“In den 60 Jahren seit seiner Uraufführung, hat Sidney Lumets Meisterwerk nichts von seiner Wucht verloren. In diesem Zeitalter der Unvernunft bleibt `Die 12 Geschworenen´ schmerzhaft und drängend zeitgemäß. Das ursprünglich als TV-Drama verfasste Drehbuch von Reginald Rose ist eines der besten die jemals verfilmt wurden“
CHRISTOPHER MACHELL, CRITERION REVIEWS
Es muss um 1972 gewesen sein, als eine junge Puerto-Ricanerin namens Sonia M. Sotomayor, damals achtzehn Jahre alt, mit dem Mann den sie einmal heiraten würde, Kevin Edward Noonan, auf einem kleinen Festival eine Filmvorführung besuchte. Sie war jung, das Gesicht umrahmt von langem schwarzem Haar dessen wilde Locken längst durch Glättung gezähmt waren, ihre Haut von jenem Bronzeteint der auf hispanische Wurzeln verwies; sie ähnelte einer Mischung aus der jungen Joan Baez und der jungen Rita Moreno.
Der junge Mann, der sie eingeladen hatte, war ein Date aus High School Tagen. Er hatte sie mühselig überreden müssen, für einen uralten schwarzweiß- Klassiker ins Kino zu gehen.
Die aufgeweckte 18 jährige, die erst mit neun Jahren Englisch gelernt hatte, hatte soeben den Zulassungstest für die Princeton University bestanden und würde bald am College studieren.
Sie war ein bekennender „Perry Mason“ Fan.
Das Licht im kleinen Kino verlosch, das alte Logo von United Artist erschien aus der Finsternis, das berühmte von Boris Kaufmann gestaltete Intro in großartigen, grobkörnigen Schwarzweißbildern begann, floss über in die unvergessliche Titelmusik von Kenyon Hopkins, dann erschienen die Credits: “12 Angry Men…..directed by Sidney Lumet“….
Der junge Mann, der sie eingeladen hatte, war ein Date aus High School Tagen. Er hatte sie mühselig überreden müssen, für einen uralten schwarzweiß- Klassiker ins Kino zu gehen.
Die aufgeweckte 18 jährige, die erst mit neun Jahren Englisch gelernt hatte, hatte soeben den Zulassungstest für die Princeton University bestanden und würde bald am College studieren.
Sie war ein bekennender „Perry Mason“ Fan.
Das Licht im kleinen Kino verlosch, das alte Logo von United Artist erschien aus der Finsternis, das berühmte von Boris Kaufmann gestaltete Intro in großartigen, grobkörnigen Schwarzweißbildern begann, floss über in die unvergessliche Titelmusik von Kenyon Hopkins, dann erschienen die Credits: “12 Angry Men…..directed by Sidney Lumet“….
38 Jahre später, würde sie erklären, dieser Film habe sie mehr beeinflusst als jeder andere, den sie je gesehen habe. Es sei der Film gewesen der ihre Karriere ausgelöst habe. Sie erinnerte sich an den konkreten Schlüsselmoment für ihr Leben, wie sie sich im Kinosessel aufrichtete, als George Voskovec in der Rolle des Geschworenen Nummer 11, in der englischen Fassung ein Migrant aus Osteuropa, die Worte sprach:
NUMMER 11: Verzeihung, bitte….
NUMMER 10: “Verzeihung bitte.” Warum sind sie immer so verflucht höflich?
NUMMER 11: Aus dem gleichen Grund, aus dem sie es nicht sind. Ich bin so erzogen worden. Diese Streiterei…. Das ist nicht warum wir hier sind, um zu streiten. Ich dachte immer, das sei das Bemerkenswerte an der Demokratie. Dass man uns….wie sagt man? Benachrichtigt. Dass man uns per Post benachrichtigt, hierher zu kommen und über Schuld und Unschuld eines Menschen zu befinden, den wir….den wir überhaupt nicht kennen. Ein Urteil durch das wir nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren haben. Das ist einer der Gründe weshalb wir stark sind. Wir sollten daraus keine persönliche Sache machen. Ich danke Ihnen.
