„Der Schrecken der weitere achtundzwanzig Jahre kein Ende nehmen sollte – wenn er überhaupt je ein Ende nahm - , begann, soviel ich weiß und sagen kann, mit einem Boot aus Zeitungspapier, das einen vom Regen überfluteten Rinnstein entlangtrieb“ mit diesem legendären Eröffnungssatz beginnt einer der bedeutendsten unheimlichen Romane des 20. Jahrhunderts….
Der Roman der uns das Fürchten lehrte... |
Seine bösartigste Inkarnation: Der Clown Pennywise. Gemeinsam und mit der Kraft der Fantasie beschließen sie das Wesen zu vernichten........
Doch 27 Jahre später beginnen die Morde erneut, und der alte Pakt ruft die nun vom Leben gezeichneten Erwachsenen zurück in die Stadt ihrer Kindheit.....
Vom Feuilleton lange Jahre unterschätzt: Schriftsteller Stephen King |
Praktisch alles an dem Buch ist brillant: der enorme erzählerische Atem, das Couleur der Zeit, die virtuose Detailliertheit mit der King die 50er Jahre fast körperlich spürbar wiederauferstehen lasst und die Essenz der 80iger einfängt, noch bevor sie vorüber waren; die hohe, fast vibrierende atmosphärische Dichte, die grandiosen Figurenzeichnungen, die ungeheure Hochspannung, die vielen unvergesslichen (oft unvergesslich gruseligen) Momente, die überall aufblitzende poetische Kraft des großen Erzählers, der seine unbändige Imaginationskraft nur durch höchstes schriftstellerisches Handwerk überhaupt in Zaum halten kann.
Der Erwachsenen - Cast von 1990. Als "Krusty der Clown": Tim Curry. |
1990 folgte unter der Regie von Tommy Lee Wallace eine sehr gelungene TV-Verfilmung des Romans „Es“ als Zweiteiler mit Tim Curry als Pennywise, sowie Richard Thomas, John Ritter, Annette O’Toole, Olivia Hussey, Jonathan Brandis & Seth Green und vielen Anderen.
„Beachtliche (Fernseh-)Verfilmung eines Horror-Romans von Stephen King, die geschickt eine bedrohliche Atmosphäre aufbaut und auf unnötige blutige Effekte verzichtet“ urteilte das Fachmagazin filmdienst seinerzeit.
Der jugendliche Cast von 2017: (von Links nach Rechts: Chosen Jacobs, Finn Wolffhard, Sophia Lillis, Jaeden Lieberher, Jack Dylan Grazer, Wyatt Oleff und Jeremy Ray Taylor |
Ursprünglich sollte, so wurde um 2009 herum verkündet, David Kajganich den Stoff als Regisseur und Drehbuchautor in Personalunion für Warner Brothers realisieren. Zu dieser Zeit war noch von einem einzelnen Spielfilm die Rede, aber Kajganich brachte bereits die Idee ein, die Zeitlinie des Romans zu verschieben. Statt 1958 (Kindheit) und 1985 (Jetztzeit) sollte er nun 1985 und 2012 spielen. Kajganichs Idealbesetzung für Pennywise den Clown wäre Buster Keaton gewesen, der jedoch, da entsprechend abgelebt, nicht mehr zur Verfügung stand. Kajganich arbeitete bis 2010 an dem Stoff.
Am 7. Juni
2012 verkündete der „Hollywood Reporter“, dass Cary Fukunaga (bekannt für „Sin
Nombre“ und die erste Staffel von „True Detective“) Regie führen und das
Drehbuch schreiben würde, nachdem Warner Brothers den Film zu New Line Cinema
geschoben hatte. Co-Autor sollte Chase Palmer sein. Diese Skriptfassung fand
Stephen Kings ausdrückliches approval. Seine Rückmeldung war „Go with God, please! This is the version the
studio should make.” Fukunaga war es auch, der die Idee ins Spiel
brachte ZWEI Spielfilme zu drehen, wovon der erste die Kindheitsebene und der
zweite, später zu Veröffentlichende, deren Erwachsenenalter thematisieren
sollte. Eine für das Projekt wie sich zeigen sollte wegweisende Entscheidung.
Stadtplan des fiktiven Derry, Maine aus Kings Roman. |
Im Februar 2015 wurde Will Poulter offiziell als Pennywise annunciert. Sein Vorsprechen hatte Cary Fukunaga offenbar regelrecht umgehauen.
