Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Samstag, 11. Mai 2019

"DEINE MUTTER WAR WAHNSINNIG!": DAS HAUS DER LADY ALQUIST (1944)



Der folgende Essay behandelt den Lieblingsfilm meiner Mutter, Renate Silvia Maria Limbrunner. Für sie wurde er auch geschrieben, ich widme ihn ihr daher von ganzem Herzen zum Muttertag 2019. 
Das hier ist für Dich, Mama.



London 1880….

Die Szenerie  ist ein Wohnzimmer im ersten Stock eines vierstöckigen Hauses in einem düsteren und unmodernen Viertel Londons, in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Der Raum ist in all der stark drapierten und schmutzigen Fülle der damaligen Zeit eingerichtet, und doch ist inmitten dieser Fülle von Utensilien ein Flair der Armut, des Elends und des Alters spürbar.

Der Kamin ist rechts. Die Tür rechts hinter dem Kamin  führt zu einem kleinen Raum.  Das Sofa steht links vom Kamin, ein kleiner Hocker davor. Mittig steht  ein Tisch mit Stühlen rechts und links davon. Links befindet sich ein Fenster. Ein Schreibtisch steht vor dem Fenster mit Stühlen dahinter und daneben.  Ein Sekretär steht rechts  an der Wand. Auf dem Tisch in der Mitte steht eine Lampe.  Es gibt Schiebetüren hinten mittig, die zum Flur führen, links liegt die Haustür, rechts die Diensträume. Eine Wendeltreppe, die zum oberen Geschoss führt, befindet sich hinten rechts. Stühle stehen rechts und links vor ihr.

Der Vorhang hebt sich und enthüllt die  schreckliche Dunkelheit des späten Nachmittags - der Nullstunde sozusagen, vor der schwachen Abenddämmerung, der Zeit von Gaslicht und Tee.


 Vor dem Kamin, auf dem Sofa, liegt  MR. MANNINGHAM ausgestreckt und schläft tief. Er ist groß, gutaussehend, etwa fünfundvierzig. Er trägt einen starken Schnauz und Vollbart und ist vielleicht ein wenig zu gut gekleidet. Seine Art ist sanftmütig und autoritär, mit einem Hauch von Geheimnis und Bitterkeit.
MRS. MANNINGHAM sitzt auf dem Stuhl links vom Mitteltisch - sie ist etwa vierunddreißig - sie war gutaussehend, fast schön - aber jetzt ist sie eine abgemagerte, blasse, ängstliche Erscheinung, mit Ringen unter den Augen, die von schlaflosen Nächten und Schlimmerem erzählen. Big Ben schlägt Fünf Uhr. Der Vorhang hebt sich. Pause. Von der Straße unten, aus der Ferne, ist das die Stille unterbrechende Rufen eines Waffelverkäufers zu hören, der seine Glocke läuten lässt.

MRS. MANNINGHAM lauscht diesem Klang für einige Augenblicke, heimlich und unentschlossen, fast so, als hätte sie selbst davor Angst. Dann blickt sie in Richtung des Läutens  von der Straße. Dann zur Glockenschnur an der mittleren Tür, die sie zieht. Sie huscht zurück zu ihrer Näherei, die sie aufsammelt und in eine Kiste legt, aus der sie irgendwann eine Börse herausnimmt. Es klopft an der Tür, und ELIZABETH, die Köchin  und Haushälterin, tritt ein. Sie ist eine kräftige, liebenswürdige, unterwürfige Frau von ungefähr Fünfzig.  Mit dem Signal, dass ihr Mann schläft,  geht MRS. MANNINGHAM hinüber, flüstert ihr an der Tür etwas zu und gibt ihr etwas Geld aus der Börse. ELIZABETH geht hinaus und schließt die Türen.


MR. MANNINGHAM. [Dessen Augen sich geöffnet haben, aber
ohne dass seine Position sich einen Bruchteil eines Zolls geändert hätte.]
Was machst du da, Bella?


Gwen Ffrangcon-Davies als Bella und Milton Rosmer als Mr.Rough in
der Welturaufführung.
So, wie der Dramatiker es im Manuskript mit eigenen Worten beschrieb, begann am Abend des 5. Dezember 1938 auf der Bühne des Richmond Theatre, in Richmond bei London, die Welturaufführung des ersten modernen Psychothrillers der Theaterschichte – „Gaslight“, von Patrick Hamilton.
Das Stück, mit dem Untertitel „Ein viktorianischer Thriller in drei Akten“ entfaltet, eingebettet in das London des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in die Ära Jack The Rippers, Sherlock Holmes‘ und Dr. Watsons und von Bram Stokers „Dracula“, eine wahrhaft diabolische Geschichte:

Das Ehepaar Jack und Bella Manningham ist in ein Haus am Thornton Square gezogen. Die spinnwebüberzogenen Habseligkeiten der früheren Besitzerin landen auf dem Dachboden, das Haus wird hergerichtet. Doch bald schlägt das Unglück zu. Bellas Gemütszustand verdüstert sich zusehends, sie beginnt Dinge und Ereignisse zu vergessen, und wann immer Jack das Haus verlässt beginnt sie unheimliche Geräusche im Haus zu hören, das Gaslicht beginnt auf unerklärliche Weise zu flackern, ein Flackern, das nur sie sieht, und schließlich beginnt sie Stimmen zu hören, die zu ihr sprechen….. Verliert Paula den Verstand? Oder holt sie ein grauenvolles Ereignis aus ihrer Vergangenheit ein?

Auch an dem entscheidenden Abend spielen sich entsetzliche Szenen ab, zwischen der nervlich völlig zerrütteten Bella und ihrem dominanten, hochgradig manipulativen Gatten. Auch in dieser Nacht lässt er sie allein, und wieder verdunkelt sich das Gaslicht….

Doch in dieser Nacht erhält Bella, die mit den Bedienten, der jungen Nancy und der alten, tauben Elizabeth, alleine zurück bleibt, seit Monaten erstmals wieder Besuch, den Besuch eines ihr unbekannten Mannes der in das Haus vordringt. Der ältere Herr stellt sich als Mr. Rough vor und behauptet von sich selbst ein pensionierter Polizeibeamter zu sein. Er behauptet, ihren Ehemann wiedererkannt zu haben, und ebenso, dass dieser versuche Bella auf diabolische Weise kaltblütig und vorsätzlich in den Wahnsinn zu treiben, bis sie den Verstand verliere.

Und dann enthüllt ihr Rough das schreckliche Geheimnis, des Hauses am Thornton Square das wie ein schwarzer Schatten über Bella und ihrer Ehe lastet. Dies soll der Abend der Entscheidung werden. Doch früher als geplant kehrt Jack Manningham heim, das Unheil nimmt seinen Lauf….

In der Welturaufführung spielte Dennis Arundell die Rolle des Jack Manningham, Gwen Ffrangcon-Davies die Bella, Milton Rosmer die Rolle des Mr. Rough. Beatrice Rowe war als Elizabeth und Elizabeth Inglis als Nancy zu sehen. Die Aufführung sorgte sofort für erhebliches Aufsehen, wurde eine wahre Theatersensation.

Der Grund dafür lag darin, dass Patrick Hamilton ein Novum gewagt und gewonnen hatte.
Der erfolgreiche Romancier Hamilton hatte bereits 1929 mit einem Thriller einen Theaterhit gelandet, nämlich „Rope“, 1948 brillant (und visuell hochexperimentell) verfilmt von Alfred Hitchcock als „Cocktail für eine Leiche“. In „Rope“ hatte Hamilton den realen Mordfall um die beiden Studenten Leopold & Loeb die ein Kind aus Spaß getötet hatten zum Vorbild genommen, und die Geschichte zweier Kommilitonen ersonnen die einen Freund aus reiner Mordlust (und um Mord als hohe Kunst zu praktizieren) erdrosseln, die Leiche in einer Kiste verbergen, darauf ein Buffet anrichten und für die Freunde und Verwandten des Toten eine makabere Party geben, während man gemeinsam auf ihn wartet; unglückseligerweise laden sich auch ihren vormaligen Kriminologieprofessor ein, der sie mit seinen Nietzeschen Thesen über lebensunwertes Leben unwissentlich inspiriert hatte, und genau dieser Professor beginnt dann die Wahrheit hinter den koketten Andeutungen zu erahnen…
Mit „Gaslight“ ging Hamilton, der dazwischen auch einen massiven Theater-Flop zu verzeichnen gehabt hatte, einen ganz neuen Weg. Es war das erste Bühnenstück seiner Art, in dem die geistige Gesundheit der Protagonistin, zugleich Identifikationsfigur des Publikums, und somit ihre Wahrnehmung der Realität, fundamental in Frage gestellt wurde.



Patrick Hamilton, der Autor von "Gaslicht"
Und nicht nur drehte Patrick Hamilton in diesem düsteren, dichten Thriller-Melodram mehrfach virtuos an dieser Schraube; mehr noch: Er nutzte eine Substitution eiskalt aus: Da die Zuschauer sich völlig mit Bella identifizierten, wie man sich mit den Schwachen, Unterlegenen identifiziert, wurde es der psychologischen Manipulation, dem Psychoterror, der später, nach diesem Bühenthriller, als „gaslighting“ ins Oxford Dictionary eingehen sollte, selbst ausgesetzt. Das Publikum sah das Geschehen durch die Augen eines häuslichen Mobbingopfers und fieberte gemeinsam mit ihm auf Rettung.

Das bedeutete, dass der moderne Bühnenthriller, entstanden aus der Vermengung des Kriminalstücks mit dem Grand Guignol, hier erstmal eine erfolgreiche Alliance mit Freud einging. Erst seit der Uraufführung von „Gaslight“ kann man, mit vollem Recht, das Präfix „Psycho“ vor das Wort Thriller setzen.

Programmheft aus dem Savoy Theatre
Dieser neuartige Dreh und die Brillanz mit der Hamilton die psychologische Dynamik zwischen den Figuren ausarbeitete, verlieh diesem viktorianischen Thriller, zusammen mit der nebelverhangenen atmosphärischen Dichte des Schauermelodrams, eine ungeheure Wirkung. Dergleichen hatte das Theaterpublikum selbst in London noch nie gesehen.

Die Spannung muss für die Zuschauer damals regelrecht nervenzerfetzend gewesen sein.

Die Produktion wurde so erfolgreich, dass sie am 1. Januar 1939 ins Apollo Theatre (unweit Picadilly Circus und Regent Street) im Londoner Westend kam und von dort am 22. May desselben Jahres ins Savoy Theatre, in der Umgebung des Strand, nahe Victoria Embankment wechselte, das über mehr Sitzplätze verfügte. Die letzte Aufführung lief am 10 Juni 1939, nach 141 Vorstellungen.

