Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Dienstag, 28. November 2017

DER BESTE DETEKTIV DER WELT: „MORD IM ORIENTEXPRESS (2017)“ von und mit KENNETH BRANAGH



Es klang so gut. Kenneth Branagh auf dem Regiestuhl und als Hercule Poirot. Judi Dench, Johnny Depp, Penelope Cruz, Willem Dafoe, Michelle Pfeiffer, Derek Jacobi, Daisy Ridley in den Hauptrollen; Produzent Ridley Scott, Musik: Patrick Doyle - und natürlich, ein absolut brillanter Plot von Agatha Christie.
Es klang so wahnsinnig gut…. Aber das wurde es nicht.




1934 löst der berühmte Detektiv Hercule Poirot einen Diebstahl an der Grabeskirche in Jerusalem. Der so obsessive wie zwanghafte Belgier, der das Gleichgewicht im Leben sucht und seine Fähigkeit Fälle zu lösen, weil er den Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit erkennen kann, als Fluch sieht, will sich in Istanbul ausruhen, muss aber für einen anderen Fall nach London zurückkehren. Sein Freund Bouc, Direktor des Orient Express, bietet ihm ein Zimmer im Zug an.

Poirot lehnt den Auftrag des finsteren Geschäftsmanns Samuel Ratchett ab, während seiner dreitägigen Reise als sein Leibwächter zu fungieren, da Ratchett Drohbriefe von einer unbekannten Partei erhalten hat. In dieser Nacht hört Poirot seltsame Geräusche, die aus Ratchetts Abteil kommen, und sieht eine Frau in einem roten Kimono den Korridor entlang rennen. Kurz darauf lässt eine Lawine den Zug entgleiten und die Passagiere stranden.

Am nächsten Morgen erfährt Poirot, dass Ratchett in der Nacht ermordet wurde, mit dutzenden von Messerstichen. Poirot und Bouc untersuchen den Fall und befragen die andere Passagiere, während die Reparatur beginnt. Beweise deuten darauf, dass Ratchett von einem Mann ermordet wurde. Dann findet Poirot im Abteil des Toten eine teilweise zerstörte Notiz, die Ratchett mit einem schrecklichen Verbrechen aus der Vergangenheit in Zusammenhan bringt: Der Entführung und Ermordung eines kleinen Kindes…..



Klar war von vornherein, dass dieser Film, ein Remake, sich gegen ein nahezu übermächtiges Original würde durchsetzen müssen, die grandiose Kino- Erstverfilmung von 1974. Sie setzte Maßstäbe, die die filmische Beschäftigung mit den Werken der Christie bis in die 80iger Jahre hinein dominierten.

Der Trailer der Verfilmung von 1974



Die Kamera führte damals der 2-fache Oscarpreisträger Geoffrey Unsworth („Superman“1978, „Die Brücke von Arnheim“ 1976, „Cabaret“ 1971, „“2001-Odyssee im Weltraum“ 1968 um nur einige zu erwähnen). Das Drehbuch stammte von Oscarpreisträger Paul Dehn (Teil 2-5 der Original „Planet der Affen“- Reihe der 60er und 70iger Jahre, der John Le Carré Klassiker „Der Spion der aus der Kälte kam“ 1965 und „James Bond-Goldfinger“ 1964) die Filmmusik stammte vom dreifach oscarnominierten Richard Rodney Bennett , das prächtige Kostüm- und Produktionsdesign im Art Deco Stil stammte von Tony Walton , Julie Andrews erstem Ehemann („Mary Poppins, 1964), und den Schnitt besorgte die mehrfach oscarnominierte Cutter-Legende Anne V. Coates („Lawrence von Arabien“ 1962).

Produziert wurde der Erstling von Richard B. Goodwin (der zuvor Laurence Oliviers „Othello“ und Zeffirelli’s „Romeo und Julia“ produziert hatte), und diesem war es gelungen ein regelrecht enormes Star-Ensemble zu versammeln: Lauren Bacall, Sean Connery, Anthony Perkins, Richard Widmark, Ingrid Bergman, Martin Balsam, John Gielgud, Vanessa Redgrave, Michael York, Jaqueline Bisset, Colin Blakely und Dame Wendy Hiller. Als Hercule Poirot beinahe nicht zu erkennen in einer sensationellen tour de force: ALBERT FINNEY, der einzige Schauspieler der jemals für diese Rolle eine Oscarnominierung erhielt (Bester Hauptdarsteller).

