den Veteranen Ed Begley sr. (Oscar als Bester Nebendarsteller für „Süßer Vogel Jugend“ 1962) und E.G. Marshall (2-facher Emmy Preisträger, „Die Caine war ihr Schicksal“ 1954), spielte die erste Riege junger Charakterdarsteller aus der Schmiede des Actor’s Studio: Jack Warden („Verdammt in alle Ewigkeit“ 1953), Martin Balsam (Detective Arbogast in „Psycho“, Oscar als Bester Nebendarsteller für „Tausend Clowns“ 1965), Newcomer Jack Klugman (der in den 70igern im TV als Oscar Madison in „Männerwirtschaft“ und als titelgebender Gerichtsmediziner in „Quincy“ berühmt wurde) und John Fiedler („Ein Fleck in der Sonne“ 1962, „Ein seltsames Paar“ 1968), sowie einige der gefragtesten ewigen Nebendarsteller wie Edward Binns („Urteil von Nürnberg“ 1961, „Der unsichtbare Dritte“ 1959) und Robert Webber (ein ungewöhnlich vielbeschäftigter TV-Darsteller, der später in der Serie „The Defenders“ wieder mit E.G. Marshall und mehrfach in „Quincy“ mit Jack Klugman zusammentreffen sollte). Es war eine Besetzung aus der jeder einzelne Darsteller herausragte.

Zwei Wochen lang probte Lumet mit den Schauspielern (wobei er darauf bestand dass die Schauspieler sich möglichst lange in den Studiokulissen aufhielten, um den klaustrophobischen Zustand des Eingeschlossenseins überzeugender spielen zu können).


Jüngster am Set: Sidney Lumet (Mitte). Links vorne E.G. Marshall, rechts von Lumet Jack Warden und Edward Binns (abgeschnitten)


Gespräch mit der Crew, (von links): Henry Fonda, Sidney Lumet und Lee J. Cobb
Der komplette Film wurde im Anschluss innerhalb von nur 21 Tagen abgedreht, was vermutlich neben dem Budget den enormen Terminschwierigkeiten geschuldet war, 12 vielbeschäftigte Schauspieler, die alle in jeder Szene zu sehen sind, im Block zu buchen. Die Einsparungen stellten das Team dabei vor verschiedene Herausforderungen:

So soll sich Fonda bei Regisseur Lumet zu Drehbeginn über die billigen Außenkulissen hintern den Fenstern des Jury Rooms beklagt haben. "They look like shit. Hitch had great backdrops, you could walk right in them” erklärte er in Bezug auf den Film “Der falsche Mann” (1954) den er unmittelbar zuvor unter Hitchcock gedreht hatte.

Lumet gelang es, Fonda zu überzeugen, dass Kamermann Boris Kaufmann eine Lösung dafür habe, die Kulissen besser wirken zu lassen. Dem Budget war es auch geschuldet, dass das Kammerspiel, was im fertigen Film nicht mehr wahrgenommen werden kann, achronologisch gedreht werden musste. War eine Aufnahme aus einem bestimmten Winkel eingerichtet und ausgeleuchtet, mussten danach auch alle anderen Takes ,die aus diesem Winkel gedreht werden sollten, gefilmt werden. Das bedeutete, dass der Gegenschuss zum Teil erst bis zu zwei Wochen später gedreht werden konnte. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit den kompletten Film vorab wie ein Bühnenstück einzuproben. Nur so konnte diese Logistik ohne Qualitätsverlust durchgehalten werden.


Ein Regisseur wie ein Cowboy: Sidney Lumet.
Um eine klaustrophobische Stimmung zu erzeugen, verwendete Regisseur Sidney Lumet für die Filmkameras Linsen mit einer längeren Brennweite, so dass aus der Sicht des Zuschauers die Darsteller mit dem Bildhintergrund verschmelzen. Durch den Einsatz dieser verschiedenen Linsen erreichten Lumet und Kaufmann, auch dass das Zimmer anfangs groß, im weiteren Verlauf der Handlung aber immer enger wirkt. Dies, so Ulrich Behrens, unterstrich „die sich zuspitzende Auseinandersetzung der Männer, aber auch, dass durch die Argumentation von No. 8 auch immer mehr andere Geschworene den Sinn ihres Tuns erst richtig begreifen, ihre Verantwortung erkennen und sich selbst und den anderen Fragen stellen, auf die sie zuvor nie gekommen wären - also die wachsende Dichte der Handlung“