Doch das war nicht das Ende von „Gaslight“ – es war erst der Anfang.


1940 wurde, durch British National Films, die erste Kinofassung von „Gaslicht“ in der Regie von Thorold Dickinson in die Kinos gebracht, zu der uns Schauspieler und Schriftsteller Stephen Fry, Folgendes zu erzählen hat:



In den Hauptrollen dieses ersten Kinofilms waren mit Diana Wynyard und Anton Walbrook zwei auch in den USA erfolgreiche Filmschauspieler mit Theaterhintergrund verpflichtet worden. Wynyard hatte, nach ihrer Theaterkarriere in England, 1932 ihr Broadway-Debüt gegeben und im 1933 oscarprämierten Gesellschaftsdrama „Cavalcade“ (nach dem Stück von Noel Coward) die weibliche Hauptrolle gespielt – wofür sie selbst ebenfalls oscarnominiert worden war. Nach weiteren Erfolgen im amerikanischen Film, die jedoch nicht mehr in die A-Liga fielen, fand sie sich 1940 als durchaus gefragte Filmschauspielerin im United Kingdom wieder. 

Anton Walbrook war der anglisierte Künstlername des Österreichers Adolf Wohlbrück, der, nach eindrucksvoller Theaterkarriere als Absolvent des Reinhardt-Seminars und großen Rollen im deutschen Kino (so in „Viktor und Viktoria“ 1933, „Maskerade“ und „Der Student von Prag“ 1935) als homosexueller Jude und überzeugter Regimegegner 1937 im Rahmen der Dreharbeiten zur US-Fassung von der „Kurier des Zaren“ (The Soldier and the Lady) ins Exil ging. Da er fließend Französisch und Englisch sprach, stand ihm eine internationale Karriere offen – sie umfasste tragende Rollen in Klassikern wie „Das Leben und Sterben des Colonel Blimp (1943)“, Pressburgers „Die roten Schuhe“ (1948), „Der Reigen (1950)“ und auch Max Ophüls‘ „Lola Montez (1955)“. In den 30iger und 40iger Jahren bemühte er sich so viele jüdische und systemkritische Kollegen wie möglich aus Nazideutschland herauszubekommen, finanzierte Fluchtunternehmungen und unterstützte die Exilanten nach Kräften.

„Gaslicht“ wurde einer seiner größten Erfolge in Großbritannien.


Zwingt seine Frau Bella (Diana Wynyard) zum Bibelschwur: Paul Mallen (Adolf Wohlbrück)

Das Drehbuch von A.R. Rawlinson und Bridget Boland nimmt einige wesentliche Änderungen und Öffnungen des Hamilton-Stücks vor, die später auch die Hollywood-Neuverfilmung stark inspirieren und prägen werden.


Die Luft abgeschnürt: Alice Barlow.
So wird in der britischen Verfilmung, in der der Nachname des Ehepaars von Manningham auf Mallen und Jack zu Paul geändert wird, erstmals der Mord an der Vorbesitzerin des Hauses, Alice Barlow, gezeigt (Ihr Dienstmädchen wird übrigens von Katie Johnson gespielt, die den meisten aus dem Komödienklassiker „Ladykillers (1955)“ als unbedarfte Vermieterin Mrs. Wilberforce, an der Seite von Alec Guinness und Peter Sellers, bekannt ist), und es gibt auch erstmals eine Szene die den Einzug in das Haus am Thornton Square 12 zeigt.


Das Ehepaar Mallen.

Darauf folgt, immer noch in einem Vorlauf, die interessante kurze Sequenz die das Ehepaar beim Kirchgang in der neuen Gemeinde zeigt. Das Getuschel der Leute führt das Paar für das Publikum ein, und Rough, der ebenfalls in der Kirche war, hat die Gelegenheit Paul wiederzuerkennen. Diese Sequenz spiegelt in diesem Punkt voraus auf die aufwendige Tower-Szene im späteren Remake.


Ähnelt Kritikerlegende Roger Ebert: Frank Pettingell ohne Brilleng'stell.
Wir erleben dann Rough, den Pensionär, wie er seine Pferde pflegt und immer noch über das Wiedererkennen rätselt, während er den Bobby ausquetscht, der regelmäßig am Thornton Square patrouilliert.
An einem Abend etwas später, steht Rough im Nebel, und blickt zu dem Haus am Thornton Square empor, fragt sich, was dort sich abspielen mag.

Die erste Szene in der wir die Mallens, Sekunden später, in ihren vier Wänden erleben ist aber praktisch identisch mit der Eröffnungsszene des Stücks.

Die Handlung, die in der Bühnenfassung an einem einzigen Abend und der sich anschließenden Nacht spielt, wird hier geöffnet und mit ein paar Handgriffen in einen längeren Handlungsbogen, der einen längeren Zeitraum umfasst, umgearbeitet, ohne sich jedoch allzu weit vom Dramentext zu entfernen, oder dessen Geschlossenheit allzu wesentlich zu brechen.


Häuslicher Unfriede: Bella, Hausmädchen Nancy und Jack.
Entscheidend ist aber vor allem die Idee eine neue Szene einzuflechten, die sichtbar macht, wie Jack seine Ehefrau in der Öffentlichkeit, der Außenwelt, kontrolliert und demütigt. Er führt Bella zu einem Konzert im Haus der Lady Winterbourne aus, nutzt aber die Hoffnung und Freude seiner Frau nur als Fallhöhe um ihr dort vor allen Leuten einen besonders grausamen „Streich“ zu spielen, der beinahe zum Zusammenbruch führt. Diese Sequenz dient als Vorbau zum Klimax, und wird später auch im amerikanischen Remake sehr eindrucksvoll mit derselben dramaturgischen Funktion umgesetzt werden, nur dass es sich dort um eine Soiree mit Musik im Haus einer alten Freundin der Alquists handelt, und Ingrid Bergmans Figur ein massiver Moment der Stärke eingeräumt wird, da sie sich gegen die Wünsche ihres Mannes durchsetzt, wodurch er gegen seinen Willen mit ihr ausgehen muss – was die Wirkung nochmals steigert.


In der Drehpause: Adolf Wohlbrück, Diana Wynyard und Regisseur Dickinson.
Nicht alle Szenen mit denen die britische Fassung die Handlung öffnet, sind klug. Beispielsweise begegnet Bella Rough (gespielt von Frank Pettingell, der eine ziemliche Ähnlichkeit mit Kritikerlegende Roger Ebert in seinen besten Jahren hat – nur die Brille fehlt) hier schon früher, ohne zu wissen wer er ist, als sie im Park des Squares spazieren geht und beide sich um einige Straßenkinder kümmern; eine andere Szene zeigt uns – parallel zu Roughs finaler Aufklärung im Haus - wie Paul mit Hausmädchen Nancy in eine Tanzhalle ausgeht. Diese Szenen verlieren mehr an Spannung und Intensität als sie aufbauen können. Eine absolute Schwäche ist Richard Addinsells Musik, die mehr zu einem romantischen Melodram als zu einem Thriller passt, und an den meisten Stellen wo man akzentuieren müsste, schmerzhaft fehlt. Die Kameraarbeit andererseits ist gut, wen auch nicht inspiriert, und, dort wo die Kamera sich bewegt, bei Kamerafahrten und Schwenks, sogar hervorragend.


Regisseur der britischen Verfilmung von "Gaslicht" - Thorold Dickinson.
Dass die britische Verfilmung dennoch äußerst sehenswert und gelungen ist, liegt an Thorold Dickinsons Geschick auf dem Regiestuhl, den starken Dialogen von Patrick Hamilton und den erstklassigen Hauptdarstellern, besonders dem brillanten Adolf Wohlbrück. Dieser Schauspieler, der offensichtlich Tanz und Fechtunterricht absolviert hatte, verfügt über eine extrem elegante, fast tänzerische Körperlichkeit, die er im Sekundenbruchteil bedrohlich wirken lassen kann, und lässt in seinem vielschichtigen Spiel fast alles , von Eiseskälte bis hin zu animalischer Grausamkeit und fiebrigem Wahn, unter einer formvollendeten Oberfläche hindurch schimmern. Er spielt die Rolle ebenso intensiv doch ungleich nuancierter als später Charles Boyer im US-Remake. Diana Wynyard bietet als Bella exzellent Paroli, und auch wenn das Skript ihr nicht ansatzweise den Bogen zur Verfügung stellt, den später Ingrid Bergman spielen durfte, und sie von deren umwerfender tour de force entfernt bleibt, liefert sie eine sehr starke Darstellung mit einigen großartigen Momenten die sich dem Betrachter einbrennen.


Sieht das Gaslicht flackern, obschon niemand sonst im Haus ist: Bella (Diana Wynyard).

Hier ein Szenenauszug aus diesem Film:





Schauspieler-Biographie von Vincent Price im Programmheft von "Angel
Street"
„Gaslicht“ war im britischen Kino ein Riesenerfolg, was den Ruf des Bühnenstückes nochmals erhöhte. Überall in Großbritannien wurde es nun gespielt, und es kann niemanden wundernehmen, dass der viktorianische Thriller auch alsbald den Sprung über den großen Teich schaffte und in den USA aufgeführt wurde.

Im Frühjahr 1941 sah der Schauspieler Vincent Price, am Anfang seiner Laufbahn stehend, mit seiner Ehefrau, Schauspielerin Edith Barrett, eine bearbeite Fassung von „Gaslicht“ für nur drei Personen in Los Angeles. Die Überarbeitung lief dort unter dem Titel „Five Chelsea Lane“. Die beiden waren sehr von dem Stück beeindruckt, und sahen sofort die Möglichkeit für ein gemeinsames Projekt, bot das Stück doch ein im Zentrum stehendes Ehepaar und zwei gleichstarke Hauptrollen.

Price, ein hervorragender Schauspieler mit sehr ähnlichen darstellerischen Eigenschaften und Fähigkeiten wie Wohlbrück, gelang es die Aufführungsrechte für Amerika zu erwerben, und fand mit Shepard Traube und Alexander H. Cohen Produzenten die bereit waren eine Broadway-Produktion auf die Beine zu stellen und zu finanzieren. Allerdings zog sich Barrett in letzter Minute aus dem Projekt zurück, da Filmangebote winkten, die sie nicht ausschlagen konnte. Statt ihrer besetzte man Judith Evelyn, die Kanadierin, die Price und Barrett in Los Angeles bereits als Bella Manningham gesehen hatten.

Originalplakat der Broadway-Aufführung.


