Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Mittwoch, 26. Januar 2022

"Z" 1969


Z

 „Z“ (1969) von Constantin Costa-Gavras 

Besetzung;
Yves Montand: Politiker
Jean-Louis Trintignant: Ermittlungsrichter
Irene Papas: Frau des Politikers
Jacques Perrin: Fotojournalist
Charles Denner: Manuel
Bernard Fresson: Matt
Georges Géret: Nick
François Périer: Staatsanwalt
Pierre Dux: General
Magali Noël: Nicks Schwester
Marcel Bozzuffi: Vago
Renato Salvatori: Yago
Clotilde Joano: Shoula
Julien Guiomar: Polizeioberst

„Unerträglich aufregend!“ Pauline Kael, Kritikerlegende

„Gavras' Umgang mit dem Lambrakis-Fall resultierte in einem temporeichen, straffen, jazzigen Film, der selbst Hollywood-konditionierte Mystery-Action-Süchtige begeistern konnte.“
Jim Williams

„In seiner eleganten filmischen Dringlichkeit und seiner Wut hat Z immer noch die Macht, das Publikum aufzurütteln.“
Ty Burr, The Boston Globe

„Der Film "Z" handelt von einem dieser Dinge: von der Ermordung eines Führers der politischen Opposition in Griechenland vor sechs Jahren. Es geht auch um alle anderen. Für die Amerikaner geht es um das My Lai-Massaker, um die Ermordung von Fred Hampton, um die Schweinebucht. Es geht darin nicht mehr um Griechenland, als es bei "Die Schlacht von Algier" um Algerien ging. Es ist ein Film unserer Zeit. Er handelt davon, wie selbst moralische Siege korrumpiert werden. Er wird Sie zum Weinen bringen und Sie wütend machen. Er wird Ihnen die Eingeweide herausreißen.
[…]
Dies scheinen rein politische Ereignisse zu sein, aber der junge Regisseur Costa-Gravas hat sie in einem Stil erzählt, der fast unerträglich spannend ist. "Z" ist gleichzeitig ein politischer Wutschrei und ein brillanter Spannungsthriller. Er endet sogar in einer Verfolgungsjagd: Nicht durch die Straßen, sondern durch ein Labyrinth aus Fakten, Alibis und offizieller Korruption.“

Roger Ebert, Filmkritikerlegende, 1970 in der Chicago Sun Times.


Es war der legendäre und ungeheuer gewagte Politthriller „Z“ der den Namen des Regisseurs, Costa-Gavras, international auf die Landkarte der Filmgeschichte setzte.

Noch während der rechtsextremen Militärdiktatur in Griechenland, griff der Grieche Costa-Gavras, basierend auf dem Tatsachenroman von Vasilis Vasilikos, dieselbe vor einer internationalen Öffentlichkeit frontal an. Es war Costa-Gavras dritter Film, und er schrieb, zusammen mit dem preisgekrönten Romancier Jorge Semprun auch das preisgekrönte Drehbuch.


So gewagt war der Film 1969, dass er aus Sicherheitsgründen französisch finanziert und de facto in Algerien gedreht werden musste. Nebendarstellerin Irene Papas, die ,seit „Alexis Sorbas“ (1964), eine internationale Karriere hatte, wurde als Mitglied der kommunistischen Partei unter dem Regime verfolgt und musste vor Beginn der Dreharbeiten aus Griechenland fliehen.

Der legendäre Komponist des Soundtracks, Mikis Theodorakis, der zugleich linker Aktivist war, war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten bereits verhaftet und unter Hausarrest in Griechenland, er konnte Costa-Gavras lediglich die Verwendung bereits bestehender Stücke genehmigen bevor man ihn nach der Premiere in ein Konzentrationslager steckte, wo er nur knapp überlebte.


Zum Schutz der Crew, werden im Film die realen Nachnamen der Personen nicht verwendet, sie heißen nur „Der Doktor“ „Der Untersuchungsrichter“, „Der Oberst“.

Dass der Film überhaupt produziert werden konnte ist den algerischen Produzenten und deren französischem Kontaktmann, dem jungen Schauspieler Jacques Perrin zu verdanken (die meisten kennen ihn aus Tornatores „Cinema Paradiso“ von 1989, besonders aus dieser legendären Szene: https://www.facebook.com/permalink.php...) der als Co-Produzent fungierte und im Film die Rolle des „Journalisten“ spielte.

„Z“ erzählt die Geschichte der Ermordung des Linkssozialisten Grigoris Lambrakis im Jahr 1963 und der nachfolgenden Ermittlungen, die in einem Skandal gipfelten, der letztlich, als Gegenreaktion, zur rechtsextremen Militärdiktatur führte:

1963 wird der linkssozialistische Abgeordnete und Mediziner Grigoris Lambrakis (Yves Montand) auf einer pazifistischen, nato-kritischen Kundgebung in Saloniki in Ausschreitungen durch rechten Pöbel hineingerissen und dabei getötet, da die Polizei, trotz bestehender Todesdrohungen, die Absicherung der Veranstaltung verweigert und die Eskalation geschürt hat.

Der eher schüchterne junge Untersuchungsrichter Christos Sartzetakis (Darstellerpreis der Filmfestspiele von Cannes: Jean-Louis Trintignant), ein hochintelligenter Technokrat von vulkanischer Logik, wird mit den ersten Ermittlungen betraut.


Seine Vorgesetzten erwarten sich die Bestätigung eines „Unfalls“ – doch weit gefehlt: Unbeirrt und unbestechlich ermittelt der durch und durch ehrbare, unerfahrene Untersuchungsrichter, der seinen Amtseid wichtiger nimmt, als seine Vorgesetzten und als seine eigene Karriere, die Tatsachen, und, obschon selbst kein Linker, folgt er der Spur der Wahrheit und entlarvt eine unglaubliche Verschwörung:
Lambrakis war nicht „überfahren“ worden, sondern wurde durch einen tödlichen Schlag mit einem Schlagstock umgebracht, ein Mord, den hochrangige rechte Polizeifunktionäre und Militärs, in Zusammenarbeit mit einer rechtsextremen Bürgerwehr, geplant und beauftragt hatten.
„Der kleine Richter ist nicht umgefallen“ lautet einer der triumphalsten Sätze des Filmes, als Sartzetakis seine eigenen Vorgesetzten wegen Mordes anklagt.
Aber leider wird es so nicht kommen.
Militär- und Polizei putschen, und errichten als Junta, eine rechte Diktatur. Der Untersuchungsrichter wird abgesetzt. Das Verfahren eingestellt.
Im Epilog erfahren wir von den Maßnahmen der Junta:


„Die Militärs verboten in einem Atemzug Männern das Tragen langer Haare, Miniröcke, Sophokles, Tolstoi, Euripides, das Gläserwerfen nach Trinksprüchen, Arbeitskämpfe bzw. Streiks, Aristophanes, Ionesco, Sartre, Albee, Pinter, Pressefreiheit, Soziologie, Beckett, Dostojewski, moderne Musik, Volksmusik, moderne Mathematik und den Buchstaben „Z“. Im Griechischen bedeutet Ζεί, gesprochen Zi, „er lebt“.“

„Z“ - der Titel dieses wagemutigen Filmes – war die Losung der Lambrakis-Anhänger im Untergrund, während der Diktatur.


Der echte Christos Sartzetakis wurde nach seiner Amtsenthebung 1968 (ein Jahr vor dem Film) unter dem Obristen-Regime zweimal verhaftet. Beim zweiten Mal blieb er insgesamt rund ein Jahr in Haft, wobei er die ersten 50 Tage im Gefängnis der EAT-ESA, einer für ihre Methoden berüchtigten Verhörabteilung der Militärpolizei, stark gefoltert wurde. Danach wurde er im Gefängnis Korydallos in Athen festgehalten, ohne dass er jemals vor Gericht gestellt wurde. Am 19. November 1971 wurde Sartzetakis auf internationalen Druck hin, vor allem seitens Frankreichs, schließlich freigelassen.