Das war der Augenblick, the very moment, in dem es bei der hochbegabten Achtzehnjährigen „Klick“ machte.
Es war der Moment in dem sie sich entschied Jura zu studieren.
38 Jahre später war dieses „Klick“ nur noch ein fernes Echo.
Und Sonia M. Sotomayor war, nach einem langen, fast unmöglichen, Weg, einem Weg ausgelöst durch eine Replik aus einem 15 Jahre alten, meisterhaften Film in einem dunklen Kino in New York, als erste Latina und als erste Puerto-Ricanerin Richterin am Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika geworden.
Eingesetzt
durch Barack Hussein Obama.
„Die 12 Geschworenen“ 1956 inszeniert von Sidney Lumet, handelt von einer aufwühlenden Geschworenenberatung in einem geschlossenen Raum. Die Geschichte setzt also genau dort ein, wo andere Gerichtsstoffe normalerweise enden – Nach dem Abschluss des Prozesses. Genauer : Dem Abschluss eines Mordprozesses gegen einen 17 – jährigen Jungen aus der Bronx, der seinen Vater bestialisch erstochen haben soll.
Ihm droht die Todesstrafe. Es gibt Beweisstücke.
Es gibt Augenzeugen.
Es gibt wasserdichte Indizien.
Aller Wahrscheinlichkeit nach, ist der Junge schuldig, aber eben nur aller Wahrscheinlichkeit nach. Was aber, wenn er unschuldig ist? Oder – für den „begründeten Zweifel“ bei dem die Geschworenen „in dubio pro reo“ urteilen müssten wäre das ausreichend – wenn er unschuldig sein könnte?
Die 12 Geschworenen (Sie tragen im Film nach klassischer Geschworenengepflogenheit keine Namen nur Nummern) werden in das Beratungszimmer eingeschlossen, müssen beraten, in Klausur gehen, urteilen. Es sind 12 völlig unterschiedliche Charaktere die in dem engen Raum an einem schwülheißen Sommertag eingeschlossen sind, und über Leben und Tod eines Menschen zu befinden haben: Ein engagierter College Coach (Martin Balsam) , Ein schüchterner Bankangestellter (John Fiedler) , der jähzornige Besitzer eines Botenservices (Lee J. Cobb), ein arroganter Börsenbroker (E.G. Marshall), ein arbeitsloser junger Mann (Jack Klugman), ein einfacher Anstreicher (Edward Binns) , ein flapsiger Baseball – Fan (Jack Warden), ein akribischer Architekt (Henry Fonda), ein alter Rentner (Joseph Sweeney), ein rassistischer Tankstellenbesitzer (Ed Begley sr.), ein Emigrant aus Osteuropa (George Voskovec) und ein oberflächlicher Werbefachmann (Robert Webber). In einer ersten hastigen Abstimmung stimmen 11 der Geschworenen für schuldig, nur einer, der Geschworene Nr.8 (Fonda), stimmt für „nicht schuldig“.
Nicht etwa weil er den Jungen tatsächlich für unschuldig hält – er ist sich nur nicht sicher, glaubt, die „zwölf wütenden Männer“ schuldeten dem Angeklagten wenigstens eine Diskussion, bevor sie sein Leben beenden. Schließlich brechen die Konflikte, Aggressionen und aufgestaute Wut zwischen den 12 Geschworenen offen aus, ungefiltert prallen die Temperamente aufeinander. In leidenschaftlichen Diskussionen, scharfen Rededuellen ringen die gefangenen Männer verzweifelt um die Wahrheit. Immer größere Zweifel an der Version der Staatsanwaltschaft tauchen auf. Aussagen werden überprüft, Lücken entdeckt, Augenzeugen hinterfragt, Tatabläufe nachgestellt – die Phalanx der Befürworter eines Schuldspruchs bröckelt ….