Unter der Regie von Traube hatte das Stück am 5. Dezember 1941 im John Golden Theatre seine New Yorker Broadway Premiere- aus lizenzrechtlichen Gründen unter dem geänderten Titel „Angel Street“


Vincent Price am Schlafittchen von Judith Evelyn. Im Hintergrund: Leo G. Carrol als
Mr. Rough
In der Rolle des Rough war Leo G. Carroll zu sehen, einer der bekanntesten Charakterdarsteller der 40iger und 50iger Jahre, oft im Kino zu sehen als der verrückte Professor (so 1955 in Jack Arnolds „Tarantula“ und 1959 in Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“) oder in Schurkenrollen.

Es ging damals niemand davon aus, dass diese US-Aufführung ein Hit werden würde, der britische Ruf des Stücks war in den USA noch nicht angekommen, die beiden Hauptdarsteller waren keine großen, bekannten Namen. Traube steckte nicht einmal sein eigenes Geld in die Produktion sondern verkaufte stattdessen prozentuale Einnahmen zu je 15 000 Dollar an 15 sogenannte „Engel“, also Mäzene des Broadwaytheaters.

Man war so vorsichtig, über den Premierenabend hinaus noch gar keine Tickets für weitere Aufführungen zu drucken, weil es so gut wie keine Reservierungen gegeben hatte (später stockte man auf drei Aufführungen auf). Jeder rechnete mit einem Desaster.

Das sollte sich ändern.

Brooks Atkinson schrieb eine Bombenkritik in der NEW YORK TIMES (“als Schauerstück ist Patrick Hamiltons viktorianisches Melodram eine Klasse für sich“), auch die anderen Kritiken überschlugen sich, die anfangs wenigen Zuschauer erzählten ihren Freunden und Bekannten begeistert von der neuen Thriller-Sensation am Broadway, die ihnen eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagte.
Die nahezu beispiellose Mundpropaganda tat ihre Wirkung.


Ein Bild wird entdeckt: Vincent Price und Judith Evelyn.


Der Bibelschwur. Mit Florence Edney (Mitte) als Elizabeth.


Tänzchen gefällig?

Leo G. Carroll

Judith Evelyn als Bella Manningham

Vincent Price als Jack und Judith Evelyn als Bella

Hat da jemand ein Glaskinn ?

Kürzlich versteigert: Glückwunsch-Telegramme zur Premiere von "Angel Street" - aus dem Nachlass von
Vincent Price.

Original Broadway - Flyer.


Seltene Farbaufnahme, die einen Eindruck vom Bühnenbild vermittelt.
„Angel Street“ mauserte sich rapide zum Überraschungshit, der bis zum 30.Dezember 1944 ununterbrochen vor ausverkauften Häusern lief, volle 1295 Vorstellungen lang. Es war das bis dahin am längsten laufende Sprechtheaterstück in der Geschichte des Broadway. „Angel Street“ setzte eine Bestmarke, die im Thriller-Genre erst 1970 durch Anthony Shaffers „Sleuth“ (1222 Vorstellungen) in Reichweite kam und 1978 durch Ira Levins Meisterwerk „Deathtrap“ (1793 Vorstellungen) geknackt werden konnte, also 34 Jahre später.
Leider ist uns von dieser Aufführung, die den Namen Vincent Price, der in den 60iger Jahren durch die Zusammenarbeit mit Roger Corman so berühmt werden sollte, erstmals auf die Landkarte setzte außer einer Reihe von Fotografien, nicht viel erhalten – insbesondere gibt es keinen Mitschnitt. Allerdings haben wir etwas, das fast genauso gut ist. Denn 1952 präsentierte NBC in der Radioreihe „Best Plays“ eine etwa einstündige Hörspielfassung von „Angel Street“ in der Vincent Price und Judith Evelyn ihre Darstellungen wiederholten, ebenso wie Elizabeth Eustis ihre Rolle der Nancy. Dieses Hörspiel dürfte insofern einen glaubwürdigen Eindruck dieser Inszenierung und der Darbietungen vermitteln.

Hier ist sie:



Kein Wunder, dass sich Hollywood nach diesem Sensationserfolg am Broadway brennend für die Filmrechte eines US-Remakes interessierte. Produzent Arthur Hornblow konnte sich diese für Metro Goldwyn Mayer sichern, als die Bühnenproduktion mit Price und Evelyn noch lief. Um ihre eigene Produktion abzusichern bediente man sich bei MGM eines besonderen Deals: Nicht nur erwarb man die Rechte an einem Kino-Remake, sondern man handelte aus, dass die britische Verfilmung aus dem Verkehr gezogen werden müsse, die Kopien verbrannt und, wenn möglich, auch noch das Negativ vernichtet.


Die Erstverfilmung unter dem US- Titel. Durch die falsche Beschriftung überlebte
der Film.
Was drastisch klingt, war damals übliche Praxis um mehrere konkurrierende Produktionen desselben Stoffs zu vermeiden. Es war auch keineswegs neu. Als MGM beispielsweise 1941 unter dem Titel „Arzt und Dämon“ ein eigenes Remake ihres 1932er Hits „Dr.Jekyll und Mr. Hyde“, diesmal mit Spencer Tracy in der Hauptrolle, drehte, versuchte man alle Kopien der überlegenen Erstverfilmung mit Fredric March aus dem Verkehr zu ziehen, um die Neuverfilmung zu schützen. Gottseidank scheiterten diese Bemühungen.

Sie scheiterten auch im Falle von „Gaslicht“, hauptsächlich weil nicht alle Kinobetreiber Folge leisteten, und weil diverse Kopien des Dickinson-Films irrtümlich mit „Angel Street“, also dem Titel der US-Broadway-Aufführung, beschriftet waren, und nach diesem Titel fahndete niemand. Dadurch sind uns heute dankenswerterweise beide Verfilmungen erhalten. Dennoch galt die britische Verfilmung lange Jahre als nahezu verschollen.





Bevor wir uns mit den Dreharbeiten und der Produktion beschäftigen, lohnt es sich in diesem Fall einen analytischen Blick auf das Drehbuch zu werfen, denn die US-Fassung von „Gaslicht“ die in Deutschland den interessanten Titel „Das Haus der Lady Alquist“ trägt, weist einige signifikante Unterschiede zu  Stück und Erstverfilmung auf, die zu den Gründen dafür gehören, dass die Neuverfilmung  das Original letztlich überragt.
Hornblow beauftragte mit der Drehbuchadaption das Trio John Van Druten, John L. Balderston und Walter Reisch.

John Van Druten, der selbst aus England stammte, er war um die Jahrhundertwende in London geboren worden, war nicht nur ein erfolgreicher Skriptdoktor (unter anderem für „Vom Winde verweht“ 1939 und „Stolz und Vorurteil“ 1940) und Drehbuchautor (adaptierte u.a. Emlyn Williams Thriller „Night Must Fall“ 1937) sondern auch selbst ein erfolgreicher Dramatiker. Seine  größten Theaterhits waren „Hilfe, meine Braut ist übersinnlich“ (später verfilmt mit James Stewart und Kim Novak) und „I am a Camera“, 1955, nach dem autobiographischen Roman „Leb wohl, Berlin“ von Christopher Isherwood, dessen Musicalfassung 1966 weltberühmt wurde, dann unter dem Namen „Cabaret“.
John L. Balderston, Drehbuchautor und Dramatiker, wiederum war Amerikaner, aber stark vertraut mit dem viktorianischen England. Er hatte sowohl Hamilton Deans Bühnenfassung von Stokers „Dracula“ 1927, wie auch Peggy Webblings Bühnenfassung von Mary W. Shelleys  „Frankenstein“ für den Broadway adaptiert, und schrieb auch die Drehbücher der Universal-Verfilmungen beider Stoffe in den dreißiger Jahren.  1932 schrieb er auch das Drehbuch zum brillanten Gruselklassiker „Die Mumie“ mit Boris Karloff. Als Skriptdoktor war er auf britische Stoffe regelrecht spezialisiert. Auch er gehörte, ebenfalls wie Van Druten ungenannt, zum Drehbuchteam von „Vom Winde verweht“.


Original - Drehbuchseite
Walter Reisch, ein jüdischer Österreicher, war bereits im deutsch-österreichischen Film der 20iger und dreißiger sehr erfolgreich gewesen, besonders als Autor diverser Operettenverfilmungen und gehobener Musiklustspiele (Drehbuch & Liedtexte). 1933 schrieb er das Drehbuch zu „Maskerade“ (in dem Adolf Wohlbrück spielte), einem Musikfilm dessen Lieder von Reischs Cousin Georg Kreisler stammten, wofür er auf den Filmfestspielen von Venedig 1934 den Drehbuchpreis erhielt.

1937 nahm er ein Angebot der MGM für einen Hollywoodvertrag an und verließ Europa, gerade noch rechtzeitig. Bei MGM war er nicht nur der Experte für Operettenstoffe, sondern auch der Standardautor für Stoffe die für die weiblichen Stars des Studios aufbereitet werden sollten (dazu gehörten u.a. Greta Garbo, Olivia de Havilland, Hedy Lamarr, Vivien Leigh, Merle Oberon, Lana Turner und Ingrid Bergman). Walter Reisch schrieb, zusammen mit Billy Wilder, das Drehbuch zu Ernst Lubitschs komödiantischem Meisterwerk „Ninotscha“ 1937 und sollte bis in die 50iger Jahre hinein erfolgreich bleiben („Niagara“ 1953 mit Marylin Monroe, „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ 1959 mit James Mason).
Für das Drehbuch des Melodrams „Der Untergang der Titanic“ gewann er 1953 den Oscar für das Beste Originaldrehbuch.


Werbeankündigung des Films von 1944
Diese drei Autoren bearbeiteten das Bühnenstück von Patrick Hamilton für das Kino, und zwar mit offensichtlicher Kenntnis der Erstverfilmung aus der sie zusätzliche Ideen übernahmen. Auch in der Hollywoodfassung von „Gaslight“ wurden die Namen des Ehepaars geändert. Aus Jack und Bella Manningham wurden nun Gregory und Paula Anton, geborene Alquist.

Aus der Vorbesitzerin des Hauses, „Kutscherlady“ Alice Barlow, wurde nun die bekannte Opernsängerin Alice Alquist, deren 14-jährige Nichte, in der Nacht von Alquists Ermordung im nebligen Viertel Pimlico, unter Schock stehend aus dem Haus geführt und in eine Kutsche gesetzt wird. Um ein Haar wäre sie Zeugin des Verbrechens geworden.

Diese Nichte ist Paula Alquist.
Nicht nur in der Verknüpfung vom Paula und der Vorbesitzerin des Hauses liegt ein entscheidender Unterschied, sondern auch in dem Zeitpunkt an dem der Zuschauer Paula das erste Mal begegnet. Durch die Verlagerung dieser Begegnung nach vorne, in die Nacht des Mordes, hat dieses Drehbuch die Möglichkeit die Handlung anders als das Stück und die britische Verfilmung zu strukturieren. Wir erleben die junge Paula zuerst als überschwängliche, glückliche junge Frau in Italien, wo sie seither aufgewachsen ist, und sich zur Sängerin ausbilden lässt, in einem kleinen Städtchen in Oberitalien – alles im Studio nachgebaut.