Nach der Wiedererrichtung der Demokratie in Griechenland wurde Sartzetakis im September 1974 als Richter wiedereingesetzt. Im Oktober 1982 wurde er Richter am Areopag, dem Obersten Gerichtshof Griechenlands.
Am 29. März 1985 wurde der Parteilose Sartzetakis durch das griechische Parlament auf Vorschlag von Premierminister Andreas Papandreou mit 180 von 300 Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt und am folgenden Tag vereidigt. Er blieb Staatschef Griechenlands bis 1990.

Constantin Costa-Gavras schuf mit „Z“ das erste große Meistwerk des wütenden Politkinos, das stilbildend und genreprägend wirkte, einen atemlos montierten, virtuos fotografierten und gerade in den Massenszenen pulstreibenden Film der zugleich ein hochspannender, völlig mitreißender Politthriller mit Gefahr für die Fingernägel als auch ein ambitionierter arthouse-Film mit assoziativer, radikaler Schnitt-Technik und satirischer Pointierung ist.

Eine wütende, hochemotionale Anklage die Costa-Gavras, unterstützt von einem Top-Ensemble, das auch noch auf seine Gagen verzichten musste, mit der Wucht eines Peitschenhiebes auf die Leinwand bannte, der bis zum heutigen Tage immer noch nachhallt.

„Z“ war 1969 eine filmische Sensation. Er war gewann den Preis der Jury und den Darstellerpreis auf den Filmfestspielen von Cannes, war viermal für den Britischen Filmpreis nominiert, gewann den Edgar Allan Poe Award 1970, wurde in den USA von der National Society of Film Critics, den Filmkritikern von Kansas City und den New Yorker Filmkritikern als Bester Film des Jahres prämiert, gewann den Golden Globe, für den Besten Auslandsfilm.

Außerdem erhielt „Z“ 1970 insgesamt 5 Oscar-Nominierungen: Bester Film des Jahres, Bester Auslandsfilm, Beste Regie, Beste Drehbuchadaption und Bester Schnitt.
„Z“ war das erste Werk der Filmgeschichte das sowohl als Bester Auslandsfilm als auch als Bester Film für den Oscar nominiert wurde.
Er gewann als Bester Auslandsfilm und für den Schnitt von Francoise Bonnot.
Bester Schnitt: https://www.youtube.com/watch?v=GdmwqfeLuyw
Bester Auslandsfilm (entgegengenommen von Jacques Perrin und Ahmed Rachedi): https://www.youtube.com/watch?v=GELDEEgWsCI


Das internationale Aufsehen, dass „Z“ verursachte, versetzte der griechischen Militärdiktatur einen schweren Schlag, da es sie den Ruf kostete und ihr weitreichend die Unterstützung auf diplomatischem Parkett entzog – mit Ausnahme der USA, denn die Nixon Administration unterstützte das Regime, und der SPD/FDP-Regierung (und CDU/CSU Opposition) in Deutschland. Aber viele andere Staaten wendeten sich ab und verweigerten die Kooperation.

Nach einem Putschversuch zur Machtübernahme auch auf Zypern 1974 verlor die angeschlagene Junta endgültig sowohl jede internationale Duldung, als auch die Unterstützung im eigenen Offizierskorps, und wurde zum Rücktritt gezwungen. Das war das Ende des Regimes.


FAZIT: Einer der besten Politthriller der Filmgeschichte, filmemacherisch umwerfend, rasiermesserscharf in der Anklage, der auch nach 51 Jahren immer noch die Kraft hat, sein Publikum völlig zu überwältigen.

PEEPING TOM – AUGEN DER ANGST



PEEPING TOM – AUGEN DER ANGST

 „PEEPING TOM – AUGEN DER ANGST (1960)“ 


Michael Powells hypnotisches Thriller–Meisterwerk stammt aus demelben Jahr wie Hitchcocks „Psycho“ und ist genauso bedeutend, war aber jahrzehntelang verschollen und unsagbar verfemt.

Stab
Regie Michael Powell
Drehbuch Leo Marks
Produktion Michael Powell
Musik Brian Easdale
Kamera Otto Heller
Schnitt Noreen Ackland

Besetzung
Karlheinz Böhm: Mark Lewis
Anna Massey: Helen
Maxine Audley: Helens Mutter
Moira Shearer: Vivian
Shirley Anne Field: Pauline Shields
Esmond Knight: Arthur Baden, Regisseur
Pamela Green: Milly, Model
Martin Miller: Dr. Rosar
Jack Watson: Chief Insp. Gregg
Nigel Davenport: Det. Sgt. Miller
Michael Goodliffe: Don Jarvis
Brenda Bruce: Dora, Prostituierte
Miles Malleson: Älterer Fotokunde

Der Inhalt:

Der scheue Profi-Kamermann & Beleuchter Mark Lewis, durch Kindheitserfahrungen mit seinem Vater, einem Verhaltensforscher, traumatisiert, toetet Frauen in dem er sie mit dem Stativ-Fuß seiner Kamera, in dem eine Klinge versteckt ist, ermordet und dabei die Todesangst in den Augen seiner Opfer als Close Up filmt (was wiederum der Zuschauer aus seiner subjektiven Perspektive durch das Okular seiner Kamera sieht). Später ergötzt er sich in seinem Vorführraum an den Filmen. Doch dann verliebt er sich in die neue Untermieterin in seinem Haus, und kämpft gegen seine schreckliche Neigung an. Doch deren blinde Mutter ahnt, dass etwas ganz und gar nicht stimmt….


Als der Film, in dem „Sissi“s Franzl Karlheinz Böhm als Carl Boehm herausragend den seelisch zerrissenen Serienmörder Mark Lewis spielt, anlief kam es zu einer katastrophalen Premiere. Das Publikum buhte den Film aus. Boehm und Star-Regisseur Powell wurden wie Aussätzige behandelt.
Die englischen Filmkritiker drehten völlig durch, zerstörten die Karriere von Powell, bis dahin einer der bedeutendsten britischen Regisseure der Tonfilmära, mit der Schreibmaschine. Die Kritiken waren so furchtbar, dass der Film nach der Laufzeit von nur einer Woche regelrecht aus den Kinos geprügelt wurde, und für Jahrzehnte verschwand.
 


Die Karrieren von Drehbuchautor Leo Marks, Regisseur Michael Powell und Karlheinz Böhm erholten sich niemals von dem Skandal. Bei weitem zu radikal war der an der Oberfläche virtuose, visuell brillante Thriller (sensationelle Farbdramaturgie!!), der zugleich eine komplexe Studie von Individualisierung & Vereinsamung, aber auch eine absolut verstörende, bis ins kleinste Detail durchdachte, Metapher für die Abgründe und Besessenheit des Filmemachens selbst darstellt.
„Peeping Tom“ (engl. für Voyeur, Spanner) war seiner Zeit um viele Jahrzehnte voraus- auch kriminologisch. Das Skript traf die Psychologie von Serienmördern, die die Abteilung für Verhaltensforschung des FBI in Quantico erst 10-15 Jahre später entschlüsseln sollte, mit frappierender Genauigkeit.


Erst 1979 wurde eine von Martin Scorsese bezahlte Restauration des bis dahin verschollenen Films auf dem New Yorker Filmfestival gezeigt, eine Wiederaufführung die zu stehenden Ovationen führte, die der über 80-jährige Michael Powell sehr gerührt entgegen nahm.
 