Doch bereits im Mai 2015 stieg Cary Fukunaga offiziell aus dem Projekt aus, da die Differenzen mit New Line Cinema unüberbrückbar waren. Änderungen waren verlangt worden, die die Regie nicht verantworten konnte, und das Budget war so drastisch zusammengestrichen worden, dass Fukunaga den Film, der auf den Drehbuchseiten stand, nie mehr hätte umsetzen können.
„Das Remake von `ES´ mag tot sein – oder untot – aber uns bleibt immer noch Tim Curry. Er fliegt immer noch…in der Kanalisation von Derry“ so Stephen King damals.
Das war kurz bevor Andres Muschietti das Projekt übernahm.
Hier ein interessantes Interview mit ihm:
Bill Skarsgard: Halb und halb |
Die Dreharbeiten begannen am 27. Juni 2016 in Riverdale bei Toronto und endeten am 21. September 2016.
Die Weltpremiere fand am 5. September 2017 in Los Angeles statt. Am 28. September 2017 startete der Film in Deutschland.
Werfen wir einen Blick auf das Ergebnis.
Enid Blytons Fünf Freunde? Nein! Der "Club der Verlierer" |
Entspannt sich eine Romanze? Aber auch die Richtige? |
Sogar der Schul –Bully Henry Bowers (der im zweiten Teil auch als Erwachsener noch eine Rolle spielen wird) ist mit Grauschattierungen gezeichnet.
Zu oft Rambo gesehen: Henry Bowers (Toll: Nicholas Hamilton) |
"Ich kauf mir einen roten Luftballon...." |
Dann – das Tempo stimmt. Obwohl der Film sich Zeit für seine Protagonisten nimmt, bleibt er stets dicht und packend, über zwei Stunden lang keinerlei Leerlauf, und an manchen Stellen wird er sogar außerordentlich rasant. Er ist ein dichtes, perfekt geschnürtes Paket aus dem nichts überquillt. Alles wirkt wie aus einem Guss, in einem Rutsch, eine einzige große hochemotionale Achterbahnfahrt mit durchgetretenem Gaspedal.
Die schrecklichen Folgen der Wasserverschmutzung... |
Nicht so für Kinder in den 80iger Jahren.
Man musste also die Ängste, die Alpträume, die sich in den Inkarnationen von „Es“ auf übernatürliche Weise manifestieren neu interpretieren, für die Generation der 80iger übersetzen. Das gelang auf brillante, hochintelligente Weise ohne den Roman dabei zu verraten. Spannungsaufbau und Gruselfaktor sind dabei durchaus hoch, die Lösungen für die Schocks sind erstaunlich kreativ und oft überraschend.
Das ultimative Grauen: Urlaubsdias. |
Nur zwei
Aspekte fallen negativ auf. Erstens wird zu oft und zu viel mit klassischen
Jump Scares gearbeitet, was auf die Dauer nervt und sich auch immer mehr
abnutzt. Besonders die Tonspur ist hier von Ohren marternder
Aufdringlichkeit. Aber offensichtlich
braucht es mittlerweile derlei Zugeständnisse an ein Publikum, das eine
Aufmerksamkeitsspanne von unter 2 Minuten hat , durch Metzelfilme sagenhaft
abgestumpft ist und sein I-phone, diese technokratische Hydra, mit ins Kino
nimmt. Dagegen muss man eben mit Spektakel ankämpfen. Dennoch bleibt es
bedauerlich, weil man sehr genau spürt, dass Muschietti Spannung und Grauen
auch auf andere, intelligentere, hochstehendere Weise zu erzeugen versteht.
Trotz dieses Mankos ist der Ideenreichtum gerade in der Visualisierung des Schreckens ungewöhnlich hoch. Man trifft fast nie auf eine bildliche Umsetzung die man tatsächlich so erwartet. Zweite Einschränkung: Es wird insgesamt zu sehr auf Pennywise verengt und fokussiert, er stellt aber ja nur eine der vielen Inkarnationen von „Es“ dar, wenn auch eine besonders furchterregende. Hier, in dieser Adaption wird er praktisch beinahe zum Hauptmonster und das könnte problematisch werden für den geplanten zweiten Teil. Die Urform der Kreatur haben wir in diesem ersten Film nämlich noch überhaupt nicht zu Gesicht bekommen.