Grandiose bildgestaltung: Boris Kaufmann


Director of Photography Boris Kaufmann (links) bei der Arbeit, in der Mitte
Sidney Lumet, rechts sitzend: John Fiedler.
Tatsächlich ist Boris Kaufmanns Kameraführung ganz besonders herauszuheben, weil ihre hohe Qualität und Originalität speziell von jüngeren Betrachtern gern nicht erkannt oder zu Unrecht sträflich unterschätzt wird. Wie Kaufmann in den sehr beengten räumlichen Verhältnissen, die zu fast unmöglichen Winkeln und extrem komplexen Drehabläufen führen, das Geschehen filmt, die Personen gruppiert, die Einstellungen kunstvoll stets so wählt, dass sie visuell die Handlung erzählen, ja mitgestalten, visuell extrem ungewöhnliche, alles andere als zeitspezifische, Auflösungen sucht und findet, inklusive einiger langer, herausragend schwierigen Plansequenzen, den Platzmangel radikal zur optischen Stärke des Films wendet – das alles ist absolut brillant und erhebt den Stoff meilenweit über ein bloß abgefilmtes Bühnenstück (wie bei der deutschen Fernsehneuverfilmung der 60iger) zu einer ganz und gar filmischen, kinogerechten Erfahrung, einem wahren photographischen Leckerbissen.


Wie Kritiker-Legende Roger Ebert treffend zusammengefasst hat:

“Die ist ein Film, in dem die Spannung sich aus persönlichen Konflikten, Dialogen und Körpersprache ableitet, nicht von Action; in dem der Angeklagte nur in einer einzelnen kurzen Einstellung zu sehen ist; in dem Logik, Emotion und Vorurteil um die Vorherrschaft auf dem Feld ringen. Er ist ein Meisterwerk des stilisierten Realismus‘ – der Stil entsteht in der Art und Weise in der Photographie und Schnitt die blanke Essenz des Inhalts kommentieren.“


Heroisch, selbst  in der Drehpause: Henry Fonda (Mitte)

Ideal in die Hände spielte Kaufmann dabei Sidney Lumets außerordentliche Inszenierung mit ihrem perfekten Gespür für Raum und Tempo, für Dichte und Spannung. Gerade wenn sich die Handlung in so extremer räumlicher Enge abspielt, muss eine Inszenierung die den Zuschauer mitreißen soll, von ungeheurer Originalität sein, den Zuschauer stets kreativ überraschen, ihn bei jedem Bewegungsablauf mitdenken um seine Aufmerksamkeit niemals zu verlieren. Schließlich gibt es keine Schauwerte mit denen man ihn betören oder blenden könnte. Die enorme Stilsicherheit mit der Lumet das in seinem Kinodebüt bereits gelingt ist absolut verblüffend – er hat das Publikum von der ersten Minute an völlig in der Hand und lässt es, bis zur letzten, nicht mehr los. Mehrere Filmhochschulen haben die räumliche Inszenierung, das „Blocking“ von „Die zwölf Geschworenen“ ausführlich analysiert – es ist ein perfektes Lehrbeispiel (Achtung leichte Spoiler) :





Ein Mann und sein Skript - alleine gegen das  Unrecht....
Henry Fonda, war, auch aufgrund des ursprünglichen finanziellen Misserfolgs der der Produktion beschieden sein sollte, mit seiner Rolle als Produzent offenbar so unglücklich, dass er später nie wieder in diese Funktion schlüpfte. Bei der ersten Testvorführung des fertigen Films im Schneideraum, verließ Fonda, der sich selbst nicht gerne auf der Leinwand sah, dann zwar vorzeitig den Raum, jedoch nicht ohne dem jungen Regisseur zuzuflüstern

„Sidney, it’s magnificent“.