Fun Fact am Rande: Drehbuchautor Leo Marks wirkte später als Sprecher der Stimme des Teufels in Scorseses Meisterwerk „Die letzte Versuchung Christi“ (1988) mit – der einen noch größeren Skandal auslöste (ein Kino fiel sogar einem Brandanschlag zum Opfer), den Scorsese jedoch überstand.

UNBEDINGT SEHENSWERT!


Dienstag, 25. Januar 2022

HÖRSPIELTIPP: "DIE GRANDAUERS UND IHRE ZEIT" BR, (1979- 1984)


„Ein Meisterwerk. `Volkstheater´im ursprünglichen Sinne des Wortes“ HR2-Hörbuch-Bestenliste

„Ein Erzähl- und Hörwerk erster Güte“  FAZ
„Die bayerischen Buddenbrooks“  Christian Ude.
„Die Grandauers und ihre Zeit ist mehr als nur ein Hörspiel. Es ist ein Kunstwerk.“ Hoerspielsachen.


Mancher kennt vielleicht noch die vielfach ausgezeichnete bayerische Fernsehserie "Löwengrube" aus den späten 80iger und frühen 90iger Jahren.
Wenige wissen dass es sich dabei um ein Remake handelt; denn Grundlage und Vorläufer der Fernsehserie war eine meisterhafte 28teilige Hörspielserie des BR mit dem Titel "Die Grandauers und ihre Zeit".



Diese Serie - intensiver, dichter und, dank anderer Besetzung, auch schauspielerisch besser - liegt jetzt als komplette CD Box (mit unglaublich liebevollem Booklet) für Hörspielfans (c'est moí) vor.
Ich hab die Serie seinerzeit aus Suchtgründen komplett gehört (bis zu 3 Folgen an einem Abend) und möchte daher folgende Empfehlung abgeben:
In "Die Grandauers und ihre Zeit" stellt Autor & Erzähler Willy Purucker die Geschichte um die Familie Grandauer in der Zeit vom November 1893 bis zum April 1945 , über drei Generationen, vor dem Hintergrund der jeweiligen geschichtlichen Ereignisse dar.
Ausgehend vom Dorf - Gendarmen Ludwig Grandauer (Karl Obermayr, der Manni Kopfeck aus "Monaco Franze"), der sich von Griesbach zur Kriminaldirektion nach München hocharbeitet, nachdem er - den rigiden moralischen Vorstellungen der Zeit entsprechend - als Beamter 4 Jahre warten musste, um seine geliebte Agnes (Ilse Neubauer), eine Kellnerin, die sein uneheliches Kind Benno erwartet, endlich heiraten zu dürfen.
 

Dieser Sohn Benno (als Erwachsener, wiederum Karl Obermayr) tritt Jahrzehnte später , nach dem ersten Weltkrieg den er knapp überlebt, in seine Fußstapfen und wird ebenfalls Kriminalbeamter im Münchner Polizeipräsidium, genannt die "Löwengrube".
Er trifft auf die reiche Tochter der Musikalienhandlung Soleder, Traudl (wiederum Ilse Neubauer) und heiratet sie später. Dann folgt die Weltwirtschaftskrise und in ihrem Schatten das Heraufdämmern eines neuen Unheils, in Gestalt der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei.
Während Bennos Bruder, der Jurist Adolf Grandauer (Gerd Anthoff) sich der Bewegung begeistert anschließt, opponiert Schwager Kurt (Elmar Wepper), mit einer Jüdin verheiratet, satirisch gegen den braunen Mob......


Die einzelnen Folgen sind stets ein überaus gelungener, höchst unterhaltsamer Cocktail. Neben den gesellschaftlichen und familiären Ereignissen, oft durchsetzt mit amüsanten, humorvollen Rand-Anekdoten, ist auch meist ein spannender Kriminalfall mit verwoben, der mal Aufhänger, mal "Abrunder" des Geschilderten ist.
Es entsteht ein Sog der den Zuhörer regelrecht in längst vergangene Zeiten versinken lässt. Oft sind kostbarste dokumentarische Originalmaterialien eingebaut z.B. die erste je in Bayern ausgestrahlte, versuchsweise Radioübertragung, Original - Radionachrichten aus der Zeit, und Zitate aus der Presse und kriminalistischen Ermittlungsprotokollen realer Fälle.

Bemerkenswert sind neben Puruckers enormem erzählerischem Atem (und ungeheurer Rechercheleistung) auch das großartige Lokalkolorit und die ungeheuer genau getroffenen Milieus (dazu trägt auch die brillante Musik von Filmkomponist Rolf Wilhelm bei), bis hin zur bewussten Nutzung verschiedener bayerischer Dialektstufen und sogar der Entwicklung des vielschichtigen Idioms über die Zeit, sowie die große atmosphärische Dichte.


Weitere Qualitätsmerkmale sind der perfektionistische Einsatz des Raumklangs (so hat z.B. eine Szene in der Grandauerschen Wohnung eine völlig andere Akustik, als eine in den Hallen des Polizeipräsidiums, auf einem Bauernhof oder dem Oktoberfest 1919), die wohltuende Ironie der von Purucker gesprochenen Erzählertexte, und die brillanten Sprecherleistungen, die - ohne jede dumpfe Volkstümelei - die 28 Folgen zu einem gewaltigen, hypnotischen Zeitpanorama machen, einem mitreißenden, ja unwiderstehlichen, Parforce Ritt durch 50 Jahre bayrische Geschichte.
Ein Ritt, der den Zuhörer - völlig unaufdringlich - erkennen lässt, was sonst verborgen bleibt, nämlich die großen Linien geschichtlicher Entwicklung die sich aus dem Alltag unendlich vieler einzelner Familien als großes Ganzes herausschälen.

Einziges größeres Manko: Die Geschichte der Grandauers sollte eigentlich bis in die 50iger Jahre forterzählt werden, der frühe Tod von Hauptdarsteller Karl Obermayr machte dem einen Strich durch die Rechnung und so endet die Serie mit der dann unvorhergesehen letzten Folge, die das Kriegsende 1945 thematisiert, etwas abrupt.


Neben den bayerischen Schauspielerlegenden Toni Berger, Gustl Bayrhammer und Fritz Straßner die - unvergesslich - in großen durchlaufenden Nebenrollen zu hören sind und Willy Purucker selbst, der als Erzähler auftritt, stellt auch der Rest der Sprecher - Besetzung bis in die kleinste Nebenrolle ein who is who der bayerischen Schauspielerelite der 80iger Jahre dar:
 
Heide Ackermann, Hans Baur, Christiane Blumhoff, Marianne Brandt, Helmut Fischer, Julia Fischer (Tochter von Komödienstadl - Erfinder Olf Fischer), Otfried Fischer, Walter Fitz, Mona Freiberg, Max Grießer, Erich Hallhuber, Willy Harlander, Bernd Helfrich, Wilfried Klaus, Gerhart Lippert, Werner Stocker ,Franziska Stömmer ,Karl Tischlinger ,Georg Einerdinger, Werner Asam, Werner Rom, Hans Stadtmüller, Alexander Malachovsky, Udo Wachtveitl (Kinderrolle) und sogar der spätere Homer Simpson Sprecher Norbert Gastell, sowie zahllose Weitere.

Regie führte TV-Legende Rainer Wolffhardt (https://www.imdb.com/name/nm0938352/)
Die Musik komponierte Filmkomponist Rolf A. Wilhelm (https://www.imdb.com/name/nm0006340/)
Die 28teilige Radioserie wurde zwischen 1980 und 1985 im Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt und sorgte für ein großes Fan - Echo.
 