Auf dem Regiestuhl für diesen Starauftrieb nahm kein geringerer Platz als der große SIDNEY LUMET („Die 12 Geschworenen“ 1956, „Serpico“ 1973, „Hundstage"1975, „Network“ 1976) ein wahrer Großmeister des nervenzerrenden Kammerspiels und der Schauspielerführung.


Das Titelthema von Richard Rodey Bennett mit Filmbildern unterlegt.



Das Ergebnis war seinerzeit ein stylisches, prunkvolles Mörderrätsel der gehobenen britischen Detektivkunst, reich an Schauwerten , an Glanz, aber auch Finesse, virtuoser Kameraführung und starken, teils herausragenden Darstellerleistungen. Im besten Sinne altmodisches, klassisch englisches Kino aber mit allen technischen Innovationen des 70iger Jahre Kinos, das den Zuschauer mit einem schier unmöglichen Verbrechen in Bann schlug und mit einer wohlgehüteten, sensationellen Auflösung belohnte. 132 Minuten (20 Minuten mehr als die Neuverfilmung) ganz großes Unterhaltungskino vom Allerfeinsten.


Und hier das Making Of zum Original von 1974



Die Erstverfilmung, damals astronomische 1,4 Millionen Dollar teuer, wurde ein Riesen-Kinohit, der ganze 10 mal für den BAFTA, den Britischen Filmpreis, nominiert war ( Bester Film, Regie, Hauptdarsteller, Ausstattung, Kostüme, Kamera und Schnitt, inklusive 3 Preise für die Nebendarsteller Gielgud und Bergman sowie die Filmmusik) und sogar sechs Oscarnominierungen erhielt:

Bestes Drehbuch (Adaption): Paul Dehn
Bester Hauptdarsteller: Albert Finney
Beste Nebendarstellerin: Ingrid Bergman
Beste Kamera
Bestes Kostümdesign
Beste Filmmusik

Ausgezeichnet wurde letztlich nur Ingrid Bergman (mit ihrem dritten Oscar, den sie gar nicht wollte) für ihre Rolle der schüchternen Missionarin Greta. „Mord im Orientexpress“ wurde zum Vorreiter und Auslöser der Welle der neuen aufwendigen Agatha Christie-Verfilmungen der 70iger Jahre.


Ingrid Bergman gewinnt ihren dritten Oscar:



Dagegen nun Kenneth Branaghs 55 Millionen Dollar Neuverfilmung, die von vornherein viel zu sehr auf die Poirot Figur und zu wenig auf das Ensemble fokussiert. In der Tat blieben einem die durchaus gut gespielten Figuren seltsam blass, weil das Drehbuch sich keine Zeit nimmt um sich mit ihnen zu beschäftigen. Im Original ist Poirot – wie es der Roman vorsieht – eine Nebenfigur deren Bedeutung erst im Lauf der Zeit wächst und schließlich im sensationellen Auflösungs-Monolog ihren Höhepunkt findet. Hier ist er von vornherein der Protagonist, auch in einem frei erfundenen Vorbau an der Klagemauer zu Jerusalem. Viel zu wenig vertraut das Drehbuch von Michael Green auch der Vorlage besonders Christies kriminalistischer Konstruktionskunst, und gerät dadurch bereits früh ins Ungleichgewicht, büßt auch erheblich an Raffinesse ein. Bildsprachlich bietet der hübsch altmodisch auf Zelluloid (65mm) gedrehte Streifen einige außerordentliche und außerordentlich komplexe Plansequenzen die in der extremen Enge der Abteile sicherlich ungeheuer schwer zu realisieren waren, aber leider auch eine Farbgebung die dem Film nicht dienlich ist.

Eine gute Christie-Verfilmung braucht den Charme des Altmodischen, des „cozy feeling“, der Gemütlichkeit, zu der der schreckliche Mord und dessen spannende, wohlig-schauerliche Aufklärung einen abgründigen Kontrast bilden, als einen ironischen Resonanzraum. Mit den oft eiskalten, gelackten Bildern die die Neuverfilmung bietet, von vornherein an Branaghs Konzept der düsteren Rachegeschichte sich orientierend, kann das schwer gelingen. Alles ist düster, die Farben sind meist so unterkühlt, dass einen durchgängig fröstelt. Wer das anheimelnd findet, der denkt das vermutlich auch von „CSI New York“. Das alles ist cool, stylish, schnell – Agatha Christie like ist es nicht. Ebenso wie einige wenige, ziemlich deplatziert eingepfropfte Action-Schnipsel.