Wir erleben wie sie sich dort, heimlich, in den Pianisten Gregory Anton verliebt, und ihn überstürzt heiratet – und schließlich mit ihm in das Haus am Thornton Square (diesmal Nummer 9) in London zieht, dass sie von ihrer Tante geerbt hat.

Heißt: In dieser Adaption steigen wir nicht wie im Stück und dessen erster Verfilmung in medias res ein, sondern wir erleben Paulas Abstieg von Anfang an mit, ihren Weg in die Hölle – und zurück. Dadurch entsteht für die entsprechende Schauspielerin ein viel größerer Bogen, ebenso für die Figur des Gregory.

Fernsehzeitungsausschnitt zur deutschen TV-Erstausstrahlung in der HÖRZU Nr. 23 von 1967.


May Whitty als Mrs. Thwaites, Ingrid Bergman als Paula Anton
Ein weiterer Kniff der Autoren besteht darin die Figur des Rough in zwei Andere aufzusplitten: Der humorvoll-sympathische Teil seiner Eigenschaften wird in die neue Rolle der neugierigen, ältlichen Nachbarin Mrs.Thwaites gegossen, die auch am Thornton Square wohnt. Die Funktion des mysteriösen Fremden der, vielleicht, ein Polizeiermittler ist, wird in eine jüngere Figur implementiert, Brian Cameron, der auch als mindestens theoretischer Love Interest für Paula fungieren kann. Und weil diese Figur jünger ist, demnach die damaligen Ermittlungen nicht aus erster Hand erlebt haben kann, erklärt man sein Interesse am Alquist-Fall durch einen persönlichen Bezug zur Sängerin Alice
Alquist.
Während Paula Mrs. Thwaites sehr früh begegnet, nämlich bereits im Zug nach Lago di Como, tritt Cameron erst später auf, in der packenden, neu eingebauten Szene im Londoner Tower, die zugleich motivisch auf das Geheimnis des Hauses der Lady Alquist anspielt, nach ca. 30 Minuten.

Da dieser Film, in dem auch die Figuren der Dienstmädchen sehr viel besser ausgearbeitet sind als in allen vorherigen Versionen, deutlich mehr auf Entwicklung hin angelegt ist, auch mehr Szenen psychologischen Terrors bietet und der Figur der Paula deutlich mehr Momente der Stärke als verschärfenden Kontrast gibt, ist er fast eine halbe Stunde länger als Verfilmung aus Großbritannien (mit 88 Minuten vergleichsweise kurz).


Colorierte Lobby -Card.


Als nachgerade genialisch muss man den hier neu geschaffenen, anspielungsreichen musikalischen Hintergrund bezeichnen; denn die Traumrolle der Alice Alquist, dies wird im Skript mehrfach erwähnt, war ausgerechnet die der Lucia di Lammermoor aus der gleichnamigen Oper von Gaetano Donizetti – die in dieser Oper in einer berühmten Arie dem Wahnsinn verfällt.

In Summa:

Dieses Drehbuch beinhaltet einen wesentlich größeren Bogen, dafür sehr viel weniger lose Enden, denn die Dinge werden sinngebend miteinander verknüpft, so dass am Ende alles an seinen Platz fällt (was der dramaturgischen Mechanik moderner Thriller viel eher entspricht), die Nebenfiguren sind besser und liebevoller ausgearbeitet, die Dichte der Psychoterror-Sequenzen wird nicht gebrochen, sondern gesteigert und es wird mit bestimmten Leitmotiven gearbeitet, die sich durch das ganze Skript ziehen. Eine deutlich rundere, wirkungsmächtigere Geschichte als im Vorläufer.



Charles Boyer (links) in einer Drehpause mit Ingrid Bergman
Natürlich war auch diese Fassung, wie bei jedem Kammerspiel, sehr stark abhängig von einer möglichst hochkarätigen Besetzung. Metro Goldwyn Mayer traf auch hier ins Schwarze. Für die Rolle des Gregory Anton verpflichtete man den französischen Filmstar Charles Boyer. Boyer war bereits seit den 20iger Jahren ein gefragter Filmschauspieler, mit Studium am Pariser Konservatorium, und arbeitete seit 1929 auch immer wieder in den Vereinigten Staaten. Der große Durchbruch gelang ihm 1934 mit der Hauptrolle in Fritz Lang’s Verfilmung von Ferenc Molnars „Liliom“. Ein internationaler Star wurde er durch Anatole Litvaks „Mayerling“ 1936, danach drehte er vornehmlich in den USA. Er spielte häufig tragisch-gebrochene Heldenfiguren und romantische Liebhaber, so unter anderem als Napoleon Bonaparte neben Greta Garbo im Historiendrama „Maria Walewska (1938)“ oder in „Algiers (1939)“ als Taschendieb Pepe le Moko . Für beide Darstellungen war er als Bester Hauptdarsteller für den Oscar nominiert gewesen. 1942 wurde er , Im Zuge des zweiten Weltkriegs, amerikanischer Staatsbürger. Mit seinem Ruf als romantischer Liebhaber der auch Abgründe spielen konnte, eine Art George Clooney jener Zeit, war er eine Idealbesetzung für eine Rolle, die verlangte, dass der Zuschauer zwar seinem Charme und Esprit verfiel, ihn zunächst als harmlos unterschätzte, dann aber völlig in seinen dominanten Bann geriet – so wie die Figur der Paula.



Ingrid Bergman Backstage mit Garderobiere
Für die weibliche Hauptrolle waren zunächst Irene Dunne und Hedy Lamarr (hinter der sich Österreicherin Hedwig Kiesler verbarg) im Gespräch, die endgültige Wahl fiel aber auf die in Deutschland geborene Ingrid Bergman, Tochter eines schwedischen Fotografen und einer Deutschen. Die Schwedin hatte Anfang der Dreißiger Jahre die Schauspielschule des Königlichen Dramatischen Theaters in Stockholm besucht, mit demselben Stipendium wie viele Jahre vor ihr bereits Greta Garbo. Der Durchbruch im Filmfach gelang der Bühnenschauspielerin 1936 mit Gustav Molanders Drama „Intermezzo“, das den Namen Ingrid Bergman berühmt machte. 1939 verpflichtete man die Schauspielerin für das US-Remake – sie sprach noch kein Wort Englisch, was sich schnell änderte. Durch die US-Fassung von „Intermezzo“ wurde die unfassbar nuanciert und natürlich spielende Bergman in Amerika über Nacht zum Star. Schnell folgten große Hauptrollen in einem amerikanischen Klassiker nach dem Anderen: „Arzt und Dämon“ mit Spencer Tracy (1941), „Casablanca“ mit Humphrey Bogart 1942 und die Hemingway-Adaption „Wem die Stunde schlägt“ mit Gary Cooper 1943, wofür sie ihre erste Oscar-Nominierung erhielt. 1944, als sie für die Rolle der Paula besetzt wurde, lag ihre dreifache spätere Zusammenarbeit mit Hitchcock (in „Ich kämpfe um dich“, „Berüchtigt“ und „Sklavin des Herzens“) noch ebenso in der Zukunft, wie ihre skandalträchtige öffentliche Affäre mit Roberto Rosselini (1949) die zur Scheidung von Petter Lindström führen sollte.

Eine Scheidung, die, daran sei erinnert, Rumer Godden wesentlich zu ihrem Roman „Kampf in der Villa Fiorita“ inspirieren sollte, dessen obskure Verfilmung von 1965 ebenfalls auf diesem Blog besprochen wurde (Hier: https://uncahierducinema.blogspot.com/2017/03/der-kampf-in-der-villa-fiorita-1965.html)




Auch Ingrid Bergman sieht das Flackern.....
Produzent David O’Selznick von RKO Pictures, bei dem sie unter Vertrag stand, war anfangs überhaupt nicht überzeugt vom Star-Potential der Bergman, die das American Film Institute auf den vierten Platz der größten Schauspielerinnen der Filmgeschichte wählen sollte, im Gegenteil: „Sie spricht kein Englisch, ist zu groß, ihr Name klingt zu Deutsch und ihre Augenbrauen sind zu dick“, so seine Worte.

Dennoch war O’Seznick außer sich, als er erfuhr, dass er zwar seine Vertragsschauspieler Bergman und Jospeh Cotten (in der Rolle des Brian Cameron) an MGM nach dem üblichen Verfahren „ausleihen“ sollte, seine Starschauspielerin aber nicht einmal die Top-Nennung erhalten sollte – diese hatte MGM vertraglich bereits Charles Boyer zugesichert. An welcher Stelle man über oder unter dem Titel eines Films genannt wurde, spielte damals in vielen Verträgen eine Rolle, sagte etwas über Erfolg und Stellung eines Schauspielers aus und war vermarktungsrechtlich entscheidend.


Wer ist erster? Boyer, Bergman oder Cotten?
Es kam zu einer längeren, sehr gut dokumentierten Auseinandersetzung zwischen O’Selznick und Charles Boyer um die Frage, wer die Star-Nennung erhalten sollte. Ingrid Bergman selbst war diese Frage weniger wichtig – sie wollte die Rolle, und nach anfänglichen Zweifeln ob sie eine so schwache, passive Figur überhaupt würde spielen können, unbedingt die Gelegenheit nutzen mit Boyer zu arbeiten, dessen französische Filme sie kannte und bewunderte. Sie bearbeitete Selznick, seinen Anspruch aufgeben.

George Cukor, Regisseur von "Das Haus der Lady Alquist"

Die Lösung fand aber schließlich der erwählte Regisseur von „Das Haus der Lady Alquist“ – George Cukor.

George Cukor, Sohn jüdisch-ungarischer Einwanderer, der bereits erfolgreich in New York als Theaterregisseur gearbeitet hatte, kam 1929 mit wandernden Schauspielern nach Hollywood, wo er sich schnell hocharbeitete. 1930, bei der Erich-Maria Remarque Verfilmung „Im Westen Nichts Neues“ führte er bereits Dialogregie, der Durchbruch als Regisseur gelang ihm, nach einer Zeit als Regieassistent, 1933 mit „Vier Schwestern“ der ersten Verfilmung von Louisa May Alcotts „Little Women“, einem Film der entscheidend war für die Karriere der jungen Katherine Hepburn. Schnell etablierte er sich als Spezialist für Literaturverfilmungen und anspruchsvolle Screwball-Komödien, Höhepunkte waren unter anderem „Die Nacht vor der Hochzeit“ (The Philadelphia Story) 1940 und „Die Frauen“ 1939. 