Hier eine Episodenliste:
1. Einquartierung (Oktober/November 1893)
2. Haberfeldtreiben (Winter 1893/1894 – Frühsommer 1894)
3. Hochzeit (August 1897)
4. München (Ende September 1902)
5. Schneebälle (Januar 1905)
6. Krise (November 1906)
7. Abgründe (Juni 1910)
8. Abschied (Dezember 1912)
9. Todestage (Juni 1914)
10. Generationswechsel (Februar 1920)
11. Verwicklungen (Oktober 1920)
12. Konsequenzen (April 1921)
13. Junigewitter (Juni 1923)
14. Umzüge (November 1923 – März 1924)
15. Ehrengäste (Mai 1925)
16. Aschermittwoch (Februar 1927)
17. Wetterwechsel (Oktober 1929)
18. Notverordnungen (November 1931)
19. Morgenrot (Januar 1933)
20. Volkswillen (März 1933)
21. Frühlingsanfang (März 1933)
22. Heimtücke (Oktober 1935)
23. Tauwetter (Februar 1936 – März 1936)
24. Gewalttäter (September 1938 – November 1938)
25. Wehrübung (August 1939 – September 1939)
26. Vorsehung (November 1939)
27. Sitzkrieg (November 1939)
28. Fasanenjagd (Dezember 1940 – April 1945.

Einer der größten Liebhaber der Geschichte war der Intendant des BR selbst, der dafür sorgte, dass die Serie für das Fernsehen adaptiert wurde.
Unter dem Titel "Löwengrube" gewann diese Serie , dann mit Jörg Hube (dessen Figur dann zu Ehren Karl Obermayrs in "Karl Grandauer" umgetauft wurde) und Christine Neubauer (damals noch gut) in den Hauptrollen, zahlreiche renommierte Fernsehpreise, darunter den Adolf-Grimme-Preis. In der Fernsehserie konnte Willy Purucker die Handlung dann bis ins Adenauer - Deutschland weiterspinnen.

Fazit: Mit weitem Abstand eine der besten Produktionen die der bayerische Rundfunk je ausgestrahlt hat und auch eine der eindrucksvollsten Leistungen deutscher Hörspielgeschichte schlechthin. Ein MUST HEAR für alle

- Hörspielliebhaber
- Fans hochklassiger bayerischer Schauspielkunst.
- Fans der Fernsehserie "Löwengrube"
- Fans historischer Stoffe

Unten ein nettes "Familienfoto" der Hauptsprecher (von links):
Ilse Neubauer, Willy Purucker, Karl Obermayr, und Franziska Stömmer (spricht Oma Soleder):




Sonntag, 23. Januar 2022

And the Band played on



AND THE BAND PLAYED ON


FILMTIPP: "...AND THE BAND PLAYED ON (1993)". (...und das Leben geht weiter)


Stab:


Regie Roger Spottiswoode
Drehbuch Randy Shilts,
Arnold Schulman
Produktion Sarah Pillsbury,
Midge Sanford
Musik Carter Burwell
Kamera Paul Elliott
Schnitt Lois Freeman-Fox


Besetzung:

Matthew Modine: Dr. Don Francis
Saul Rubinek: Dr. Jim Curran
Alan Alda: Dr. Robert Gallo
Patrick Bauchau: Dr. Luc Montagnier
Nathalie Baye: Dr. Françoise Barré
Ronald Guttman: Dr. Jean-Claude Chermann
Tchéky Karyo: Dr. Willy Rozenbaum
Christian Clemenson: Dr. Dale Lawrence
Jeffrey Nordling: Flugbegleiter Gaëtan Dugas
Charles Martin Smith: Dr. Harold Jaffe
David Clennon: Mr. Johnstone
Phil Collins: Eddie Papasano
Bud Cort: Antiquitätenhändler
Alex Courtney: Dr. Mika Popovic
David Dukes: Dr. Mervyn Silverman
Richard Gere: Der Choreograph
David Marshall Grant: Dennis Seeley
Glenne Headly: Dr. Mary Guinan
Anjelica Huston: Dr. Betsy Reisz
Richard Jenkins: Dr. Marc Conant
Swoosie Kurtz: Mrs. Johnstone
Steve Martin: Der Bruder
Richard Masur: William W. Darrow
Ian McKellen: Bill Kraus
Lily Tomlin: Dr. Selma Dritz


Seit nunmehr fast 2 Jahren befinden wir uns in der CoronaPandemie, aus diesem Grund krame ich an dieser Stelle, diesen älteren Filmtipp nochmals aus – denn er zeigt mustergültig, was passiert, wenn auf Epidemien eben nicht so konsequent und so durchgreifend reagiert wird, wenn man nicht die massiven Maßnahmen wagt, die wir derzeit erleben.

 
Das Virus, das dieser, vom späteren James Bond Regisseur Roger Spottiswoode inszenierte halbdokumentarische Spielfilm, der eigentlich fürs Kino entwickelt worden war, zum Thema hat, HIV, ist ungleich gefährlicher, sehr viel tödlicher und bei weitem nicht so ansteckend, wie Corona; dennoch hatte man hier nach den ersten lokalen Ausbrüchen in den USA der frühen 80iger Jahre, noch die Chance die spätere Pandemie komplett aufzuhalten – man tat es nicht.

Das rechtskonservative US-Gesundheitsministerium unter Reagans Gesundheitsministerin Margaret Heckler unterließ praktisch alle Schutzmaßnahmen, die wir heute beim ungleich harmloseren Corona-Ausbruch erleben, informierte Öffentlichkeit und besonders Gefährdete nicht, strich sogar noch Forschungsgelder und lud dabei größte Schuld auf sich. Es handelte sich um kollektives Behördenversagen mit Vorsatz.


„And The Band Played On“ basiert auf dem auf dem umfangreichen Sachbuch gleichen Titels des Journalisten Randy Shilts, über den Ausbruch, die Entdeckung und Erforschung jener unheimlichen und damals völlig unbekannten Immunschwächekrankheit AIDS und das Versagen einer ganzen Gesellschaft im Angesicht einer Epidemie - ausgezeichnet (unter anderem) mit dem Pulitzerpreis.
Dieses hochspannende Non - Fiction Buch gilt als DAS Standardwerk zum Thema Aids - Krise und als Meisterwerk der Recherche (Shilts studierte sogar Tagebücher der Beteiligten um den exakten Verlauf von Gesprächen wiedergeben zu können) .

Es belegte auch absolut minutiös die Tragik dessen, dass diese Krankheit in der ersten Phase hauptsächlich amerikanische Homosexuelle betraf und daher von einer stockkonservativen und homophoben Regierung nicht angemessen bekämpft wurde.


1993, noch VOR "Philadelphia" sollte der Stoff als Spielfilm verfilmt werden - aber keine der großen Produktionsgesellschaften in Hollywood wollte damals das brandheiße das Tabuthema angehen, zumal auch Regierungsstellen darin kritisiert wurden. Da schlug die Stunde von HBO, damals das RTL II Amerikas, der den Stoff gegen großen politischen Widerstand produzierte, und damit den Wandel zu dem Kultursender vollzog, der er heute ist.


Finanzierbar und durchsetzbar war "...And The Band Played On" nur weil Superstars wie Richard Gere (als schwuler, aidskranker Choreograph), Steve Martin (als Bruder eines Opfers) und Phil Collins (als Besitzer einer Schwulensauna) bereit waren kostenlose Cameoauftritte zu absolvieren, die damals in den 90igern nicht ohne berufliches Risiko waren. Der starke und bewegende, für 14 Emmys nominierte, Fernsehfilm gewann zahlreiche Auszeichnungen, und hat einen sehr bewegenden Schluss. Wer die 80iger nicht miterlebt hat, kann einiges lernen. Wer es hat, auch.