Reginald Rose, 1954 |
“Es war so ein beeindruckendes, feierliches Setting in diesem großen holzgetäfelten Gerichtssaal, nebst grauhaarigem Richter. Das hat mich umgehauen. Ich war überwältigt. Ich war Geschworener in einem Totschlags-Prozess, und wir gerieten in diesen großartigen, entfesselten acht-Stunden-Streit im Geschworenenzimmer. Ich schrieb damals einstündige Fernsehspiele für Studio One und dachte: `Wow, was für ein Setting für ein Drama!´“
Er arbeitete zunächst ein rund 60 minütiges Live - Fernsehspiel für die populäre Reihe „Studio One“ aus. Die Ausstrahlung der Live Aufführung in den Chelsea Studios in New York City fand am 20. September 1954 auf dem Sender CBS statt. Regie führte Franklin J. Shaffner („Planet der Affen“ 1968, „Patton“ 1970).
Dieses Live-Fernsehspiel ist bis heute erhalten und kann hier in voller Länge betrachtet werden:
Standfoto von der Aufzeichnung des Fernsehspiels, 1954 |
Aufnahmen zum Fernsehspiel von 1954. Hintere Reihe, dritter von Links , Joseph Sweeney, zweiter von rechts George Voskovec (hier noch ohne Schnauz) |
Kein Wunder daher, dass im selben Jahr Interesse an dem originellen TV – Stoff von Reginald Rose aufkam. Andererseits war der Stoff, der ja weitgehend nur in einem einzigem Raum spielte und nicht einmal Namen für die Charaktere vorsah, so ungewöhnlich und gewagt, dass das Studio – so steht zu vermuten – nicht das volle Risiko tragen wollte.
Henry Fonda, 1956 bei den Dreharbeiten. |
Für die Regie wählte er den erst 31 Jahre alten Fernseh- und Theaterregisseur Sidney Lumet der noch nie zuvor einen Kinofilm inszeniert, aber mit seinen Fernseharbeiten Fondas Aufmerksamkeit erzielt hatte. Lumet spricht hier , entwaffnend ehrlich, über seine Motivation den Film zu machen:
Zwei Wochen lang probte Lumet mit den Schauspielern (wobei er darauf bestand dass die Schauspieler sich möglichst lange in den Studiokulissen aufhielten, um den klaustrophobischen Zustand des Eingeschlossenseins überzeugender spielen zu können).
Jüngster am Set: Sidney Lumet (Mitte). Links vorne E.G. Marshall, rechts von Lumet Jack Warden und Edward Binns (abgeschnitten) |
Gespräch mit der Crew, (von links): Henry Fonda, Sidney Lumet und Lee J. Cobb |
So soll sich Fonda bei Regisseur Lumet zu Drehbeginn über die billigen Außenkulissen hintern den Fenstern des Jury Rooms beklagt haben. "They look like shit. Hitch had great backdrops, you could walk right in them” erklärte er in Bezug auf den Film “Der falsche Mann” (1954) den er unmittelbar zuvor unter Hitchcock gedreht hatte.
Lumet gelang es, Fonda zu überzeugen, dass Kamermann Boris Kaufmann eine Lösung dafür habe, die Kulissen besser wirken zu lassen. Dem Budget war es auch geschuldet, dass das Kammerspiel, was im fertigen Film nicht mehr wahrgenommen werden kann, achronologisch gedreht werden musste. War eine Aufnahme aus einem bestimmten Winkel eingerichtet und ausgeleuchtet, mussten danach auch alle anderen Takes ,die aus diesem Winkel gedreht werden sollten, gefilmt werden. Das bedeutete, dass der Gegenschuss zum Teil erst bis zu zwei Wochen später gedreht werden konnte. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit den kompletten Film vorab wie ein Bühnenstück einzuproben. Nur so konnte diese Logistik ohne Qualitätsverlust durchgehalten werden.