Er wurde später der Standard-Regisseur für die spritzigen Komödien des Duos Katharine Hepburn und Spencer Tracy, die als komödiantische Höhepunkte der 40iger und 50iger Jahre gelten. Er galt dabei als absoluter Meister der Schauspielerführung, als jemand der Darsteller, besonders Darstellerinnen, zu beachtlichen Leistungen anspornen konnte, indem er die Psychologie der Figuren aufschlüsselte, Motive und Absichten für die Verkörpernden greifbar machte und sie mit sensiblem Gespür dazu brachte, sich selbst zu übertreffen. Er war in der Lage, wie nur wenige andere amerikanische Regisseure vor der Zeit des Method Acting, Schauspielern einen unmittelbaren, tiefen Zugang zu einer Rolle zu ermöglichen und perfekt interagierende Ensembles aus unterschiedlichen Charakteren zu schmieden.

DarstellerInnen die in Filmen von George Cukor spielten, erreichten dort oft einen Karrierehöhepunkt und wurden überdurchschnittlich oft mit Preisen ausgezeichnet. 21 Schauspieler (12 Frauen und neun Männer) erhielten Oscar-Nominierungen in Filmen, die Cukor inszeniert hatte.


Später Triumph: George Cukor erhält aus den Händen von Joan Crawford 1965 den
Regie-Oscar für "My Fair Lady"
Dabei war der offen homosexuell lebende Cukor im testosterongeschwängerten Hollywood lange Jahrzehnte immer wieder Diskriminierungen und Mobbing ausgesetzt. Clark Gable mobbte ihn vom Set von „Vom Winde verweht“, als der Film bereits zu zwei Dritteln abgedreht war. Cukor wurde durch Victor Fleming ersetzt, der für die Arbeit 1940 einen Oscar gewann, dafür musste Cukor dann die Dreharbeiten zu „Das zauberhafte Land“ (The Wizard of Oz) mit Judy Garland, übernehmen, den Victor Fleming begonnen hatte. Cukor erhielt für diese – brillante - Arbeit keine namentliche Nennung. Ähnliches spielte sich in seiner Karriere noch häufiger ab.
Er war, trotz beachtlicher Leistungen und einiger Erfolge, sehr lange der Mann im Schatten.

Erst 1964 war ihm ein später ganz großer Triumph vergönnt, als Jack Warner ihm die Regie des aufwendigen Musicalklassikers „My Fair Lady“ mit Audrey Hepburn und Rex Harrison übertrug; für diese sensationelle Inszenierung gewann er 1965 den Oscar für die Beste Regie, der Film selbst sogar acht Oscars.


Zwanzig Jahre früher inszenierte er „Das Haus der Lady Alquist“ – und löste das Problem der Namensnennung mit einem Trick: Er schlug seinem vormaligen Chef, David O’Selznick, ein sogenanntes „Sandwich-Billing“ vor. Ingrid Bergmans Name würde von denen der männlichen Hauptdarsteller, Charles Boyer und Joseph Cotten, umrahmt werden, Boyers Name oben, Cottens unten, alle drei Namen ÜBER dem Titel des Films. Auf diese Weise hatte Bergman einen sehr zentralen Spot und Boyer dennoch die zugesagte Star-Nennung als Erster. Erst nach diesem Vorschlag war David O’Selznick überhaupt bereit Bergman und Cotten in der MGM Produktion spielen zu lassen.


Filmplakat mit "Sandwich - Billing"


Joseph Cotten als Brian Cameron, der Paula Alquist wiedererkennt
Interessant war auch die atypische Besetzung von Joseph Cotten als Brian Cameron. Cotten war nach einer Theaterlaufbahn die in den 1930er Jahren begann (und deren Höhepunkt übrigens das Stück „Die Nacht vor der Hochzeit war“, das George Cukor später verfilmte) in Orson Welles‘ Projekt „Mercury Theatre“ eingestiegen. Dort spielte er in zahlreichen Theater- und Radioproduktionen und folgte Welles schließlich nach Hollywood wo er 1941 in dessen Meisterwerk „Citizen Kane“ die tragende Rolle des Jedediah Leeland, des besten Freundes von Medienmogul Charles Foster Kane, um dessen letztes Wort, Rosebud, der Film kreist, übernahm. Er brillierte auch in Welles‘ zweitem Film, „Der Glanz des Hauses Amberson“ der bekanntlich von den Produzenten bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurde, während Welles eine Dokumentation in Brasilien drehte. 1943, im Jahr vor „Das Haus der Lady Alquist“ glänzte Cotten in Alfred Hitchcocks „Im Schatten des Zweifels“ als diabolischer Witwenmörder. Und in dieser Rolle war er dem damaligen Publikum noch sehr lebendig in Erinnerung.

So war in Cukors Film ein bekannter Leinwand-Liebhaber als Bösewicht und Leinwand-Bösewicht als potentieller Retter zu sehen, und genau diese gegengleiche Besetzung erzeugte für die Zuschauer damals zusätzliche Ambivalenzen, und ließ sie nicht allzu früh bereits erkennen was hier gespielt wurde.

In weiteren Rollen waren die wunderbare britische Schauspielerin Barbara Everest als lebenserfahre, taube Haushälterin Elizabeth und Dame May Whitty zu sehen, die Mrs. Thwaites verkörperte. Whitty, eine großartige Darstellerin verschrobener älterer Damen, war dem Publikum noch als großmütterliche Geheimagentin Mrs. Froy in Erinnerung, die 1938 in „Eine Dame verschwindet“ spurlos aus einem fahrenden Zug verschwand – dem Film, der Hitchcocks Ticket nach Amerika wurde.


Angela Lansbury als Hausmädchen Nancy entflammt Charles Boyer als Gregory
Drehbuchautor John Van Druten kannte zufällig die, mit ihren Töchtern vor dem Krieg aus England geflohene bekannte Schauspielerin Moyna McGill persönlich, und schlug Cukor vor, unbedingt deren Töchter für die Rolle des Hausmädchens Nancy vorsprechen zu lassen. Eine dieser Töchter, und die erste die für einen Screentest vorsprach, war die damals erst siebzehnjährige Angela Lansbury, die zu dieser Zeit im Bullocks Department Store in Los Angeles jobbte, wo sie 27 Dollar die Woche verdiente. Cukor war sofort hingerissen von Lansburys starkem natürlichem Talent und ihrem Professionalismus. Schauspielstunden hatte sie zwar bis dato schon gehabt, jedoch noch nie gespielt, schon gar nicht vor der Kamera.

Cukor war trotzdem überzeugt und besetzte sie.

Ihr Chef im Kaufhaus wollte die sympathische Verkäuferin nicht verlieren und bot ihr an, ihr dasselbe zu zahlen wie MGM; als er jedoch hörte, dass es sich dabei um einen Wochenlohn von 500 Dollar handelte, erkaltete sein Enthusiasmus für diese Idee schlagartig.

Häuslicher Unfriede II: Version von 1944

Die Rolle sollte für Lansbury der Beginn einer bislang 75-jährigen Karriere werden, die nicht nur 3 Oscarnominierungen für Kinorollen in den 40ern und 60ern, sondern auch eine enorme Broadway-Karriere mit rekordbrechenden 5 Tony Award Auszeichnungen (davon viermal als Beste Hauptdarstellerin in einem Musical: 1966 für „Mame“, 1969 für „Dear World“, 1975 für „Gypsy“ und 1979 für „Sweeney Todd“, sowie einmal als Beste Nebendarstellerin in einem Bühnenstück für „Blythe Spirit“ 2009, wofür sie auch den Olivier Award erhielt) und 12 Emmy Nominierungen für die Rolle der Jessica Flechter in 12 Staffeln der beliebten Krimiserie "Mord ist ihr Hobby“ umfassen sollte. Sie beschreibt ihre allerersten Dreharbeiten hier so:

https://vimeo.com/75103432


Auf Anregung George Cukors begann Ingrid Bergman schon vor Beginn der Dreharbeiten sich monatelang intensiv auf die Rolle der Paula Anton und ihre Herausforderungen vorzubereiten, indem sie verschiedene Kliniken und Hospitäler für psychisch Kranke über einen längeren Zeitraum besuchte um die mentale Verfassung von Betroffenen zu studieren und zu begreifen. Besonders beschäftigte sie sich mit einer Patientin, die kurz zuvor einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte – von ihr ließ sie später Ticks, Reaktionen und Manierismen in ihre Darstellung einfließen. So verschaffte sich Bergman, zu einer Zeit als diese Art von intensiver Recherche noch nicht allgemein in der Schauspielerei üblich war, ein emotionales Instrumentarium, Sinneseindrücke und psychologisches Verständnis für die Situation ihrer Figur, die über das Drehbuch hinaus gingen.


Liebhaber auf der Box. Charles Boyer und Ingrid Bergman im Studio-"Italien" von MGM
Die erste Szene von „Das Haus der Lady Alquist“ die je gedreht wurde, war diejenige, in der die alleinreisende Paula am Bahnhof von Como ankommt, wo sie von ihrem Ehemann Gregory überrascht wird. Sie stürmt aus dem Abteil, wirft sich ihm in die Arme, die beiden küssen sich leidenschaftlich. Die Sequenz war nicht unproblematisch, denn Charles Boyer war körperlich nicht sehr groß (ein Schicksal, das der Schreiber dieser Zeilen teilt), und damit es keine ungünstigen Winkel in der Aufnahme gab, musste er auf einer kleinen Kiste stehen, so dass er auf Bergmans Augenhöhe war. Unglücklicherweise konnte die ihre Füße nicht ausreichend kontrollieren während sie stürmte und stieß, jedesmal wenn sie sich Boyer an den Hals warf, die Kiste um, was zu ungewollt komödiantischen Verwicklungen führte.

Dadurch brauchte die kurze Szene sehr viele Takes (Einzelversuche). Für den Rest des Films trug Charles Boyer daher lieber, wo immer die Kiste umgangen werden konnte, Schuhe mit 5 cm hohen Absätzen.

Für Bergman war das Ganze zusätzlich unangenehm, weil sie und Boyer sich erst unmittelbar vor dieser Szene das erste Mal überhaupt persönlich begegnet waren, und es der extrem sensiblen Schauspielerin schwerfiel einen ihr unbekannten Fremden vor laufender Kamera enthusiastisch abzuschmusen. Für den Rest ihrer Laufbahn weigerte sie sich konsequent solche Liebesszenen am ersten Drehtag mit Leuten zu spielen, denen sie gerade erst begegnet war. Als sich, während der Dreharbeiten zu „Lieben Sie Brahms?“, 1961 eine recht ähnliche Situation mit Anthony Perkins ergab, bat sie ihn, sie vorab einmal in ihrer Garderobe zur Probe zu küssen, um die Intimität vor der Kamera besser simulieren zu können.