Einige Stellen sind unvergesslich. Etwa wenn Matthew Modine als der im Mittelpunkt stehende Epidemiologie Dr. Don Francis, einem Chef der Blutbanken auf die Bemerkung "Wegen ein paar toter Bluter geben wir doch nicht Millionen aus" das historisch belegte Zitat "Wie viele tote Bluter brauchen sie denn ?!!" entgegen schreit. Stattgefunden hatte der Wortwechsel auf einer Konferenz mit den US-Blutbanken die sich aus finanziellen Gründen weigerten den damals bereits recht gut wirkenden Bluttest anzuwenden, und stattdessen weiterhin wissentlich Transfusionen mit HIV-kontaminierten Blutkonserven zuließen.

Die Darsteller, allen voran Theaterschwergewicht Ian McKellen als Bill Kraus und Alan Alda als eiskalter, arroganter Medizinstar Dr. Robert Gallo und eben Modine sind hervorragend.
Einziger Minuspunkt: Die scharfe Regierungskritik des Buches, vor allem an Margaret Heckler, die durch extremes und vorsätzliches Fehlmanagement der Krise entscheidende persönliche Verantwortung dafür trägt, dass die im Fall prognostizierten Opferstatistiken heute eingetreten sind, musste aus Gründen der Verdichtung deutlich zurücktreten.


Fazit: Großartiger gespielter, halbdokumentarischer TV-Film auf Kino-Niveau über eine - frühere- Krise die bis heute nur teilweise bewältigt ist.



Freitag, 21. Januar 2022

Summer of `84

 SUMMER OF `84



Besetzung
Graham Verchere: Davey Armstrong
Judah Lewis: Tommy „Eats“ Eaton
Caleb Emery: Dale „Woody“ Woodworth
Cory Grüter-Andrew: Curtis Farraday
Tiera Skovbye: Nikki Kaszuba
Rich Sommer: Wayne Mackey 


TRAILER:

Sobald Sommer '84 loslegt, legt er richtig los, und in seinen dunkelsten Momenten hatte ich gehofft, die Filmemacher hätten uns einen Traumsequenz-Fake vorgegaukelt, vielleicht zu Ehren von Brian De Palma.“
Alan Scherstuhl, THE VILLAGE VOICE


Sogar Serienmörder wohnen neben jemandem. Schwer zu schlucken, ich weiß, aber es ist wahr. Wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass die Leute einem kaum je sagen, wer sie wirklich sind. Gleich hinter den gepflegten Rasenflächen und dem freundlichen Winken, in jedem Haus, sogar in dem Haus nebenan, könnte alles Mögliche passieren und man würde es nie erfahren. Und das ist die Sache mit diesem Ort, es mag alles normal und routinemäßig erscheinen, aber die Wahrheit ist, dass in den Vorstädten die verrücktesten Scheiße passiert. Man weiß nie, was um die Ecke kommt.“
DAVEY (Voice Over)


Diese spannende amerikanisch-kanadische Melange aus nostalgischem Retro-Coming-Of-Age Film und klassischem 80iger Jahre-Thriller war einer DER Geheimtipps von 2018.
Und nicht zu Unrecht.

Die enorm detailverliebte und liebevoll gemachte von Synthesizerklängen umschmeichelte Indieperle, die einen direkt in die 1980er katapultiert, erzählt die Geschichte von vier Freunden und ihren Erlebnissen in den Sommerferien 1984….es ist das Jahr in dem „Magnum“ das Hippste im Fernsehen ist, Bruce Springsteen „Born In The USA“ singt, „Ghostbusters und „Gremlins“ kommen in diesem Sommer in die Kinos, Ronald Reagan wird wiedergewählt und Alex Trebek moderiert zum ersten Mal „Jeopardy!“…

In diesem Sommer , in der Kleinstadt Cape May, vertreiben sich vier Jugendliche, der sensible Davey (Grandios: Graham Verchere) , der rebellische „Eats“ (Judah Lewis), der brillentragende Nerd Curtis (Cory Grüter-Andrew) und der fettleibige, empfindsame „Woody“ (Caleb Emery) die Zeit mit elaborierten nächtlichen Versteckspielen bei denen auch Walkie –Talkies und BMX-Räder zum Einsatz kommen, nur gelegentlich unterbrochen von Ausläufern der Entdeckung ihrer Geschlechtlichkeit. 


Alle vier bewundern die wunderschöne und coole Nikki Kaszuba (Tiera Skovbye), zugleich prima Kumpel und Sehnsuchtsobjekt, deren Eltern sich just in diesem Sommer scheiden lassen.

Es könnte ein ganz normaler, pubertärer Sommer ein paar Jahre vor dem Erwachsenwerden sein, aber es wird anders, ganz anders, kommen. Denn Davey, ein True-Crime-Junkie und Fan elaborierter Verschwörunsgtheorien stellt einen Zusammenhang her, zwischen dem spurlosen Verschwinden mehrerer Jungen in Cape May: Ganz, klar, ein Serienmörder geht um.

Seine Freunde, die seine Phantasie gut kennen, glauben ihm kein Wort. Bis es tatsächlich in den Nachrichten kommt: Es geht tatsächlich ein Serienkiller um, der „Cape May Slayer“ der es auf Jungens abgesehen hat.


Und Davey hat auch schon einen Verdacht, der neu in die Straße gezogene Wayne Mackey (Rich Sommer) hat in seinem Keller einen mit Schlössern versiegelten Raum, den niemand betreten darf, und Davey ist sich sicher ihn in Begleitung eines Jungen gesehen zu haben, dessen Konterfei jetzt in der Rubrick „Vermißt“ auf der Milchpackung prangt. Einziger Haken der These: Wayne Mackey…..ist ein Polizeibeamter….

Und so beginnen die vier Freunde, unterstützt von Nikki, zunächst unbemerkt von Daveys Eltern (Shauna Johannesen und Jason Gray-Stanford, der „Randy Disher“ aus „Monk“) heimlich zu ermitteln…

Was den, vom Trio François Simard, Anouk und Yoann-Karl Whissel, nach einem Drehbuch von Matt Leslie und Stephen J. Smith inszenierten Film so besonders macht, ist nicht nur die meiserhafte bis ins winzigste Detail gehende Beschwörung der 1980er Jahre, sondern sein brillantes, doppelbödiges Spiel mit Schein und Sein, wie lange es ihm, durch eine Reihe zutiefst verblüffender Plot Twists, immer wieder gelingt offen zulassen ob der monströse Verdacht der Jugendlichen stimmt, oder ob sie einen völlig unschuldigen Mann verfolgen, sich doch nur in einen Wahn verrannt haben, und wir, als Zuschauer, aufgrund großartiger Manipulation, möglicherweise mit ihnen.
Die Regisseure verstehen es auch hervorragend eine Reihe sehr unterschiedlicher Tonalitäten in ein und demselben Film entstehen, nebeneinander existieren und sogar in einander überfließen zu lassen….das langsam aufgebaute Coming-Of-Age- Drama (mit Anspielungen auf „Die Goonies“), das zum zunehmend hochspannenden Ferienabenteuer wird („Fenster zum Hof“-Touch), das letztlich in einen düsteren Thriller kippt, bevor es zur finalen und völlig unvorhersehbaren Wendung kommt, die….nun zu einem Ende führt, wie man es in einem Film wie diesem so noch nicht gesehen hat. 

Die Art und Weise, wie Skript und Regie die jugendlichen Protagonisten ernst nehmen, und das Spiel mit diesen Tonalitäten ermöglichen es, dem Zuschauer eine echte Gewissheit über die Story so lange vorzuenthalten, wie es hier gelingt. Der Mut wird belohnt, denn hier entstand etwas das, obschon es wahnsinnig leicht zu einem Abklatsch von „Es“ oder einem geringeren „Stranger Things“ hätte werden können, zu etwas ganz und gar Originärem von bestechender Anders- und Einzigartigkeit wurde.