Die klassische Mechanik des Whodunit wird stilistisch weitgehend umgegangen, weil die Ambitionen der Regie in eine andere Richtung gingen, so dass es zu den Problemen des Films gehört, dass er seine Existenzberechtigung aus einem Genre entnimmt, aus dem er andererseits bereitwillig herausfällt, wenngleich ohne nennbaren Mehrwert. Wenn es sich dabei nicht um einen handwerklich hochwertigen A-Film handeln würde, wäre es wohl nicht gar so ärgerlich.


Aus der Filmmusik zur Neuverfilmung von Patrick Doyle



Dazu passt, dass es Kennet Branagh zwar gelingt gut und glaubwürdig, ja spontan agierende Darsteller aufzubieten, nur verpufft was an innerer Spannung zwischen den Figuren entstehen könnte, weil Branagh es nicht schafft irgend so etwas wie atmosphärische Dichte aufzubauen. Für Personen die die Auflösung kennen, wird das unter solchen Umständen ein ziemlich langweiliger Abend.

Wie sieht es mit Branaghs Poirot aus?


Berühmte Vorgänger als Hercule Poirot. OBEN: Albert Finney 1974 in "Mord im Orientexpress", UNTEN von Links nach Rechts: Charles Laughton in den 20igern im Theater, David Suchet spielte alle Fälle für das Britische Fernsehen, Sir
Peter Ustinov schlüpfte 6- mal in die Rolle, daruner dreimal im Kino ("Tod auf dem Nil" 1977, "Das Böse unter Sonne" 1982 und "Rendezvous mit einer Leiche" 1987)


Gemessen an DEM Poirot schlechthin, wie Shakespeare-Mime David Suchet ihn unvergleichlich für das britische Fernsehen erschuf, oder auch Albert Finneys starker Darstellung, ist er schwächer. Er meistert zwar den Akzent und die Idiosynkrasien, gibt der Figur auch überzeugend ein eigenes Flair – nur wird Poirot in Branaghs Händen leider zu einem schwermütigen Ersatz-Wallander, mit einem unglaublich unecht wirkenden Riesenbart, der ihn ständig der Lächerlichkeit preisgibt. Man kann niemanden als Meisterdetektiv ernst nehmen, der aussieht wie Onkel Xaver im Fasching, der einen Staubwedel zum Schnauz umfunktioniert hat. Branagh spielt also nicht nur gegen übermächtige Vorbilder an (Ustinov haben wir hier noch gar nicht erwähnt) sondern auch noch gegen die eigene Bartpracht.
Trotzdem gelingt ihm Vieles, speziell wie er den Auflösungsmonolog – simplifiziert und schwach geschrieben – spielt, und dabei den Moment des Erkennens der Wahrheit erst in dieser Sekunde live vor unseren Augen in Poirots berühmte „kleine graue Zellen“ sickern lässt, oder wie er seine finale Entscheidung trifft, das alles hat darstellerische Klasse.

Möglicherweise war Branaghs Fehler, dass er für sein ziemlich ambitioniertes Projekt weder die erste Verfilmung von 1974, noch die gelungene britische TV Adaption mit David Suchet gesehen hat, um zu vermeiden Eindrücke zu übernehmen oder in Nachahmung zu verfallen. Ich habe immer die Ansicht vertreten, dass ein solcher Ansatz Unsinn und oft ein Zeichen krankhafter Eitelkeit ist. So wusste der Regisseur hier nicht, unter welchen Voraussetzungen dieser Stoff, dieses dramatische Pflänzchen ideal gedeiht, und beging den Fehler es massiv zu überdüngen.

Insgesamt gelang hier eine zwar gute Krimi-Studie mit starken Darstellern, aber ohne Agatha Christie Feeling und mit einem – Sorry, Ken – halb dysfunktionalen Poirot, dunkel wie ein Schwedenkrimi, aber eben auch ein Film der deutlich und weit hinter seinem Kinovorgänger zurückbleibt. Sie ist allerdings besser als die schlechten TV-Filme mit Ustinov als Poirot (die dieser ja, im Gegensatz zu seinen drei Kinoeinsätzen als Poirot, nur der Gage wegen noch drehte, die dann an UNICEF ging) und um Klassen besser als die unsägliche deutsch-amerikanische Fernsehverfilmung mit Alfred Molina und Fritz Wepper von 2001, die gegen mehrere Artikel der UN –Menschenrechtskonvention verstieß. Aber das Endprodukt verfing sich in den Ambitionen seines Masterminds, Kenneth Branagh, und wurde leider nicht im Ansatz zu dem was es hätte sein können, was es versprach zu werden.



FAZIT: Schwermütige Christie-Verfilmung mit wenig Christie, hauptsächlich interessant für Zuschauer die das Original und somit die Auflösung nicht kennen.


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