Angela Lansbury, Charles Boyer und Ingrid Bergman auf Winzhockern in der Drehpause.
Während der Dreharbeiten musste auch die kleinere Angela Lansbury Schuhe mit hohen Plateausohlen tragen, um gegenüber Ingrid Bergman größer und somit auch dominierender und bedrohender zu wirken. Dadurch wirkte wiederum Charles Boyer noch kleiner, und musste, da die Schuss -Gegenschuss Aufnahmen sonst sehr seltsam ausgesehen hätten und nur schwer auszuleuchten gewesen wären, noch öfter auf der Kiste stehen.
Ohnehin war der Schauspieler während des Drehs begreiflicherweise sehr nervös, war doch seine Ehefrau Pat Peterson mit beider erstem Kind schwanger, nachdem das Paar es einige Jahre schon vergeblich versucht hatte. Je näher das prognostizierte Geburtsdatum rückte, desto öfter hastete Boyer, der seine Leinwandfrau gerade gequält hatte, zwischen den Takes zum Telefon, um sich aufs liebevollste nach dem Gesundheitszustand seiner wirklichen Ehefrau zu erkundigen. Ursprünglich sollte das Kind erst nach Abschluss der Dreharbeiten auf die Welt kommen, unglücklicherweise wusste der kleine Schnupp selbst nichts davon, und kam einfach einige Wochen zu früh, als die Dreharbeiten noch in vollem Gange waren.

Als Boyer telefonisch davon erfuhr, brach er in Tränen aus, und, nachdem er Cast und Crew über die Geburt seines ersten und einzigen Sohnes informiert hatte, wurden die Dreharbeiten für diesen Tag abgebrochen (heute unvorstellbar) und das Filmteam feierte mit zahlreichen Flaschen Champagner.

In ihrer Biographie beschrieb Bergman Charles Boyer später als den intelligentesten Schauspieler mit dem sie je gearbeitet habe und auch einen der liebenswertesten: „Er war extrem belesen, wohlerzogen und völlig anders als die Anderen“ notierte sie.


Geburtstagsfeier für Angela Lansbury am Set von "Das Haus der Lady Alquist"
Eine ähnliche Feier gab es am Set übrigens ein zweites Mal, als Angela Lansbury, der Neuling, ihren 18. Geburtstag feiern konnte. Als sie an jenem Tag aus der Garderobe kam, überraschte das Dreh-Team das Küken mit einem kleinen Umtrunk.

Damit fielen zugleich auch einige Komplikationen weg. Eine Szene, in der Hausmädchen Nancy die Ungeheuerlichkeit begeht sich eine Zigarette anzuzünden, hatte, entgegen Ingrid Bergmans ausdrücklichem Wunsch, die sie für ihre Darstellung chronologisch früher gebraucht hätte, verschoben werden müssen, da Lansbury als Minderjährige am Set nicht hatte rauchen dürfen. Solange sie noch nicht 18 war, wurde sie am Drehort, wie gesetzlich vorgeschrieben, von einer sittenstrengen Sozialarbeiterin überwacht, die eingeschritten war. Erst nach dem Geburtstag war es möglich, diese und einige andere, anzüglichere Szenen, nachzuliefern.




George Cukor inszeniert Ingrid Bergman und Charles Boyer
George Cukor arbeitete in diesem Film ganz besonders intensiv mit Ingrid Bergman – er wusste um die außerordentliche Schwierigkeit einen fortschreitenden Verlauf, der eine Chronologie abbildete, wie das Verfallen in den Wahnsinn, in einzelnen Szenen zu spielen, die völlig außer der Reihenfolge gedreht werden mussten, wie bei Dreharbeiten nahezu immer üblich. Daher schilderte er vor dem Beginn jeder Szene jeweils noch einmal alles was sich bis dahin für die Figur der Paula ereignet hatte, so dass Bergman einen klaren Einstieg hatte. Mit Charles Boyer arbeitete er ähnlich.
Bergman war von den ständigen Wiederholungen irgendwann sehr genervt, bis ihr irgendwann der Kragen platzte „Ich bin keine dumme Schwedin, das hast du mir alles schon erzählt“ rief sie.
Daraufhin ließ Cukor von dieser Technik erst einmal ab.

Doch als er einige Zeit später die täglichen Rohaufnahmen, die sogenannten „Dailys“, sichtete fiel ihm auf, dass Boyer und Bergman plötzlich ohne innere Verbindung zueinander spielten, so als seien sie unter Wasser oder beide in Watte gepackt. Er setzte also die Erzählmethode wieder ein, und je länger die Dreharbeiten andauerten umso mehr begann Ingrid Bergman die Hilfestellung zu schätzen.



Trockenprobe auf der Treppe: Joseph Cotten & Ingrid Bergman


Werfen einen Blick isn Drehbuch: Angela Lansbury und Ingrid Bergman

Ingrid Bergman in der Garderobe...


.....das Kostüm existiert immer noch

Klassische Warterei beim Film.

George Cukor gibt Angela Lansbury Regieanweisungen.

Drehpause - was macht man nicht alles um das Kostüme nicht zu verknittern...

Lebhafte Diskussion vor Bergmans Trailer

Pause, diesmal mitten im Set.

Lichttest.


Gelöste Atmosphäre inmitten des Terrors: Boyer, Bergman, Cotten.

Dreh der Flitterwochen-Szene.

Charles Boyer präseniert stolz die ersten Fotos seines Sohnes.

Kurzpause während der Proben.
Probe des Finales, mit Crew und George Cukor.

Drehpause: Gourmets unter sich.


Bergman mit ihrem Tanz-Coach Charles Walters.

Gourmets unter sich, Teil 2.
Unbeobachteter Moment mit Spiegel in Bergmans Trailer.


Was besonders stark ins Auge sticht, wenn man „Das Haus der Lady Alquist“ heute sieht, sind die grandiosen, prunkvoll ausgestatten viktorianischen Sets, die einen regelrecht ins London des ausgehenden 19. Jahrhunderts entführen, das Flair der Zeit regelrecht atmen: Der komplett nachgebaute (fiktive) Thornton Square, der Londoner Tower, das Haus von Lady Dallroy, Scotland Yard, das italienische Städtchen am Lago di Como und natürlich das aufwendig entworfene Alquist-Haus selbst, und dort besonders das Dekor, die Innenausstattung.

Hierfür stellte George Cukor dem Ausstatter-Team um Cedric Gibbons, William Ferrari und Edwin B. Willis einen ungewöhnlichen Außeneiter als Set Designer zur Seite, der sich als Glücksgriff erwies: Paul Huldschinsky. Huldschinsky, ein verarmter Flüchtling aus Europa, der selbst einer reichen Verlegerfamilie entstammte und mit einer reichen Erbin verheiratet gewesen war, hatte ein ausgesprochenes Auge für edles und elegantes europäisches Dekor der viktorianischen Ära.

Er war sogar Sammler viktorianischer Artefakte gewesen.


Nachgebaute Ferienvilla am Comer-See
Für MGM arbeitete er als eine Art Hilfsdekorateur als Cukor ihn entdeckte und ihm den Job als Set Designer verschaffte. Das Studio stellte sich anfänglich sehr deutlich gegen diese Wahl, aber Cukor setzte sich glücklicherweise durch, und die Szenenbilder des Films gerieten zum wahren Augenschmaus.

Huldschisnky war es zu verdanken. dass die gasbetriebenen Kronleuchter alle echte Originalstücke und voll funktionstüchtig waren. Der Kronleuchter im Schlafzimmer der Antons beispielsweise stammte original aus dem 1872 errichteten Wohnsitz des früheren Kalifornischen Gouverneurs Senator Milton Latham in Menlo Park, der 1942 abgerissen worden war.


Notiz am Rande: Dasselbe auffällige Messingbett mit Schwanenhals dass bei circa 11:20 Minuten im italienischen Feriendomizil der frisch Vermählten zu sehen ist, erlebte eine besondere cineastische Wiedergeburt: Es wurde in Vincente Minnellis Musicalklassiker „Heimweh nach St.Louis“ im selben Jahr noch einmal an prominenter Stelle und in Technicolour eingesetzt – als das Bett von Judy Garland!



Set-Design:  Eingangshalle


Set Design:  Der Salon.

Set Design: Arbeitszimmer


Set Design: Salon, anderer Blickwinkel mit zahllosen Figurinen.

Kostüm-Foto:  Ingrid Bergman vor der Kulisse des Hauses

Einer der größten Vorzüge von „Das Haus der Lady Alquist“, das macht besonders der Vergleich mit der britischen Verfilmung von 1940 schmerzhaft deutlich, ist die extrem suggestive und äußerst schaurige Filmmusik des Exilanten Bronislaw Kaper, mit ihren sinnigen Zitaten aus Donizettis Lucia di Lammermoor, die ja das Drehbuch schon nahegelegt. So spiegelt hier die äußere Form den Inhalt, und steigert die unheimliche Atmosphäre, die sich wie Nebelschwaden über alles legt, erreicht eine beizeiten nervenzerrende Wirkung. Zugleich werden mit großem Geschick – Gregory Anton wird ja als Berufspianist gezeigt – zeitgenössische Klavierstücke von Chopin, Strauss, Leoncavallo und Beethoven in die Handlung eingewoben.


Beispiel für die Bildsprache des Film Noir.
Diese Musik wiederum findet sich in einem perfekten Zusammenspiel mit der Schwarzweiß-Kamera von Joseph Ruttenberg. Ruttenberg fotografiert den Film nicht nur erstaunlich dynamisch, sondern bedient sich vor allem auch explizit der visuellen Bildsprache des Film Noir (Low-Key-Beleuchtung die kräftige Hell-Dunkel-Kontraste erzeugt, expressive Schattenbilder; ungewöhnliche Kameraperspektiven und –winkel, besonders aus der Unter- oder Aufsicht) und arbeitet mit fortschreitender Handlung (und fortschreitender Hoffnungslosigkeit Paulas) immer intensiver mit düsterer Ausleuchtung und Dunkelheit. Die Fotografie spiegelt hier, technisch wie stilistisch, ebenso den Inhalt, wie die Musik.

Das ebenso unerklärliche wie unheimliche Flackern des Gaslichts, ganz so als würde jemand anderswo im Haus eine andere Lampe entzünden, war optisch nie eindrucksvoller als vor dem Objektiv von Joseph Ruttenberg.

Auf diese Weise akzentuieren und instrumentieren Musik und Kamera, wie eine zusammenspielende Einheit, das Geschehen, die emotionale Achterbahnfahrt der Handlung, und erhöhen die Wirkung des Films drastisch.