Kein Wunder, dass „Summer of `84“ auf dem Sundance Film-Festival einschlug wie eine Bombe.

Einer der Co-Produzenten ist übrigens Schauspieler Jameson Parker, der in den 80igern in der Krimi-Serie „Simon und Simon“ an der Seite von Gerald McRaney ein TV-Star war (https://scontent-frx5-1.xx.fbcdn.net/.../94069041...)


Fazit:
Famose, sehr stilsichere Mischung aus nostalgischem Coming-Of-Age Drama, Ferienabenteuer und beinhartem Thriller, die das Publikum so ernst nimmt, wie seine Protagonisten, und keine Angst hat beiden direkt an die Gurgel zu gehen. Sehr sehenswert !!

"DR.JEKYLL UND MR. HYDE" (1931) – MEISTERSTÜCK MIT RASSISTISCHEN UNTERTÖNEN.

 



Vor kurzem begann ich mir aus einem ganz neuen Blickwinkel über einen meiner Lieblingsfilme Gedanken zu machen, und möchte das Ergebnis meiner Überlegungen gern hier einbringen, vielleicht entsteht ja einen spannende Diskussion daraus.

Zumal ich mir unsicher bin ob meine Auffassung nicht vielleicht auf Weißem Privileg gründet. Es geht um den bedeutenden Gruselklassiker „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ von 1931, nach der Novelle von Robert Louis Stevenson.


TRAILER:

https://www.youtube.com/watch?v=sjNtluvxZBI&ab_channel=ClassicClips  


Hier übrigens einige Protagonisten in einer Drehpause, genauer Teepause, am Set. Von links nach rechts sind zu sehen: Fedric March als Mr. Hyde, Regisseur Rouben Mamoulian und Miriam Hopkins (als Ivy):




Erstmal zu den filmhistorischen Hintergründen:




Diese erste symbolistisch geprägte Tonfilmfassung der berühmten Story um den Londoner Arzt der sich vermittels Drogen in sein böses Ich verwandelt, besticht durch ihre optische Brillanz in Karl Struss genialer Kameraführung, die in allen Bereichen bahnbrechend und der Zeit weit voraus war, durch die atmosphärische Dichte, grandioses Dekor, das exquisite, nur gelegentlich gestelzte Drehbuch, und meisterhafte - selbst heute noch überzeugende - Tricktechnik in den spektakulären Verwandlungsszenen.



Ein Mann und sein Trank:  Jekylls erste Verwandlung in Mr. Edward Hyde


„Dr.Jekyll und Mr.Hyde“ von Rouben Mamoulian verfügte über mehr als eine halbe Million Dollar Budget, was seinerzeit astronomisch hoch war, etwa das doppelte Budget, das James Whale im selben Jahr für „Frankenstein“ mit Boris Karloff zur Verfügung stand. Die Set Designs (Jekylls Laboratorium, Die Gassen Sohos im Studio, Hydes Wohnung im East End, der Londoner Hyde Park, das verraucht-verwinkelte Pub in dem „Champagne Ivy“ auftritt) sind extrem aufwendig, ein viktorianisches London im Studio erschaffen - bildgewaltig, unendlich detailbesessen und expressionistisch angehaucht.





Ein Londoner Slum-Hinterhof des 19. Jahrhunderts, nachgebaut im 
Filmstudio in LA




Um die visuelle Brillanz und die bahnbrechende Innovationskraft dieses Films voll würdigen zu können, muss man sich bewusst machen, dass er 1931 entstand, also gerade mal 4 Jahre nach „The Jazz Singer“ und damit dem endgültigen Durchbruch des noch jungen Tonfilms. Zu dieser Zeit steckte dieses de facto neue Filmmedium, der Tonfilm, noch in den Kinderschuhen, was zu sehr starken Einschränkungen führte:



Rouben Mamoulian (Mitte) 1931 bei Dreharbeiten. Man beachte die 
enorme Größe der Kamera


Die riesigen Kameras waren noch sehr laut, ihr Surren wurde von den Mikros mitaufgezeichnet, daher mussten sie mit einem speziellen Gehäuse ummantelt werden, das die Eigengeräusche unterdrückte. Dadurch waren sie aber noch unbeweglicher als ohnehin. Zudem wusste man anfangs nicht, wo die Mikros anzubringen waren, versteckte sie oft in Säulen und Blumentöpfen, um die die Schauspieler gruppiert werden mussten und sich nicht wegbewegen durften, da sie sonst unhörbar wurden. Brachte man die Mikros dagegen versteckt in der Kleidung an, hörte man plötzlich nur noch deren Knittern oder den Herzschlag der Darsteller. Dazu mussten Kamera und separate Tonaufzeichung (ganz am Anfang wurde die Tonspur noch auf Platten gepresst) in exakt identischer Frequenz aufgezeichnet - und später auch abgespielt - werden, damit beides überhaupt zusammenpassen konnte.



Sensationelle Kamera-Arbeit: Jekylls Tod wird gedreht.



Erst wenn man diese Hindernisse kennt, kann man ermessen, wie unvorstellbar es 1931 gewesen sein muss, dass wir hier eine unfassbar moderne, dynamische Kameraarbeit sehen, die lange Plansequenzen in der Subjektive zeigt, offenbar auf unbekannte Weise mit - damals an sich noch nicht existierender - Handkamera gefilmt, aber auch komplexe Kamerafahrten, extrem ausgeklügelte Schwenks, inclusive rasend schnelle 360 Grad Schwenks, und sogar mehrfach Split Screen, eine Technik die in dieser radikalen Form erst Ende der 60iger Jahre wieder aufgegriffen werden sollte.



Der Zeit um drei Jahrzehnte voraus: Split Screen in Jekyll und Hyde (1931)



Künstlerischer Höhepunkt aber ist die grandiose, nachgerade athletische Performance von Fredric March, am Broadway zum Charakterdarsteller gereift, in der Dopplerolle. March, bis dahin fast nur als jugendlicher Liebhaber eingesetzt, bewies in dieser brillantesten Verfilmung der Stevenson-Novelle, erstmals sein volles dramatisches Potential im Kino.



Fredric March als Dr. Jekyll (links) und Edward Hyde (rechts)

 

Später sollte er, als Willy Loman in der Ur-Verfilmung von „Tod eines Handlungsreisenden“ (1951, Darstellerpreis der Filmfestspiele von Venedig), in seiner oscarprämierten Darstellung im Nachkriegsdrama „Die besten Jahre unseres Lebens (1946)“ und als Spencer Tracys bigotter Gegenspieler im Gerichtsdrama „Wer den Wind sät“ (1960, Darstellerpreis der Filmfestspiele von Berlin) als großer Schauspieler in die amerikanische Geschichte eingehen.


Fredric March probt mit Regisseur Rouben Mamoulian




In der Doppelrolle, unterstützt von einer sensationellen Make-Up Leistung von Wally Westmore, setzte er den Maßstab, der Vorgänger John Barrymore (1920) und bislang alle Nachfolger in den Schatten stellte: March gewann für die spektakuläre Performance den Oscar als Bester Schauspieler und den Darstellerpeis (Volpi Cup) bei den ersten Filmfestspielen von Venedig (1932), wo es auch den Goldenen Löwen für den besten Film gab.



John Barrymore 1920 als spinnenafter Mr. Hyde.

 

Oscarnominiert waren auch die grandioseKamerarbeit von Karl Struss (er hat schon in der 1924er Verfilmung von „Ben Hur“ überragendes geleistet, ebeso wie 1927 für Murnaus „Sunrise“ und später für „Im Zeichen des Kreuzes (1933)“, Chaplins „Der große Diktator“ und Kurt Neumanns Original von „Die Fliege“, 1958) und das adaptierte Drehbuch.