Ein Regisseur wie ein Cowboy: Sidney Lumet. |
Grandiose bildgestaltung: Boris Kaufmann |
Director of Photography Boris Kaufmann (links) bei der Arbeit, in der Mitte Sidney Lumet, rechts sitzend: John Fiedler. |
Wie Kritiker-Legende Roger Ebert treffend zusammengefasst hat:
“Die ist ein Film, in dem die Spannung sich aus persönlichen Konflikten, Dialogen und Körpersprache ableitet, nicht von Action; in dem der Angeklagte nur in einer einzelnen kurzen Einstellung zu sehen ist; in dem Logik, Emotion und Vorurteil um die Vorherrschaft auf dem Feld ringen. Er ist ein Meisterwerk des stilisierten Realismus‘ – der Stil entsteht in der Art und Weise in der Photographie und Schnitt die blanke Essenz des Inhalts kommentieren.“
Heroisch, selbst in der Drehpause: Henry Fonda (Mitte) |
Ideal in die Hände spielte Kaufmann dabei Sidney Lumets außerordentliche Inszenierung mit ihrem perfekten Gespür für Raum und Tempo, für Dichte und Spannung. Gerade wenn sich die Handlung in so extremer räumlicher Enge abspielt, muss eine Inszenierung die den Zuschauer mitreißen soll, von ungeheurer Originalität sein, den Zuschauer stets kreativ überraschen, ihn bei jedem Bewegungsablauf mitdenken um seine Aufmerksamkeit niemals zu verlieren. Schließlich gibt es keine Schauwerte mit denen man ihn betören oder blenden könnte. Die enorme Stilsicherheit mit der Lumet das in seinem Kinodebüt bereits gelingt ist absolut verblüffend – er hat das Publikum von der ersten Minute an völlig in der Hand und lässt es, bis zur letzten, nicht mehr los. Mehrere Filmhochschulen haben die räumliche Inszenierung, das „Blocking“ von „Die zwölf Geschworenen“ ausführlich analysiert – es ist ein perfektes Lehrbeispiel (Achtung leichte Spoiler) :
Ein Mann und sein Skript - alleine gegen das Unrecht.... |
„Sidney, it’s magnificent“.
Originalplakat von 1957 |
Dass sich auch Rose und Lumet dieser Aufgabenstellung stellen wollten wird schon daran deutlich dass der Drehbuchautor sich auch im Spielfilmdrehbuch auf nur 2 Räume (Geschworenenzimmer und angeschlossener Waschraum) beschränkt, obschon er hier, im Gegensatz zum Live- Fernsehspiel ganz andere Möglichkeiten und eine um 30 Minuten längere Laufzeit zur Verfügung gehabt hätte.
Auch die bereits erwähnte Nutzung der Linsen (zu Beginn Weitwinkelaufnahmen über Augenhöhe um eine größere Tiefenwirkung zu erreichen, bis zur verstärkten Nutzung von aus niedrigem Aufnahmewinkel mit Teleobjektiv gedrehten Close Ups im letzten Filmdrittel) also einer bewussten linearen Steigerung von Dichte und Intensität, bei gleichzeitiger bewusster Entscheidung auf räumliche Einschränkung, belegt diese Absicht deutlich.