Ungewöhnliche Winkel, typisch für den Film Noir.
Getragen aber wird auch diese Kinofassung, wie schon das Bühnenstück, von dem intensiven psychologischen Wechselspiel zwischen den Charakteren, die bis in die kleinste Nebenrolle toll besetzt sind. Der unumstrittene Mittelpunkt von „Das Haus der Lady Alquist“ ist und bleibt aber die furios aufspielende Ingrid Bergman, deren entfesselte und ungeheuer authentische Darstellung eines Menschen, der fast psychisch zerbricht und den Verstand verliert, so intensiv wird, dass es körperlich unangenehm ist ihr dabei zuzusehen – während man zugleich hypnotisch dazu gezwungen wird. Bergman gibt hier eine der eindrucksvollsten, schockierendsten und bis in die kleinsten psychologischen Details stimmigen Darstellungen eines Mobbing Opfers, die je auf der Leinwand zu sehen waren, auch wenn es den Begriff dafür noch gar nicht gab. Es ist eine Meisterleistung.

Auch Charles Boyer liefert eine sehr starke Leistung als Gregory, die beste seiner ganzen Karriere – zu keiner Zeit so nuanciert und vielschichtig wie die von Adolf Wohlbrück, dafür genauso intensiv und einschüchternd, und voller verstörender Ambivalenzen. Beide Hauptdarsteller werden von Cukor, der die Spannungsschraube unbarmherzig immer weiter nach oben dreht, zu wahren Höchstleistungen getrieben, die Intensität einiger Szenen lässt einem noch heute den Atem stocken.

Dazu trägt auch die, von der blutjungen Debütantin Lansbury, verblüffend doppelbödig gespielte Figur der Nancy bei, die von Gregory eiskalt als Spielball benutzt wird. Angela Lansbury gelingt es, diese Figur sowohl verschlagen und anrüchig, voll unterschwelliger Sexualität, als auch voller unreifer Naivität zu zeichnen.

Licht und Schatten.....die Sprache des Film Noir.
So entstand unter den Händen von George Cukor ein herrlich altmodischer, atmosphärisch dichter und absolut diabolischer Schauerthriller in Form eines Kammerspiels, formvollendet gestaltet und gefilmt, der durch die brillanten Darstellerleistungen noch immer als wahrer „Nägelbeisser“ taugt – und der dem Original von 1940 durch das raffiniertere Drehbuch, die deutlich bessere Filmmusik und Kameraarbeit überragt; dafür ist der Dickinson-Film weniger getragen, elektrisierender , roher, frischer. Großartig gespielt sind beide Kinoversionen, auch wenn Ingrid Bergman hier, wie so oft in ihrer langen Laufbahn, in einer völlig eigenen Liga spielt.

„Das Haus der Lady Alquist“ feierte seine Weltpremiere am 4. Mai 1944.



Er entwickelt sich rasch zu einem DER Kinohits des Jahres und erhielt weitgehend exzellente Kritiken.

Zur Premiere des Films entstand auch
eine Romanfassung des Stückes.
So schrieb beispielsweise Bosley Crowther in der New York Times vom 5. Mai 1944:

„Diese dunkle und zitterige Studie viktorianischer Bösartigkeit, die seit mehr als zwei Jahren unter dem Titel "Angel Street" die Bretter des Broadways erschüttert, übt nun eine ähnliche Gewalt auf der Leinwand des Capitol Theatre aus, wo sie gestern unter keinem erhellenderen Titel als "Gaslicht" eintraf. Aber lasst euch nicht von diesem sanften Kommen täuschen, ihr alle, die ihr hier eintretet. Bereitet euch lieber darauf vor eine lange und ruhelose Zeit auf die Folter gespannt zu werden. Denn Metro hat dem Patrick-Hamilton-Stück eine bestechende Verfilmung angedeihen lassen. Metro hat Ingrid Bergman und Charles Boyer in den dominanten Rollen der verstörten Frau und ihres verschlagenen Ehepartners eingesetzt. Und es hat eine so delikate Auswahl an melodramatischen Kameratricks genutzt, dass das Publikum gestern bei einer Aufführung nervös vor Angst kicherte. Vielleicht sollten wir Ihnen nicht sagen, worum es geht, auch wenn dieses Wissen inzwischen eher allgemein bei Theaterbesuchern verbreitet ist. Aber wir können zumindest die Information durchsickern lassen, dass die Studie sich ganz und gar mit den offensichtlichen Bemühungen eines Mannes beschäftigt, seine Frau langsam in den Wahnsinn zu treiben. Und da Mr. Boyer dieses In-den-Wahnsinn-Treiben in seinem besten Stil hypnotischer Gefühllosigkeit erledigt, während die Flammen des Gaslichts seltsam flackern und die atmosphärische Musik schwer drohend vibriert, ist es kein Wunder, dass Miss Bergman auf eine sehr beunruhigende Weise psychisch in Stücke bricht.[…]“


Bei der 17. Oscarverleihung ,die am 15. März 1945 im Grauman’s Chinese Theatre in Los Angeles stattfand, war „Das Haus der Lady Alquist“ für nicht weniger als 7 Oscars nominiert, und galt neben dem musikalischen Drama „Going My Way“, mit Bing Crosby, als einer der Top-Favoriten der Preisverleihung.
Nominiert waren:

BESTER FILM DES JAHRES
 (Arthur Hornblow jr., Produzent)
BESTES DREHBUCH (ADAPTION): 
John Van Druten, Walter Reisch, John L. Balderston nach dem Bühnenstück von Patrick Hamilton
BESTE HAUPTDARSTELLERIN:
Ingrid Bergman
BESTER HAUPTDARSTELLER:
Charles Boyer
BESTE NEBENDARSTELLERIN:
Angela Lansbury
BESTE KAMERA (SCHWARZWEISS):
Joseph Ruttenberg
BESTE AUSSTATTUNG & SET DECORATION (SCHWARZWEISS): 
Cedric Gibbons, Paul Huldschinsky, William Ferrari & Edwin B. Willis.


Ausgezeichnet wurden letztlich Ingrid Bergman, es war der erste ihrer drei Oscars (sie gewann auch 1956 für „Anastasia“ als Beste Haupt- und 1974 für „Mord im Orientexpress“ als Beste Nebendarstellerin) und das Ausstatter-Team um Paul Huldschinsky.

Ingrid Bergman mit ihrem Goldjungen,


Hier die Preisübergabe an Bergman:



Das deutsche Original-Kinopramm zu "Das Haus der Lady Alquist":





Dieser Film verschaffte dem Stoff natürlich eine enorme Aufmerksamkeit, und da er im Lauf der Jahre zum erstrangigen Klassiker avancierte, wuchs diese Aufmerksamkeit auch über die Zeit hinweg, und diese Aufmerksamkeit war der Grund weshalb der Ausdruck „gaslighting“ zum geflügelten Wort wurde und es sogar ins tonanagebende Oxford-Dictionary schaffte:


Originalplakat zu "Mitternachtsspitzen", einem Nachfahren von "Gaslicht"
Vor allem aber setzte „Das Haus der Lady Alquist“ mit der implementierten Technik des „gaslightings“ einen bahnbrechenden Standard für das gesamte Thrillergenre, für praktisch jeden Film, jedes Stück und jeden Roman, in dem eine Figur dazu gebracht wird ihre Wahrnehmung der Realität in Frage zu stellen, oder versucht wird diese in den Wahnsinn zu treiben. Wie ein roter Faden zieht sich dieses Motiv die kommenden Jahrzehnte quer durch das ganze Genre. So etwa 1960 in dem Kinothriller „Mitternachtsspitzen“ mit Doris Day und Rex Harrison (nach dem Bühnenstück „Murder, My Sweet Mathida“ von Janet Green), der sehr stark von „Gaslicht“ geprägt ist, allerdings das Mobbing via Telefon als neues Element einführt; aber auch „Wiegenlied für eine Leiche“ von Robert Aldrich aus dem Jahr 1964, zeigt sich in der Art und Weise wie Bette Davis gezielt in den Nervenzusammenbruch getrieben werden soll, indem man sie an der Realität zweifeln lässt, erkennbar beeinflusst von Hamiltons Stück. Ironischerweise wirkt auch in Aldrichs Film Joseph Cotten in einer tragenden Rolle mit.

Klassiker der ebenfalls mit "gaslighting" arbeitet: Wiegenlied für eine Leiche.

Und Francis Durbridges Bühnenthriller „Mord am Pool“ (Deadly Nightcap) benutzt die Technik des „gaslightings“ 1973 ebenso kaltblütig, wie Robert Zemeckis Kinofilm „Schatten der Wahrheit“ mit Michelle Pfeiffer und Harrison Ford 27 Jahre später. Diese tiefe Wirkkraft in das Thrillergenre hinein ist zuvorderst der Verdienst von Patrick Hamilton, aber in zweiter Linie auch der von George Cukors „Das Haus der Lady Alquist“ aus dem Jahr 1944, der diese psychologische Technik als wesentliches Plot-Element regelrecht in die öffentliche Wahrnehmung katapultierte.

Doch „Gaslicht“ hatte auch nach dieser, bislang letzten Kinoinkarnation (Seit den frühen 2000er Jahren kursieren immer wieder Gerüchte über ein neues Remake, die jedoch bislang nie in die Tat umgesetzt wurden) ein äußerst reges Fortleben, ganz besonders auch in Fernseh- und Radioproduktionen.

Und auch hierauf lohnt es sich einen scheuen Blick zu werfen.

Den Anfang machte 1946 eine US- Radioproduktion von „Gaslicht“ in der Anthologie „Lux Radio Theatre“ mit Ingrid Bergman und Charles Boyer in den Hauptrollen. Seinerzeit (bis Ende der 50iger Jahre) , als das Massenmedium Nummer eins das Radio und nicht das Fernsehen war, gab es die wunderbare Tradition Hörspielfassungen der neuesten Kinohits, etwa ein Jahr nach der Kinospielzeit, später aufwendig und eigens im Studio zu produzieren, in der Regel vor Live -Publikum und mit den Original-Filmstars in den Titelrollen. Auf diese Weise konnten die Hörer, in einer Ära, als noch nicht jeder ein TV-Gerät besaß und es noch keinerlei Videoauswertung gab, die Filme vor den Funkempfängern ein zweites Mal in ihrem eigenen Kopf erleben. Diese, sehr gelungene, etwa einstündige Hörspielversion besticht nicht nur durch den Star-Appeal, sondern hat ein weitere Besonderheit: Sie orientiert sich nämlich keineswegs an Patrick Hamiltons Bühnenstück – sondern ausdrücklich am Drehbuch des Kinofilms „Das Haus der Lady Alquist“ von 1944. Sie stellt daher innerhalb der zahllosen Hörspielfassungen ein Unikum dar.