Originalplakat von 1957
Fragt man nach den künstlerischen Intentionen des Films „Die 12 Geschworenen“ so wird man vor allen Dingen drei Hauptabsichten der Macher feststellen können: Einerseits stellt der Film eine mustergültige Lösung für eine alte filmische Forderung dar, nämlich die Erzeugung größtmöglicher Spannung auf geringstem Raum. Hitchcock selbst hatte diese Herausforderung schon 1948 mit der Verfilmung des Bühnenthrillers „Cocktail für eine Leiche“ ("Rope") angenommen, den er noch dazu fast ohne Schnitte gedreht hatte.
Dass sich auch Rose und Lumet dieser Aufgabenstellung stellen wollten wird schon daran deutlich dass der Drehbuchautor sich auch im Spielfilmdrehbuch auf nur 2 Räume (Geschworenenzimmer und angeschlossener Waschraum) beschränkt, obschon er hier, im Gegensatz zum Live- Fernsehspiel ganz andere Möglichkeiten und eine um 30 Minuten längere Laufzeit zur Verfügung gehabt hätte.


Auch die bereits erwähnte Nutzung der Linsen (zu Beginn Weitwinkelaufnahmen über Augenhöhe um eine größere Tiefenwirkung zu erreichen, bis zur verstärkten Nutzung von aus niedrigem Aufnahmewinkel mit Teleobjektiv gedrehten Close Ups im letzten Filmdrittel) also einer bewussten linearen Steigerung von Dichte und Intensität, bei gleichzeitiger bewusster Entscheidung auf räumliche Einschränkung, belegt diese Absicht deutlich.

Die zweite klare Aussageabsicht ergibt sich daraus:
Da die physische Handlung durch räumliche Einschränkung zurücktritt, treten Dialoge in den Vordergrund und damit die Diskussion, die zu einer Entscheidung über Leben und Tod führen soll. Hierbei wird, quasi in einem Musterbeispiel eristischer Dialektik, die Frage nach der Wahrheit zum Hauptthema des Films, scheinbar sichere Annahmen, fixe Wahrheiten werden erschüttert und ad absurdum geführt, so dass dem Zuschauer seine eigenen Vorurteile, seine eigene Voreingenommenheit sichtbar gemacht wird, aber nicht indem sie von oben herab doziert wird, sondern indem der Betrachter den packenden Prozess der Wahrheitsfindung selbst miterlebt, ja, da er selbst in der Lage ist mitzudenken, sogar durchlebt. So wird letztlich eine scharfe Aussage über vorschnelles Urteilen getroffen, ohne jemals direkt formuliert zu werden. Ein filmischer Gewissenstest. 

Gänsehaut - Moment.  11 der Geschworenen drehen dem Rassismus von Nummer 10 (Im Vordergrund sitzend: Ed Begley sr.)  buchstäblich den Rücken zu.

Oder wie Kritiker Hans Weigel es formuliert „Hier diskutiert am simplen Fall die Demokratie sich selbst, geht bei sich selbst in die Lehre, gewinnt fundamentale Einblicke in ihr Wesen, ihre Größe und ihre Gefährdung – und dies alles ganz und gar ohne lehrhafte Gemeinplätze, nur an Hand eines spannenden Kriminalfalls[…] Die zwölf Männer in ihrer Klausur werden zu Aposteln einer großen Botschaft, zum klassischen Modellfall“

Eine dritte Intention der Filmemacher kann man im juristischen Bereich mutmaßen. Der Geschworene Nummer 8 sagt im Film:


“Es ist immer schwierig persönliche Vorurteile aus seiner Sache wie dieser herauszuhalten. Und wo immer man sie antrifft, verdunkeln Vorurteile stets die Wahrheit. Ich weiss nicht was die Wahrheit ist. Ich nehme an, das wird niemand je wirklich wissen. Einige von uns haben das Gefühl, dass der Angeklagte unschuldig ist, aber wir setzen nur auf Wahrscheinlichkeiten. Wir können falsch liegen. Wir lassen vielleicht einen schuldigen Mann frei ausgehen, Ich weiss es nicht. Niemand kann es wissen. Aber wir haben einen begründeten Zweifel, und das etwas sehr Wertvolles in unserem Rechtssystem. Wir dürfen zweifeln. Kein Geschworener darf einen Menschen schuldig sprechen, wenn er nicht sicher ist.“