Die zweite klare Aussageabsicht ergibt sich daraus:
Da die physische Handlung durch räumliche Einschränkung zurücktritt, treten Dialoge in den Vordergrund und damit die Diskussion, die zu einer Entscheidung über Leben und Tod führen soll. Hierbei wird, quasi in einem Musterbeispiel eristischer Dialektik, die Frage nach der Wahrheit zum Hauptthema des Films, scheinbar sichere Annahmen, fixe Wahrheiten werden erschüttert und ad absurdum geführt, so dass dem Zuschauer seine eigenen Vorurteile, seine eigene Voreingenommenheit sichtbar gemacht wird, aber nicht indem sie von oben herab doziert wird, sondern indem der Betrachter den packenden Prozess der Wahrheitsfindung selbst miterlebt, ja, da er selbst in der Lage ist mitzudenken, sogar durchlebt. So wird letztlich eine scharfe Aussage über vorschnelles Urteilen getroffen, ohne jemals direkt formuliert zu werden. Ein filmischer Gewissenstest.
Gänsehaut - Moment. 11 der Geschworenen drehen dem Rassismus von Nummer 10 (Im Vordergrund sitzend: Ed Begley sr.) buchstäblich den Rücken zu. |
Oder wie Kritiker Hans Weigel es formuliert „Hier diskutiert am simplen Fall die Demokratie sich selbst, geht bei sich selbst in die Lehre, gewinnt fundamentale Einblicke in ihr Wesen, ihre Größe und ihre Gefährdung – und dies alles ganz und gar ohne lehrhafte Gemeinplätze, nur an Hand eines spannenden Kriminalfalls[…] Die zwölf Männer in ihrer Klausur werden zu Aposteln einer großen Botschaft, zum klassischen Modellfall“
Eine dritte Intention der Filmemacher kann man im juristischen Bereich mutmaßen. Der Geschworene Nummer 8 sagt im Film:
“Es ist immer schwierig persönliche Vorurteile aus seiner Sache wie dieser herauszuhalten. Und wo immer man sie antrifft, verdunkeln Vorurteile stets die Wahrheit. Ich weiss nicht was die Wahrheit ist. Ich nehme an, das wird niemand je wirklich wissen. Einige von uns haben das Gefühl, dass der Angeklagte unschuldig ist, aber wir setzen nur auf Wahrscheinlichkeiten. Wir können falsch liegen. Wir lassen vielleicht einen schuldigen Mann frei ausgehen, Ich weiss es nicht. Niemand kann es wissen. Aber wir haben einen begründeten Zweifel, und das etwas sehr Wertvolles in unserem Rechtssystem. Wir dürfen zweifeln. Kein Geschworener darf einen Menschen schuldig sprechen, wenn er nicht sicher ist.“
Bedenkt man aber, dass zu Beginn der Handlung die Abstimmung 11 zu 1 für schuldig steht, und der Urteilsspruch somit fundamental davon abhängt, dass es, durch den Zufall der Auswahl, einen Geschworenen Nummer 8 gibt, der auf seinem Recht beharrt zu zweifeln, und diese Zweifel damit letztlich auf die Gruppe überträgt, wird durchaus eine gewisse subtile, absolut berechtigte Kritik am US Geschworenensystem selbst, wie es bei Kapitalverbrechen (und damit auch bei Fällen drohender Todesstrafe) zur Anwendung kommt, sichtbar.
Was wenn es keinen Geschworenen Nummer 8 gegeben hätte? Darf ein Urteil abhängen von einem Zufall? Sollte davon das Leben eines Menschen abhängen dürfen – von zwölf wütenden Männern?
Die Beschreibung der 12 Geschworenen aus Reginald Roses Drehbuch. |
So lässt sich zusammenfassend festhalten, dass „die 12 Geschworenen“ sich ganz bewusst gegen den in den kommenden Jahren stärker werdenden Trend, den Großfilm, positioniert, und stattdessen ein technisch schnörkelloses, schlichtes Charakterdrama bieten will, in dem es um Figuren und deren Entwicklung, ihr Verhalten untereinander geht, ein Schauspielerfilm also, der sich mit komplexen übergeordneten Ideen und Fragen am konkreten Beispiel beschäftigt.