They're floating down here.... |
Außerordentlich gut sind die schauspielerischen Leistungen, namentlich der Kinderdarsteller, die den Film ohne Anstrengung und souverän alleine tragen. Man weiß gar nicht wen man zuerst loben soll, der Club der Verlierer ist einfach zu erstklassig besetzt und zu glaubwürdig gespielt, daher seien sie ohne spezielle Reihenfolge hier genannt: Jaeden Lieberher als Stotterer Bill Denbrough, Jeremy Ray Taylor als fettleibiger Ben Hanscom, Sophia Lillis ideal als Beverly Marsh, Finn Wolfhardt als Brillenschlange Richie Tozier, Chosen Jacobs als der dunkelhäutige Mike Hanlon, Jack Dylan Grazer als Hypochonder Eddie Kaspbrak und Wyatt Oleff als Stanley Uris. Hervorragend auch Nicholas Hamilton als Henry Bowers dem die kriminelle Karriere schon vorgezeichnet ist. Es sind diese glänzenden Jungdarsteller, alle bereits recht erfahren, was man spüren und sehen kann, die einen hohen Teil zum Gelingen dieses vielschichtigen und packenden Horrorfilms beitragen, indem sie uns zwingen diese Figuren zu mögen, gern zu haben, mit ihnen zu lachen und zu weinen – ihretwegen ist uns nicht egal, was mit diesen Charakteren geschieht.
Das war und ist die Essenz von Stephen Kings „Es“
Das war und ist die Essenz von Stephen Kings „Es“
Einen herausragenden Clown der Finsternis gibt Bill Skarsgard als Pennywise – eine glänzende, beängstigende tour de force, auch wenn hinter dem extremen Make Up und den visuellen Effekten die darstellerische Leistung nicht immer sicher auszumachen ist. Keine Frage, Andres Muschietti versteht auch etwas von Schauspielerführung.
Schlüsselszene im Vergleich: Georgie Denbrough trifft auf Pennywise. Oben 1990, unten 2017. |
Ebenfalls hervorzuheben ist die ungewöhnlich hohe Sorgfalt, handwerklich und künstlerisch, von „Es“. Sie äußert sich nicht nur in der glänzenden, teilweise herausragenden Kameraführung von Chung-hoon Chung – allein die komplexe Eröffnungssequenz ist eine betörende visuelle Glanzleistung – sondern auch in der Leistung der Ausstatter die unendlich detailverliebt die 80iger rekreierten; das reicht von spezifischen Schaufensterdekorationen, Kleidung, selbst Autos die unbenutzt auf der Straße stehen, bis hin zu der Art wie Telefone aussahen, oder Diaprojektoren, und welche Geräusche sie machten, wie der Inhalt eines Federmäppchens aussah. Auch der Musikgeschmack der Zeit ist, natürlich, berücksichtigt. Das Couleur der Zeit ist auf so hohem Niveau eingefangen, dass der Film ausstatterisch auch eine Episode von „Magnum“ oder „Ein Colt für alle Fälle“ sein könnte. Sogar echte Walkie Talkies sind noch im Einsatz!
Der glänzende Kindercast von 1990 |
Nur selten nimmt eine Literaturverfilmung heute noch ihre Vorlage so rückhaltlos ernst. Vielleicht auch weil heute nur noch selten eine literarische Vorlage so rückhaltlos gut ist.
Oder um es mit den Worten von Stephen King zu sagen, der sich auf Twitter zum Film äußerte:
Für heute aber bleibt uns aber nur, diese kleine Kritik mit den Worten aus dem Innenleben von Bill Denbrough zu beschließen, mit denen Stephen King 1986 die Kindheitserzählung innerhalb des Romans „Es“ enden ließ:
“But there would be odd moments of time when Bill pulled the
questions out again and examined them: The power of the silver, the
power of the slugs-where does power like that come from? Where does any
power come from? How do you get it? How do you use it?
It seemed to him that their lives might depend on those questions.
One night as he was falling asleep, the rain a steady lulling patter on the
roof and against the windows, it occurred to him that there was another
question, perhaps the only question. It had some real shape; he had
nearly seen It. To see the shape was to see the secret. Was that also true of
power? Perhaps it was. For wasn’t it true that power, like It, was a shape-
changer? It was a baby crying in the middle of the night, it was an atomic
bomb, it was a silver slug, it was the way Beverly looked at Bill and the
way Bill looked back.
What, exactly what, was power, anyway?”
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