Bedenkt man aber, dass zu Beginn der Handlung die Abstimmung 11 zu 1 für schuldig steht, und der Urteilsspruch somit fundamental davon abhängt, dass es, durch den Zufall der Auswahl, einen Geschworenen Nummer 8 gibt, der auf seinem Recht beharrt zu zweifeln, und diese Zweifel damit letztlich auf die Gruppe überträgt, wird durchaus eine gewisse subtile, absolut berechtigte Kritik am US Geschworenensystem selbst, wie es bei Kapitalverbrechen (und damit auch bei Fällen drohender Todesstrafe) zur Anwendung kommt, sichtbar.

Was wenn es keinen Geschworenen Nummer 8 gegeben hätte? Darf ein Urteil abhängen von einem Zufall? Sollte davon das Leben eines Menschen abhängen dürfen – von zwölf wütenden Männern?

Die Beschreibung der 12 Geschworenen aus Reginald Roses Drehbuch.


So lässt sich zusammenfassend festhalten, dass „die 12 Geschworenen“ sich ganz bewusst gegen den in den kommenden Jahren stärker werdenden Trend, den Großfilm, positioniert, und stattdessen ein technisch schnörkelloses, schlichtes Charakterdrama bieten will, in dem es um Figuren und deren Entwicklung, ihr Verhalten untereinander geht, ein Schauspielerfilm also, der sich mit komplexen übergeordneten Ideen und Fragen am konkreten Beispiel beschäftigt.

Genau diese Weichenstellung, besonders das Fehlen von Farbe, Breitwandformat und Schauwerten bei Besetzung nur eines zugkräftigen Stars (Fonda) war allerdings auch der Grund weshalb der Film an den Kinokassen kein kommerzieller Erfolg war, hier konnte auch ein extrem reißerischer Trailer nicht mehr helfen. Tatsächlich wurde der heute legendäre Klassiker ein Minusgeschäft, das schon nach nur einer Woche Laufzeit wieder aus den Kinos verschwand.


Späte Ehre:  Fan-Art.
Dennoch brachte seine Qualität „Die 12 Geschworenen“ bei der Verleihung von 1957 drei Oscarnominierungen ein: Bester Film des Jahres, Beste Regie und bestes adaptiertes Drehbuch. In keiner der Kategorien gab es einen Sieg, zu stark war die Konkurrenz durch David Leans Kriegsdrama „Die Brücke am Kwai“, das zwar gleichermaßen exzellent, aber eben zusätzlich in Farbe und Cinemascope war, und obendrein beträchtliche Schauwerte bot. Die Meinung der Kritiker jedoch war damals einhellig positiv. A.H. Weiler schrieb in der New York Times:

„For Reginald Rose's excellent film elaboration of his fine television play of 1954, which arrived at the Capitol Saturday, is a penetrating, sensitive and sometimes shocking dissection of the hearts and minds of men who obviously are something less than gods. It makes for taut, absorbing and compelling drama that reaches far beyond the close confines of its jury room setting.”

Und setzte in Bezug auf die Leistung des jungen Regisseurs hinzu: "Sidney Lumet […] made expert use of a superb cast, which is ingeniously photographed in what normally would have been static situations.”

Die Fachzeitschrift Variety zeigte sich differenzierter, doch gleichfalls beeindruckt. Dort hieß es:

„Most of the action takes place in the one room on a hot summer day. The effect, rather than being confining, serves to heighten the drama. It's not static, however, for Sidney Lumet, making his bow as a film director, has cleverly maneuvered his players in the small area. Perhaps the motivations of each juror are introduced too quickly and are repeated too often before each changes his vote. However, the film leaves a tremendous impact.”