Genau diese Weichenstellung, besonders das Fehlen von Farbe, Breitwandformat und Schauwerten bei Besetzung nur eines zugkräftigen Stars (Fonda) war allerdings auch der Grund weshalb der Film an den Kinokassen kein kommerzieller Erfolg war, hier konnte auch ein extrem reißerischer Trailer nicht mehr helfen. Tatsächlich wurde der heute legendäre Klassiker ein Minusgeschäft, das schon nach nur einer Woche Laufzeit wieder aus den Kinos verschwand.
Späte Ehre: Fan-Art. |
„For Reginald Rose's excellent film elaboration of his fine television play of 1954, which arrived at the Capitol Saturday, is a penetrating, sensitive and sometimes shocking dissection of the hearts and minds of men who obviously are something less than gods. It makes for taut, absorbing and compelling drama that reaches far beyond the close confines of its jury room setting.”
Und setzte in Bezug auf die Leistung des jungen Regisseurs hinzu: "Sidney Lumet […] made expert use of a superb cast, which is ingeniously photographed in what normally would have been static situations.”
Die Fachzeitschrift Variety zeigte sich differenzierter, doch gleichfalls beeindruckt. Dort hieß es:
„Most of the action takes place in the one room on a hot summer day. The effect, rather than being confining, serves to heighten the drama. It's not static, however, for Sidney Lumet, making his bow as a film director, has cleverly maneuvered his players in the small area. Perhaps the motivations of each juror are introduced too quickly and are repeated too often before each changes his vote. However, the film leaves a tremendous impact.”
Die im amerikanischen Inland verweigerte Anerkennung, was Auszeichnungen betraf, holte sich der Film dann bezeichnenderweise im Ausland. „Die 12 Geschworenen“ erhielt ,neben dem Preis als bester Auslandsdarsteller der British Academy Of Film & Television Arts und der finnischen Jussi Awards für Henry Fonda, 1957 den Goldenen Bären für den besten Film und den Preis der ökumenischen Filmkritik auf den Filmfestspielen von Berlin, den dänischen Bodil, den Preis der italienischen Filmkritiker, den Cesar in Frankreich , das blaue Band sowie den Kinema Junpo Preis (beide Japan) für den besten Auslandsfilm; das Drehbuch von Reginald Rose wurde mit dem Preis des amerikanischen Schriftstellerverbands und dem Edgar Allan Poe Award ausgezeichnet. Auf dem Filmfestival von Locarno erhielt der Film eine lobende Erwähnung.
Auszug aus der deutschen Theaterfassung, erschienen bei Reclam. |
In Locarno war es auch, wo die Idee ihren Anfang nahm „die 12 Geschworenen“ für die Bühne zu adaptieren, es entstand eine bis heute viel gespielte US amerikanische Bühnenfassung unter dem Titel „Twelve Angry Men“ (bzw. „Twelve Angry Women“ im Fall einer weiblichen und „Twelve Angry Jurors“ im Fall einer gemischten Besetzung) adaptiert von Sherman L. Sergel, inszeniert unter anderem 1996 von Harold Pinter in London, und eine leider bearbeitete und verschlimmbesserte deutsche Fassung von Horst Budjuhn, die, nach langer Durststrecke mittlerweile wieder mehr gespielt wird; bemerkenswert bleibt allein die Uraufführung 1958 an den Münchner Kammerspielen unter Hans Schweikart – hauptsächlich wegen der riesigen Hürden die der Snobismus der deutschen Theaterlandschaft der 50iger für die Produktion aufstellte. Schweikart hatte große Schwierigkeiten das Stück adequat zu besetzen, da fast alle renommierten Schauspieler die er anfragte es ablehnten Rollen zu spielen die zwar Nummern, aber keine Namen haben.