Dr. Jekylls Labor als aufwendiges Filmset




Zu Recht gilt diese Fassung neben Jean Renoirs Fernsehadaption "Das Testament des Dr. Cordelier (1959)" mit Jean Louis Barrault als die deutlich beste Verfilmung des Stoffs.

Das liegt sehr wesentlich auch daran, dass das Drehbuch von Percy Heath und Samuel Hoffenstein eine bahnbrechende Dramaturgie entwickelt, die über die literarische Vorlage (Hier eine Zusammenfassung der Original-Novelle als Playmobil-Kurzfilm: https://www.youtube.com/watch?v=3N0PeE8fTEg&ab_channel=SommersWeltliteraturtogo ) , aber auch die populäre Bühnenfassung von 1887, hinausgeht, und die gesamte Filmgeschichte hindurch definiert hat und definiert wie diese Story filmisch zu erzählen ist:



Fredric March, Miriam Hopkins und Rouben Mamoulian bei einer Leseprobe mit dem Drehbuch
von Percy Heath und Samuel Hoffenstein




Die detektivische Erzählstruktur ist aufgegeben, Dr. Lanyon und der Rechtsanwalt Utterson der Novelle entsprechend zu einer einzigen Figur verschmolzen, wir identifizieren uns ganz mit Dr. Henry Jeykll, dessen untergründige, quasi-sexuelle Motivation hier stärker als je zuvor und danach herausgearbeitet ist, der Film liefert uns eine quasifreudianische Deutung voller untergründiger Symbolik...



Einer der Symbolismen des Filmes: Hyde im Endkampf während das sinbildliche
Höllenfeuer schon im Kessel lodert.





Der Jekyll des Filmes ist nicht mehr rein der gute Forscher und Halbgott in Weiß, der das gute und das böse Ich des Menschen trennen will, um Moral und Anstand zum Durchbruch zu verhelfen, vielmehr will er die dionysische, triebhafte, böse Seite des Menschen aus den Zwängen des gesellschaftlichen Korsetts befreien. Er mag sich nicht völlig bewusst darüber sein, so fahrlässig, übermütig, mit Liebe zum Risiko, wie wir ihn hier erleben.



Leseprobe mit Fredric March, R. Mamoulian, Miriam Hopkins und Halliwell Hobbes





Getrieben aus der Sehnsucht nach seiner Verlobten Muriel, die sein Schwiegervater ihm aber entzieht, und der Unmöglichkeit als renommierter Gentleman ins Londoner Nachtleben einzutauchen, um in den Pubs und Freudenhäusern von Soho seine Triebe zu kompensieren, wird seine aktuelle Forschung zur tödlichen Verlockung: Als sein böses Ich, Hyde, kann er seine interdrückte Libido aber auch seine unterdrückte Grausamkeit voll ausleben – bis die Verwandlung zum Selbstläufer wird, über den Jekyll die Kontrolle verliert…



Anzüglicher Promo-Shoot: Fredric March als Dr.Jekyll und Miriam
Hopkins als Ivy



Weitere Beachtung verdient neben der dichten, symbolistischen Inszenierung von Rouben Mamoulian auch die sehr starke, vibrierend intensive Leistung von Miriam Hopkins als Ivy. Diese erregte seinerzeit auch durchaus Anstoß.Es handelt sich um einen sogenannten pre-code-Film, entstanden also in der Zeit vor dem Hays Code, der freiwilligen Selbstverpflichtung der US Filmwirtschaft, die Sitte und Moral filmischer Darstellung reglementierte und stark einschränke. Dementsprechend waren hier Dinge zeigbar, die zwei, drei Jahre später schon illegal gewesen wären: Miriam Hopkins schaukelnder Fuß mit – Skandal! – Strumpfband, ihr nackter Körper unter der Bettdecke als Jekyll sie behandeln will, laszive erotische Anspielungen auf Sex und Sadismus allenthalben.



Das Bein des Anstoßes: Miriam Hopkins verführerisches Gliedmaß.





Die Spezialeffekte sind den 30-iger Jahren weit voraus und streckenweise auch heute noch absolut verblüffend.

Bei den Gesichtszügen von March, die sich vor laufender Kamera, ohne Schnitt, verändern und wandeln, für das Publikum der 30iger absolut unerklärlich, handelt es sich um einen alten Variete-Trick. Der Regisseur; Rouben Mamoulian, stammte aus dem Varieté.




 

Die Augen, Lippen und Nasenumrundungen waren schon vorher mit infraroter Schminke aufgetragen, darüber legte man einen Rotlichtfilte, so verschwanden diese Elemente für den Zuschauer (wäre das ein Farbfilm wäre das ganze Bild an diesen Stellen rot), währed die Kamera lief und March die Verwandlung spielte, wurden die Rotfilter dann gaaaanz langsam, sukzessive weggeblendet und stattdessen Grünfilter drüber gelegt: 

So erschienen, wie von Geisterhand, die vorgeschminkten Stellen: 



Jede der Verwandlungen ist dabei ein eigenes kleines, dramaturgisch durchgetaktetes, Spektakel, jede anders filmisch aufgelöst, anders choreografiert, derselbe technische Trick, dieselbe visuelle Idee wird nie zweimal hintereinander angewendet, jedesmal verwandelt sich Jekyll in eine neue, leicht abgeänderte Stufe der Hyde Transformation. Der Zuschauer wird jedesmal, wie bei einem begnadeten Bühnenmagier, mit einer neuen Attraktion verblüfft und überrascht.



Verwandlung im Hyde-Park: Bis heute absolut verblüffend.





Fredric Mach beschreibt die Tortur, durch die er auch mehrfach im Krankenhaus landete (so durch eine frühere Prothese aus flüssigem Latex), zum Beispiel so:

„Ich musste jeden Morgen um fünf Uhr aufstehen, um um sechs Uhr im Studio zu sein“, sagte March zu Ed Sullivan für seine Zeitungskolumne vom 14. Juni 1938. „Wally Westmore fing sofort bei meinen Augen an. Zuerst hat er mir Kollodium unter die Augen geschmiert, damit kein Schweiß durchkommt. Dann hat er den unteren Teil des Auges mit Stücken chirurgischer Watte beschwert, um den Augapfel aufzubrechen. Die Idee war, dass sich die Augen jedes Mal, wenn ich sprach, zu einem unnatürlichen Grinsen öffneten. Um dies zu erreichen, befestigte er Fäden aus Baumwolle an den Wangen und band sie unter meinem Kinn fest. Infolgedessen wurde das untere Augenlid jedes Mal, wenn ich meinen Mund öffnete, einen Zoll nach unten gezogen. Damals war es schrecklich, aber es ist interessant, darauf zurückzublicken.“



Erhält kein Foto von Heidi Klum: Mr. Hyde.



NUR: In der fraglichen Szene ist March noch normal, blickt runter auf die Hände, die Kamera schwenkt ohne Schnitt mit, die Hände verändern sich durch Kontrastfilter, und die Kamera schwenkt hoch und er ist voll verwandelt.

Trotzdem scheint da kein Schnitt zu sein.

Tatsächlich hat man dort einen Schnitt so sensationell kaschiert, dass er erst seit dem Computer-Zeitalter sichtbar ist.