Die im amerikanischen Inland verweigerte Anerkennung, was Auszeichnungen betraf, holte sich der Film dann bezeichnenderweise im Ausland. „Die 12 Geschworenen“ erhielt ,neben dem Preis als bester Auslandsdarsteller der British Academy Of Film & Television Arts und der finnischen Jussi Awards für Henry Fonda, 1957 den Goldenen Bären für den besten Film und den Preis der ökumenischen Filmkritik auf den Filmfestspielen von Berlin, den dänischen Bodil, den Preis der italienischen Filmkritiker, den Cesar in Frankreich , das blaue Band sowie den Kinema Junpo Preis (beide Japan) für den besten Auslandsfilm; das Drehbuch von Reginald Rose wurde mit dem Preis des amerikanischen Schriftstellerverbands und dem Edgar Allan Poe Award ausgezeichnet. Auf dem Filmfestival von Locarno erhielt der Film eine lobende Erwähnung.


Auszug aus der deutschen Theaterfassung, erschienen bei Reclam.



In Locarno war es auch, wo die Idee ihren Anfang nahm „die 12 Geschworenen“ für die Bühne zu adaptieren, es entstand eine bis heute viel gespielte US amerikanische Bühnenfassung unter dem Titel „Twelve Angry Men“ (bzw. „Twelve Angry Women“ im Fall einer weiblichen und „Twelve Angry Jurors“ im Fall einer gemischten Besetzung) adaptiert von Sherman L. Sergel, inszeniert unter anderem 1996 von Harold Pinter in London, und eine leider bearbeitete und verschlimmbesserte deutsche Fassung von Horst Budjuhn, die, nach langer Durststrecke mittlerweile wieder mehr gespielt wird; bemerkenswert bleibt allein die Uraufführung 1958 an den Münchner Kammerspielen unter Hans Schweikart – hauptsächlich wegen der riesigen Hürden die der Snobismus der deutschen Theaterlandschaft der 50iger für die Produktion aufstellte. Schweikart hatte große Schwierigkeiten das Stück adequat zu besetzen, da fast alle renommierten Schauspieler die er anfragte es ablehnten Rollen zu spielen die zwar Nummern, aber keine Namen haben.


Vor Schweikart war der Stoff dem legendären Berliner Theatermacher Boleslaw Barlog angeboten worden der das Stück, ebenfalls aus purem Snobismus, zurückwies. Der SPIEGEL berichtete seinerzeit, nicht ohne eigene Herablassung:

„Der Berliner Intendant Boleslaw Barlog allerdings, dem die Uraufführung zuerst angeboten worden war, versagte sich und seinen Bühnen (Schiller- und Schloßpark -Theater) die Annahme des neuen Stücks mit dem keineswegs unbekannten Titel. Er dürfe es sich dem Publikum gegenüber nicht erlauben, erklärte er, `einen erfolgreichen Film in einer noch so brillanten Bühnenfassung nachzuspielen´.“

Im englischsprachigen Raum war es absolut nicht ungewöhnlich das reizvolle Filmstoffe ihren Weg auch auf die Bühne fanden, in Deutschland war es ein unvorstellbarer Tabubruch. Auch Schweikarts Inszenierung wurde von der WELT ("knapp, simpel, spannend, allgemeinverständlich, vordergründig, geschickt und kunstlos") und MERKUR ("Reißer mit Moral") letztlich verrissen, wenngleich garniert mit vergiftetem Lob.
Die Theaterfassung überlebte all das.


"Die zwölf Vergilbten": Brillante Parodie bei den "Simpsons"
Die filmischen Querverbindungen von „die 12 Geschworenen“ indes sind, aufgrund des Einflusses, so zahlreich, dass ihre vollständige Darstellung den Umfang dieses Textes bei weitem sprengen würde. Man kann ohne Übertreibung behaupten dass jeder angloamerikanische Film und jede Fernsehepisode (Bis hin zu den „Simpsons“) nach 1956 der/die von Geschworenen handelt direkt von diesem Werk beeinflusst wurde.