Vor Schweikart war der Stoff dem legendären Berliner Theatermacher Boleslaw Barlog angeboten worden der das Stück, ebenfalls aus purem Snobismus, zurückwies. Der SPIEGEL berichtete seinerzeit, nicht ohne eigene Herablassung:
„Der Berliner Intendant Boleslaw Barlog allerdings, dem die Uraufführung zuerst angeboten worden war, versagte sich und seinen Bühnen (Schiller- und Schloßpark -Theater) die Annahme des neuen Stücks mit dem keineswegs unbekannten Titel. Er dürfe es sich dem Publikum gegenüber nicht erlauben, erklärte er, `einen erfolgreichen Film in einer noch so brillanten Bühnenfassung nachzuspielen´.“
Im englischsprachigen Raum war es absolut nicht ungewöhnlich das reizvolle Filmstoffe ihren Weg auch auf die Bühne fanden, in Deutschland war es ein unvorstellbarer Tabubruch. Auch Schweikarts Inszenierung wurde von der WELT ("knapp, simpel, spannend, allgemeinverständlich, vordergründig, geschickt und kunstlos") und MERKUR ("Reißer mit Moral") letztlich verrissen, wenngleich garniert mit vergiftetem Lob.
Die Theaterfassung überlebte all das.
"Die zwölf Vergilbten": Brillante Parodie bei den "Simpsons" |
Zwölf Geschworene in Quahog: "Family Guy" |
Oscar Madison (Jack Klugman, stehend) verzweifelt am Geschworenen Nummer 8 , Felix Ungar (Tony Randall, links vorne) |
In dubio pro Law and Order: Reverend Camden (Stephen Collins) |
Deutsches TV-Remake von 1963, auf DVD erschienen beim Label Pidax. |
Neuverfilmung durch William Friedkin, 1997 |
Angesichts der großen Bedeutung des Originals, das als meisterhaftes Ensemblekammerspiel bis heute unübertroffen ist, ist dieses Zugeständnis an das menschliche Vergessen sehr bedauerlich, zumal der Effekt der Überlagerung eines Originals – in der Wahrnehmung des Publikums - durch eine neuere Version auch hier Platz greifen könnte.
„Die 12 Geschworenen“ gilt heute nicht nur als bedeutender Klassiker sondern wird darüber hinaus, wie es dort heißt von „[…] Soziologen und Psychologen bis heute als ein Musterbeispiel zur Anschauung von Rollenverhalten, Gruppenverhalten und gruppendynamischen Prozessen“ angesehen.
Kritiker Ulrich Behrens stellt heraus „das, was sich in diesen 96 Minuten zuträgt, ist so dicht, so intensiv, dass man am Ende den Eindruck hat, man habe selbst fast einen halben Tag in diesem Geschworenenzimmer zugebracht.“ Das Lexikon des internationalen Films bescheinigt dem Werk „eine große Dichte und Spannung“ und bezeichnet es im Weiteren als einen „Modellfall "demokratischer" Aufklärungsarbeit. Hervorragend besetzt, gespielt und fotografiert“ Im Kritikerspiegel von rottentomatoes erreicht „Die 12 Geschworenen“ sogar seit Jahren die nahezu unerreichbare Bewertung von 100 %.
Der Filmkritiker Roger Ebert nahm den Film in seine „Greatest Films“ Liste auf, und das American Film Institute (AFI) listet „die 12 Geschworenen“ auf Rang 42 der „Most Inspiring Movies“ ,auf Rang 87 der besten Filme des 20. Jahrhunderts und als zweitbesten Gerichtsfilm der Geschichte – hinter „Wer die Nachtigall stört“ von 1962 und vor „Urteil von Nürnberg“ mit dem er seine Entstehungsgeschichte teilt.
2007 wurde „Die 12 Geschworenen“ als "culturally, historically, or aesthetically significant" in die Library Of Congress aufgenommen.
Wie lautet meine persönliche Einschätzung des Films „Die 12 Geschworenen“ von Sidney Lumet?