Dieses „Radio Play“ ist zum Glück erhalten und ich kann es hier vollständig präsentieren:




Auch deutschsprachige Hörspielmacher ließen sich nicht lumpen und kreierten im Lauf der Jahre einige hochklassige Hörspielfassungen, die alle sehr exakt auf der Bühnenvorlage basieren. Leider sind nicht alle erhalten, aber auf die Verfügbaren soll an dieser Stelle kurz eingegangen werden:

So entstand 1972 für den DRS unter der Regie von Guido Wiederkehr, eine beinah ungekürzte Version mit Herbert Fleischmann als Jack und Dinah Hinz als Bella. In der Rolle des Rough ist René Deltgen zu hören, der Hörspielfans als Paul Temple in den Durbridge-Hörspielen der 50er und 60er und Filmfans als der titelgebende „Hexer“ im gleichnamigen Edgar-Wallace-Klassiker von 1963 bekannt ist:




1977 nahm sich Hörspielmacherin Anke Beckert für den Bayerischen Rundfunk des Stoffes in gekürzter Bearbeitung an, Regie führte Hörspiel-Legende Heinz-Günther Stamm, die Musik stammte von Frank Duval, bekannt durch seine Kompositionen für „Derrick“ und „Der Alte“. Die Hauptrollen sprachen die Theaterstars Christine Ostermayer und Wolfgang Kieling, Rough wurde ein weiteres Mal von René Deltgen gespielt:





Aufnahmen zum britischen Fernsehspiel von 1957
Darüber hinaus entstanden in den 75 Jahren seit der Premiere von „Das Haus der Lady Alquist“ zahllose TV-Fassungen des Hamilton-Stücks, häufig als Fernsehspiel. Mindestens 26 verschiedene Fernsehadaptionen, meist als Fernsehspiele im Rahmen diverser Anthologie-Serien, in mindestens vier verschiedenen Sprachen, lassen sich bis dato zählen; darunter z.B. eine verschollene Aufzeichnung für die BBC von 1957 mit Peter Cushing als Jack und May Morris als Bella für die Reihe „Sunday Night Theatre“.

Auch zwei diskussionswürdige deutsche Fassungen entstanden.

Die deutlich bessere von beiden, ein atmosphärisches, sehr dicht ins Szene gesetztes Schwarzweiß-Fernsehspiel von 1960 entstand in der Regie und Bearbeitung von Wilm ten Haaf, mit Margot Trooger als Bella und dem großen Dieter Borsche, den meisten als trotteliger Adeliger Sir David Lindsay aus den Karl-May Verfilmungen um Kara Ben Nemsi bekannt, Theatergängern durchaus auch als Theatervirtuose, etwa als eiskalter Papst Pius XII. in der skandalumwitterten Uraufführung von Hochhuths „Der Stellvertreter“, als Jack. Diese schnörkellos-düstere Adaption ist extrem werkgetreu und hält sich nahezu exakt an das zugrundeliegende Bühnenstück.
Sie wurde am 15. September 1960 ausgestrahlt.

Dieter Borsche und Margot Trooger, 1960

Die HÖRZU urteilte seinerzeit: "Auch das Spiel 'Gaslicht' bot uns ausgezeichnete Schauspielkunst und war von Wilm ten Haaf auf spannende Dramatik hin inszeniert worden. Ganz überzeugend Margot Trooger in der Rolle der beklagenswerten, zum Wahnsinn getriebenen Ehefrau und Dieter Borsche als Bösewicht, der seine Frau in den Wahnsinn treibt; die darstellerischen Fähigkeiten dieses vom Film zu einem kaum mehr anzuschauenden Klischee abgestempelten Schauspielers überraschen bei jeder neuen Fernsehrolle."


Hans Zesch-Ballot als Mr. Rough, Margot Trooger als Bella.

Glücklicherweise wurde sie, nachdem sie lange Jahre verschollen war, mittlerweile anlässlich eines Jubiläums vom BR wieder ausgegraben, und ich kann auch sie daher vollständig an dieser Stelle präsentieren:




In der DVD-Reihe „Straßenfeger“ wurde auch eine andere Adaption wiederaufegelegt, die in Zusammenarbeit von ORF und ARD 1977 entstand, und die, leider, gegenüber allen Vorläufern abfällt. Ludwig Cremer inszenierte Erika Pluhar als Bella und Josef Meinrad als Jack, sowie Publikumsliebling Gustav Knuth als Rough. Diese Verfilmung von „Gaslicht“ wurde erstmals am 23. Oktober 1977 in der ARD ausgestrahlt.


Zwar besprachen damalige TV-Zeitschriften den Film positiv - so schrieb z.b, die HÖRZU Nr.45, auf Seite 75: "Es traf alles zusammen: der klassische Psychokrimi, die altmeisterliche Inszenierung Ludwig Cremers, das suggestiv getönte Szenenbild Wolfgang Wahls und, als Krönung, das faszinierende Spiel von Erika Pluhar, Josef Meinrad und Gustav Knuth. Ein seltener Glücksfall!"

Dennoch hat gerade diese Verfilmung gravierende Probleme. Zum Einen, einen grundlegend falschen inszenatorischen Ansatz Ludwig Cremers, der „Gaslicht“ nicht als Thriller sondern als reines Melodram auffasst, und daher Gefühlsüberschwang mit Dichte verwechselt, weshalb hier die Spannung auch immer wieder entweicht, wie bei einem durchlöcherten Fahrradschlauch. Cremer inszeniert den Stoff so, wie Diejenigen in der Regel Tschechow inszenieren, die nicht wissen wie man Tschechow inszeniert.

Erika Pluhar und Josef Meinrad.
Zum Anderen die Fehlbesetzung Josef Meinrads als Jack. Meinrad war ein hervorragender Nestroy- und Ferdinand-Raimund-Interpret und daher auch Träger des Iffland-Ringes als bester Theaterdarsteller seiner Generation; aber die Spanne der Rollen für die er typologisch besetzbar war, war begrenzt, und die der Rollen die er überzeugend spielen konnte noch begrenzter. Hier spielt er die ambivalente Rolle des Jack Manningham mit derselben biederen Antiseptik, in der er den Hauptmann in „Sissi“ oder den gütigen Hauskaplan Wasner in „Die Trapp Familie“ spielte, füllt ihn mit der Dämonie des Petrosilius Zwackelmann aus dem „Räuber Hotzenplotz“, und macht aus ihm, da er nicht ohne österreichischen Zungenschlag sprechen kann, auch noch einen akustischen Wiener.

Was hier bleibt ist lediglich ein durchaus fernsehhistorisch interessantes Artefakt, das aufschlussreiche Vergleiche zulässt, und sicher seinen Weg in das DVD –Regal der Komplettisten findet.



Doch solange sich, so wie am 5. Dezember 1938, ein Vorhang auf einer Bühne hebt, und uns das Haus der Manninghams im Londoner Stadtteil Pimlico zeigt, wird „Gaslicht“ wohl immer ein theatrales Leben haben.
In der Tat bleibt es bis heute eines der meistgespielten Stücke des gesamten Genres.


Nicht nur gab es 1948 und 1976 Neuproduktionen des Stücks am New Yorker Broadway, jeweils unter dem ursprünglichen US-Titel „Angel Street“, und am 27. November 1946 im Theater in der Kaiserallee( Berlin) die deutsche Erstaufführung, sondern bis in unsere Tage hinein, steht Hamiltons Thrillerklassiker immer wieder auf englischsprachigen Spielplänen – sehr häufig auch im Amateurtheater, aber keinesfalls nur.

Zeitungsankündigung einer Hörspielfassung mit Theaterstar Helen Hayes

Spanische Aufführung in den 70iger Jahren.



Aufführung am renommierten Londoner Old Vic mit Rosamund Pike
Unter den Profiproduktionen, alle unter dem Titel „Gaslight“, ist zuvorderst die 2007 am renommierten Londoner Old Vic mit Rosamund Pike („Gone Girl“) und Andrew Woodall unter der Regie von Peter Gill zu erwähnen.

Weiter ist die 2015 am Royal and Derngate Theatre, Northampton, aufgeführte Inszenierung von Lucy Baily mit Jonathan Firth als Jack und der, „Game of Thrones“-Fans als Selyse Baratheon geläufigen, Tara Fitzgerald in den Hauptrollen hervorzuheben.

Einen Sonderstatus hat die Neuproduktion am legendären Richmond Theatre im Jahre 2018, die anlässlich des 70. Jubiläums der Welturaufführung von „Gaslicht“, in eben diesem Theater, stattfand.




Sicher, Patrick Hamiltons Bühnenstück „Gaslicht“ ist über 80 Jahre alt, in gewisser Hinsicht sogar noch älter, weil es in einer Zeit spielt, die 1938 bereits ein halbes Jahrhundert zurücklag. Die Dialoge muten für heutige Ohren altertümlich an, das ganze Drama wirkt wie aus der Zeit gefallen, ein lebender Anachronismus, wenn man so will. Und dennoch verliert es nicht seinen Reiz, nicht für ein Publikum, dessen Ohren und Augen noch offen sind für diese gänzlich altmodische Form der Spannung, deren Herz noch für eine Zeit schlägt, da es nicht mehr als das nebelumwaberte London, einen draußen tosenden Sturm, ein knisterndes Kaminfeuer und das langsam Ticken einer Standuhr brauchte, um dem Rezipienten einen wohligen Schauer über den Rücken zu jagen; das die naive Unbefangenheit noch aufbringen kann, aus tiefer Seele zu frösteln, wenn das einsame Haus im Wind ächzt, als sei es ein lebendes Wesen, wenn unheimliche Laute vom Dachboden dringen, und das Gaslicht flackert, bevor es verlischt und alles umher in bleierne Düsternis taucht…

Doch das ist nicht allein, was dieses Melodram unverwüstlich am Leben hält. Lebendig bleibt es, weil die Psychologie, die menschliche Wahrheit hinter dem viktorianischen Schleier, die 1938 revolutionär war, auch heute noch ganz und gar modern ist; unverstaubt, ungealtert, ungebrochen. In Wirklichkeit hat Patrick Hamilton gar kein Schauerstück geschrieben, sondern die höchstgradig effektive Studie einer dysfunktionalen Ehe mit ihren Abhängigkeiten und ihrem seelischen Missbrauch; was Menschen einander antun können, das hat er perfekt eingefangen – und daran ist nichts, aber auch gar nichts gealtert.

Und er hat, absichtlich oder unabsichtlich, eine Metapher geschaffen, vielleicht die perfekteste die wir kennen, in jedem Fall aber die Unterhaltsamste, für die Verbreitung von Falschinformationen, dem Beschwören alternativer Realitäten – sprich, für das postfaktische Zeitalter.

Wir leben heute in einer Zeit wie aus einem Stück von Patrick Hamilton.

Wir leben in einer Zeit des „gaslighting“.