Zwölf Geschworene in Quahog: "Family Guy"




Oscar Madison (Jack Klugman, stehend) verzweifelt am Geschworenen
Nummer 8 , Felix Ungar (Tony Randall, links vorne)
Hervorzuheben wäre vielleicht eine Folge der Sitcom „Männerwirtschaft“ aus den 70iger Jahren, einer Serie entwickelt aus der Boulevardkomödie „Ein seltsames Paar“ von Neil Simon. In der fraglichen Folge "The Jury Story“ wird eine alternative Variante erzählt, wie der penetrante Ordnungsfanatiker Felix Ungar (Tony Randall) und der schlampige Sportreporter Oscar Madison sich kennenlernen. Als Geschworene in einem Mordprozess. Nur ist es diesmal der putzsüchtige Felix der die elf anderen Männer wütend macht und schier in den Irrsinn treibt. Eine herrliche ironische Anspielung, zumal in der Serie die Hauptrolle des Oscar Madison von Jack Klugman gespielt wird, der im Original den Geschworenen Nummer 5 dargestellt hatte, und der in dieser Persiflage seine eigene Darstellung auf die Schippe nehmen darf.


In dubio pro Law and Order: Reverend Camden (Stephen Collins)
Auch zu Pervertierungen kam es durchaus. So gibt es in der christlich-konservativen, evangelikal angehauchten Serie „Eine himmlische Familie“ (7th Heaven), rund um die Familie des Pastors Eric Camden (Stephen Collins, der mittlerweile wegen der Nötigung Minderjähriger nicht mehr besetzt wird), eine Folge mit dem Titel „12 Angry People“ – allerdings, der reaktionären Haltung der Serie entsprechend, mit umgekehrten Vorzeichen. So versucht Reverend Camden als Geschworener in einem Mordprozess seine Mit-Juroren von einem unwahrscheinlichen Schuldspruch zu überzeugen – weil Strafe nun mal sein muss…


Deutsches TV-Remake von 1963, auf DVD erschienen beim Label Pidax.
Neben mehreren Fernsehneuverfilmungen des Stoffs - dem gelungenen Remake von William Friedkin („der Exorzist“) von 1997, mit Jack Lemmon als Nummer 8 und George C. Scott als Nummer 3, dem guten aber unterlegenen deutschen Fernsehremake von 1963 (unter anderem mit Siegfried Lowitz, Mario Adorf und Ralf Wolter), dem norwegischen von 1983, dem indischen von 1987 und dem französischen 2010 - erklomm der Stoff in einer nicht ausgewiesenen Neufassung von Nikita Michalkow 2007 auch wieder die Kinoleinwand.   Bei dessen vielbeachtetem Spielfilm mit dem Titel „12“ handelt es sich eindeutig um ein Remake, also eine Neuverfilmung von„Die 12 Geschworenen“, somit auch um die Wiederverwertung des Originaldrehbuchs von Reginald Rose.


Neuverfilmung durch William Friedkin, 1997
Bemerkenswert daran ist, dass im russischen Originalvorspann des Films ,der auf den Filmfestspielen von Venedig 2007 als „neuer Beweis Michalkows Meisterschaft in der filmischen Erforschung und Enthüllung der Komplexität der Existenz“ gefeiert wurde, die Autorenschaft von Rose nirgends erwähnt wird, auch im autorisierten Internetnachschlagewerk Internet Movie Database sind als Drehbuchautoren lediglich Nikita Michalkow, Aleksandr Novototsky und Vladimir Moiseyenko genannt, zu deren Beitrag unter anderem ein veränderter Schluß gehören dürfte. Auch ein Verweis irgendwelcher Art auf eine Originalstory fehlt. So wurde also einerseits ein großer, legendärer Stoff der regelrecht Filmgeschichte atmet, einem breiten, künstlerisch interessierten Publikum, das den Film von 1956 altersbedingt nicht mehr kennt, in neu aufbereiteter Form zugänglich, wieder lebendig gemacht, andererseits aber dessen Wurzeln verleugnet. 

Angesichts der großen Bedeutung des Originals, das als meisterhaftes Ensemblekammerspiel bis heute unübertroffen ist, ist dieses Zugeständnis an das menschliche Vergessen sehr bedauerlich, zumal der Effekt der Überlagerung eines Originals – in der Wahrnehmung des Publikums - durch eine neuere Version auch hier Platz greifen könnte.

„Die 12 Geschworenen“ gilt heute nicht nur als bedeutender Klassiker sondern wird darüber hinaus, wie es dort heißt von „[…] Soziologen und Psychologen bis heute als ein Musterbeispiel zur Anschauung von Rollenverhalten, Gruppenverhalten und gruppendynamischen Prozessen“ angesehen.