Ich halte ihn für zweierlei. Zum Einen für einen definitionsgemäßen Klassiker. Zum anderen für ein Meisterwerk. Über die Qualitäten des Films – die brillanten, geschliffenen Dialoge mit mustergültiger Entwicklung und Ausarbeitung der zwölf unterschiedlichen Charaktere, die exzellente Schwarzweißphotographie die kunstvoll jede Statik unterläuft und den Zuschauer regelrecht in das Geschworenenzimmer und die Situation saugt, die ausnahmslos starken Darstellungen aller zwölf Schauspieler des von Sidney Lumet sensibel zu Spitzenleistungen geführten Ensembles (eine Meisterleistung der Schauspielerführung die Lumet 1976 mit „Network“ wiederholte) , das starke, enorm komplex ausgeschöpfte und beleuchtete Thema, und nicht zuletzt die schlichte und wohltuend selten eingesetzte aber hervorragende Filmmusik von Kenyon Hopkins – gibt es keinen Zweifel.
Es sind die Qualitäten die den Film bis zum heutigen Tag nichts von seiner ungeheuren Wirkung auf den Betrachter haben verlieren lassen. Zum Klassiker aber macht ihn etwas Anderes: Es ist ein ganz und gar originärer Film, etwas das in dieser Form noch nie vorher versucht worden war – der erste reine, pure Ensemblefilm der Filmgeschichte. Die Hauptrolle ist das Ensemble, alle Schauspieler sind nahezu über die komplette Laufzeit im Bild. Er definierte alle nachfolgenden Arbeiten in diesem Bereich. Er ist der Standard, der Maßstab.
Er ist aber nicht nur der Beginn des Ensemblefilms, er ist auch bereits dessen Höhepunkt, da er qualitativ bis heute nicht übertroffen worden ist. Zum Meisterwerk, also dem Werk eines Meisters, macht ihn neben dieser Überzeitlichkeit bezüglich der Wirkung, der Umstand das alle Beteiligten sich auf dem Höhepunkt ihres Könnens befanden, seine erstaunliche Makellosigkeit, vor allem aber der Umstand, dass hier etwas entstanden ist, dessen künstlerischer Einfluss erkennbar und nachweisbar weit über sich selbst hinausweist, bis zum Film von Nikita Michalkow, bis in die Wirklichkeit des Jahres 2018 – und weit darüber hinaus.
Es sind die Qualitäten die den Film bis zum heutigen Tag nichts von seiner ungeheuren Wirkung auf den Betrachter haben verlieren lassen. Zum Klassiker aber macht ihn etwas Anderes: Es ist ein ganz und gar originärer Film, etwas das in dieser Form noch nie vorher versucht worden war – der erste reine, pure Ensemblefilm der Filmgeschichte. Die Hauptrolle ist das Ensemble, alle Schauspieler sind nahezu über die komplette Laufzeit im Bild. Er definierte alle nachfolgenden Arbeiten in diesem Bereich. Er ist der Standard, der Maßstab.
Er ist aber nicht nur der Beginn des Ensemblefilms, er ist auch bereits dessen Höhepunkt, da er qualitativ bis heute nicht übertroffen worden ist. Zum Meisterwerk, also dem Werk eines Meisters, macht ihn neben dieser Überzeitlichkeit bezüglich der Wirkung, der Umstand das alle Beteiligten sich auf dem Höhepunkt ihres Könnens befanden, seine erstaunliche Makellosigkeit, vor allem aber der Umstand, dass hier etwas entstanden ist, dessen künstlerischer Einfluss erkennbar und nachweisbar weit über sich selbst hinausweist, bis zum Film von Nikita Michalkow, bis in die Wirklichkeit des Jahres 2018 – und weit darüber hinaus.
FAZIT: Ehrfurchtgebietendes
Meisterwerk, grandios geschrieben, inszeniert und fotografiert, getragen von
einem furiosen Darsteller-Ensemble. Unerträglich spannend und völlig
unvergesslich. Eine der zehn besten Filme der Filmgeschichte.
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