Wenn sich Marchs Gesicht verwandelt (mit dem Infrarot-Trick) und die Kamera unten auf die Hände schwenkt, haben Kameramann Struss und Regisseur Rouben Mamoulian einen Schnitt eingebaut – IM Reißschwenk, bei laufender Bewegung. Wenn man es ungeheuer langsam abstoppt, kann man es erahnen. Der Schwenk wurde dann noch einmal vollführt, mit einem March der dazwischen 4-Stunden umgeschminkt worden war, den kompletten Hyde-Kopf trägt, seine Hände waren ebenfalls vorgeschminkt – mit den erwähnten Filtern (+ Kontrastfilter) ließ man die Hände sich verwandeln und dann, tatsächlich ohne weiteren Schnitt, wurde hochgeschwenkt.

Der doppelte Schwenk wurde so perfekt (auf die Bewegung!!) montiert, dass der Schnitt beim Runterschwenken auf die Hände völlig unsichtbar ist. Erst heutzutage wo wir das frame-by-frame abstoppen können, wird erahnbar wo der Schnitt sitzen muss. Nämlich dort wo man ihn nicht sucht, weil er da technisch fast unmöglich ist.


Maskenbilnder-Legende Rick Baker (https://en.wikipedia.org/wiki/Rick_Baker) schwärmt über das Make-Up von "Dr-Jekyll und Mr. Hyde" von 1931:





WARUM ICH IM TITEL VON RASSISTISCHEN UNTERTÖNEN SPRECHE?



Früher Stand des Hyde-Make-Ups.


Nun, es wurde bereits seit Ende der 60iger Jahre die, womöglich nicht unberechtigte Anschuldigung erhoben, die schreckliche Hyde Figur – deren Make Up, entworfen von Wally Westmore, über den Verlauf des Filmes immer extremer wird – sei mit rassistischen Klischees und Stereotypen gestaltet. Gerade weil die Spezialeffekt-Seite des Films eine Variete-Herkunft hat, wo damals die rassistischen Minstrel Shows mit hemmungslosem Blackfacing noch immer üblich waren, lässt sich dies nicht ganz von der Hand weisen:







Hyde hat eine breite Nase, eine Art vorgeschobenes Maul mit Reißzähnen, einen gedrungenen Neandertaler-artigen Kopf, hervorgewölbte Augen mit buschigen Brauen, und in den frühen Szenen auch scheinbar gekräuseltes Haar, das später geglättet wirkt, bevor es gegen Ende zur wilde Mähne verkommt . Das alles verleiht ihm eine affenartige Erscheinung, und March verleiht ihm auch solche körperlichen Manierismen, macht ihn zu einem behänden Kletterer und Springer – hier zeigt March übrigens überragende Körperlichkeit und Athletik auf fast artistischem Stand.

Auf der anderen Seite ist aber auch der Hautton von Hyde deutlich abgedunkelt, wenn auch nicht auf Blackface-Level. Im Film selbst, im groben, satten damaligen Schwarzweiß wird es nicht so sehr auffällig, man nimmt es kaum bewusst wahr, aber auf Standfotos, besonders den Nachcolorierten wird es sehr sichtbar.....







Schwarzes Biest und Weiße Frau?




Ein wilder, primitiver, animalischer, affenartiger Mann mit dunkler Haut, in den frühen Verwandlungsstufen durchaus afrikanisch angehaucht, der, zu allem Überfluss in Ivy Pierson eine blass-weiße, blonde, blauäugige Frau begehrt….das wirft schon sehr massive Fragen auf, da entstehen, ob gewollt oder ungewollt, ähnlich wie in „King Kong und die weiße Frau“ rassistisch konnotierte oder konnotierbare Bilder.

Es entsteht – ob so gewollt oder nicht – der visuelle Ausdruck einer rassistischen Urangst: Die vor der gemischtethnischen Liebe und ihren physischen Folgen. Dieses Thema „Weiße Schönheit und Schwarzes Biest“ ist zu alt, zu tief eingegraben ins kollektive Bewusstsein, als dass der Umstand, ob die Bilder mit Vorsatz oder nicht erzeugt worden sind, eine Rolle spielen könnte oder dürfte.




Fredric March und Rouben Mamoulian: Unbewusst rassistische Muster?



Diese unselige Matrix ist in dem Film auf jeden Fall vorhanden.

Es ist schlicht nicht von der Hand zu weisen, dass March als Hyde entweder einen Affenmenschen, einen Neandertaler oder die rassistische Verzeichnung eines Schwarzen Wilden spielt, nur verweigert das Make-Up von Westmore, auch weil es über den Film hinweg, aus dramaturgischen Gründen, mutiert, eine eindeutige Festlegung was nun genau.

Verbal allerdings gibt es keinerlei Anspielungen auf Hydes Ethnie oder Hautfarbe. Ein Grundbewusstsein für eine mögliche Problematik scheint allerdings vorhanden gewesen zu sein, denn auf den damaligen Postern vermied man es, Hyde eine menschliche Hautfarbe zu geben, und verlieh ihm eher grünliche Züge.





Insofern würde ich hier – ungeachtet der künstlerischen Qualität des Films – eindeutig die Auffassung vertreten, dass er rassistische Untertöne hat, und rassistisch konnotierte Bilder beschwört, ob es sich dabei nun um Absicht gehandelt haben mag oder nicht; es ist ein Eindruck der zwangsläufig entsteht, den man zugelassen hat, und den man vor dem Hintergrund der Zeit keinesfalls einfach abtun kann.




Fredric March, Rose Hobart, Rouben Mamoulian und Miriam Hopkins bei der Leseprobe




Trotzdem, und für mich rettet das ein Stück weit den Film (aber eben, wohlgemerkt, für mich als Weißen Zuschauer. Schwarze Menschen sind unter Umständen ganz anderer Ansicht), ist auch eine andere Lesart möglich, wie wir heute den Film betrachten können OHNE ihn primär als Rassismus lesen zu müssen.

Denn:

Hyde ist keine eigene Persönlichkeit.

Sie ist das was IN Dr. Jekyll steckt, sein Innenleben. Was in uns allen steckt.

So wie Neandertaler-Gene, deren Erbgut ja im Homo Sapiens aufging, auch in uns allen stecken. Betrachtet man das Ganze aus dieser Warte, bekommt die Handlung einen anderen Blickwinkel, dann wird sie zu einer Geschichte über Determination, über die generelle Tierhaftigkeit des Menschen, über Urinstinkte.





ODER, NOCH MODERNER:


Man kann, aus heutigem Blickwinkel, das gilt sicher nicht für 1931, noch eine andere Deutung herauslesen…….

....der Weiße Dr. Jekyll verwandelt sich, unter Einfluss des Serums, in die Schreckensfantasie eines jeden Rassisten, die stereotype Klischees bedient und auslebt – die Phantasien eines Weißen Mannes, mind you – jedoch über den Verlauf des Films eine zunehmend a n d e r e Ausprägung mit zunehmend hellerer Haut erhält, und sich am Ende, in der postmortalen letzten Verwandlung wieder als der Weiße Londoner Arzt entpuppt….


.....unter DIESEM Blickwinkel könnte man den Film sogar als Metapher des strukturellen Rassismus der in uns allen schlummert lesen, eine Metapher mit fast satirischem Twist.


Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass Rouben Mamoulian diese moderne Deutung gefallen würde, immerhin inszenierte er 1935 die Welturaufführung von „Porgy und Bess“ am Broadway (http://www.ibdb.com/production.asp?ID=11998) – die erste Broadway-Produktion mit einer rein afroamerikanischen Besetzung.



***


BONUS:   


Am 19. November 1950 strahlte CBS Radio in der Reihe "Theatre Guild On The Air" eine Hörpsielfassung von "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" aus.

Beide Hauptrollen sprach Fredric March.


Das Hörspiel ist komplett erhalten und kann hier gehört werden:

https://ia803408.us.archive.org/0/items/TheaterGuildontheAir/Tgoa_50-11-19_ep050-Dr_Jekyll_and_Mr_Hyde.mp3