Kritiker Ulrich Behrens stellt heraus „das, was sich in diesen 96 Minuten zuträgt, ist so dicht, so intensiv, dass man am Ende den Eindruck hat, man habe selbst fast einen halben Tag in diesem Geschworenenzimmer zugebracht.“ Das Lexikon des internationalen Films bescheinigt dem Werk „eine große Dichte und Spannung“ und bezeichnet es im Weiteren als einen „Modellfall "demokratischer" Aufklärungsarbeit. Hervorragend besetzt, gespielt und fotografiert“ Im Kritikerspiegel von rottentomatoes erreicht „Die 12 Geschworenen“ sogar seit Jahren die nahezu unerreichbare Bewertung von 100 %.
Der Filmkritiker Roger Ebert nahm den Film in seine „Greatest Films“ Liste auf, und das American Film Institute (AFI) listet „die 12 Geschworenen“ auf Rang 42 der „Most Inspiring Movies“ ,auf Rang 87 der besten Filme des 20. Jahrhunderts und als zweitbesten Gerichtsfilm der Geschichte – hinter „Wer die Nachtigall stört“ von 1962 und vor „Urteil von Nürnberg“ mit dem er seine Entstehungsgeschichte teilt.

2007 wurde „Die 12 Geschworenen“ als "culturally, historically, or aesthetically significant" in die Library Of Congress aufgenommen.



Wie lautet meine persönliche Einschätzung des Films „Die 12 Geschworenen“ von Sidney Lumet?

Ich halte ihn für zweierlei. Zum Einen für einen definitionsgemäßen Klassiker. Zum anderen für ein Meisterwerk. Über die Qualitäten des Films – die brillanten, geschliffenen Dialoge mit mustergültiger Entwicklung und Ausarbeitung der zwölf unterschiedlichen Charaktere, die exzellente Schwarzweißphotographie die kunstvoll jede Statik unterläuft und den Zuschauer regelrecht in das Geschworenenzimmer und die Situation saugt, die ausnahmslos starken Darstellungen aller zwölf Schauspieler des von Sidney Lumet sensibel zu Spitzenleistungen geführten Ensembles (eine Meisterleistung der Schauspielerführung die Lumet 1976 mit „Network“ wiederholte) , das starke, enorm komplex ausgeschöpfte und beleuchtete Thema, und nicht zuletzt die schlichte und wohltuend selten eingesetzte aber hervorragende Filmmusik von Kenyon Hopkins – gibt es keinen Zweifel.

Es sind die Qualitäten die den Film bis zum heutigen Tag nichts von seiner ungeheuren Wirkung auf den Betrachter haben verlieren lassen. Zum Klassiker aber macht ihn etwas Anderes: Es ist ein ganz und gar originärer Film, etwas das in dieser Form noch nie vorher versucht worden war – der erste reine, pure Ensemblefilm der Filmgeschichte. Die Hauptrolle ist das Ensemble, alle Schauspieler sind nahezu über die komplette Laufzeit im Bild. Er definierte alle nachfolgenden Arbeiten in diesem Bereich. Er ist der Standard, der Maßstab.

Er ist aber nicht nur der Beginn des Ensemblefilms, er ist auch bereits dessen Höhepunkt, da er qualitativ bis heute nicht übertroffen worden ist. Zum Meisterwerk, also dem Werk eines Meisters, macht ihn neben dieser Überzeitlichkeit bezüglich der Wirkung, der Umstand das alle Beteiligten sich auf dem Höhepunkt ihres Könnens befanden, seine erstaunliche Makellosigkeit, vor allem aber der Umstand, dass hier etwas entstanden ist, dessen künstlerischer Einfluss erkennbar und nachweisbar weit über sich selbst hinausweist, bis zum Film von Nikita Michalkow, bis in die Wirklichkeit des Jahres 2018 – und weit darüber hinaus.


FAZIT:   Ehrfurchtgebietendes  Meisterwerk, grandios geschrieben,  inszeniert und fotografiert, getragen von einem furiosen Darsteller-Ensemble. Unerträglich spannend und völlig unvergesslich. Eine der zehn besten Filme der Filmgeschichte.