Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Sonntag, 25. Mai 2025

OVERCOMING THE ODDS: JIMMY SANGSTER UND "HORROR OF DRACULA (1958)"






Stellen Sie sich die Hindernisse vor, die Jimmy Sangster überwinden musste, als er gebeten wurde, „Bram Stokers Dracula“ für eine Hammer-Produktion zu adaptieren.


Hammers Stamm-Drehbuchautor: Jimmy Sangster


 

Nicht nur, dass er - anders als die Version von Tod Browning aus dem Jahr 1931 - keinen Teil des Bühnenstücks von Hamilton Deane verwenden konnte: Er musste auch einen Dracula für ein Budget schreiben, das es nicht erlaubte, den größten Teil des Buches zu verfilmen (ich meine, es gibt eine Reise von London nach Transsylvanien im östlichen Kontinentaleuropa, dann eine Reise von dort mit der Kutsche und dem Schiff nach Exeter und dann den ganzen Weg zurück mit dem Schiff und der Eisenbahn, um den Vampir auf seiner Flucht zu seinem rumänischen Schloss zu jagen, einschließlich des Abschneidens seines Weges mit dem Schiff über die Schwarzmeerroute nach Varna) und ohne ein Ensemble, das groß genug ist, um alle Figuren zu besetzen.


Titel- Screencap der restaurierten Version.


  

Was hatte er? 

Die kleinen Bray-Studios, die übliche Besetzung klassischer Hammer-Schauspieler und einige sehr reizvolle alte Schlösser und Außenkulissen. Damit und mit einer geplanten Laufzeit von weniger als 90 Minuten für eine Geschichte, die mehr als drei Stunden gebraucht hätte, musste Sangster eine andere Lösung finden.



Unheimlicher Bettgenosse: Dracula


 


Die Lösung war einfach und hätte den Film unter weniger guten Händen als denen von Sangster und Fisher zerstört: Nicht Stokers Dracula zu machen, sondern die Dracula-Verfilmung, die man unter diesen Umständen machen KONNTE.



Sangster strich die ganze Reiserei, eliminierte die Irrenanstalt, Renfield und die Carfax Abbey-Sache (behielt aber Seward als Nebenfigur bei) und straffte die Geschichte zu einer einzigen, starken Erzählung. Er verschmolz die gesamte Truppe der Vampirjäger zu einer Person, Arthur Holmwood (Michael Gough), und Van Helsing. Er überarbeitete die schwerfälligen Dialoge zu ziemlich sparsamen, aber erstaunlich effektiven Sätzen. Dann definierte er Jonathan Harker zu einem Vampirjäger und Freund von Van Helsing um, der sich in Draculas Kreise einschleust, um das erste Dritte der Geschichte erheblich zu beschleunigen.

Bette Davis Eyes?





Tatsächlich komponierte Sangster die gesamte Handlung überraschend schwungvoll und temporeich, was durch Terence Fishers rasante Regie brillant umgesetzt wurde. Bis heute ist der Film sehr modern, was das Tempo angeht, es gibt keine Minute ungerechtfertigter Länge.

Sangster veränderte den Schluss, hin zu einer intensiven finalen Auseinandersetzung im Schloß zwischen Dracula und Van Helsing, die ein Ur-Element aus „Nosferatu“ kongenial übernimmt: Den Tod des Vampirs durch das Licht der Sonne: Van Helsing entkommt in letzter Sekunde dem Biss des Untoten, springt athletisch auf die mittelalterliche Tafel, sprintet auf ihr entlang, zu den Vorhängen, springt an die Vorhänge und reißt sie dabei herunter, der Lichtstrahl bannt sofort den Vampir, Van Helsing ergreift zwei Leuchter, formt aus ihnen ein Kreuz und treibt damit Dracula ins Licht, wo er vergeht, so wie Max Schreck 36 Jahre vor ihm.




 





Er definierte auch Van Helsing neu, vom zynischen alten holländischen Professor zu einem ernsten, sportlichen und sehr britischen Indiana-Jones-Vorgänger, der wesentlich jünger ist.

Sowohl Sangsters exzellentes Drehbuch, das anstelle der perfekten Stoker-Adaption zu einem neuen, parallelen Dracula-Mythos wurde, als auch Terence Fishers stilvolle, elegante und makabre Inszenierung legen einen bahnbrechend neuen Fokus auf die klassischen mythologischen Ingredienzien, die in früheren Versionen ausgelassen wurden:

Den Knoblauch, das Kreuz, die Pfähle, die durch die Herzen der Vampire getrieben werden, die brennende Kraft des Sonnenlichts, die heimatliche Erde, die in den Särgen gebraucht wird, das BLUT..... und die perfekt choreographierten Schockmomente, die durch genau die richtige Menge an wohldosiertem Grauen (für die Standards der 1950er Jahre) aufgewertet werden.




Sinnlicher Dracula von imposanter Körperlichkeit: Christopher Lee will an den Hals von John Van Eyck

 

Und durch Christopher Lees fesselnde Darstellung des Grafen setzte Fisher, wahrscheinlich als erster Regisseur, den starken sexuellen Subtext der Vampirlegende kraftvoll ein. Durch Lees beherrschende physische Präsenz, seine bedrohliche Haltung und Bewegung, seine dunkle Stimme, seine Aura unterdrückter, roher Wildheit wird Dracula zum ersten Mal zu dem wilden, bisexuellen Beißer des Romans. In seiner magnetischen Darbietung vermittelt er eine dunkle Erotik, die das Publikum in dieser Rolle noch nie gesehen hatte.


Grandioser Van Helsing für die Ewigkeit: Shakespeare-Mime Peter Cushing

 

Ihm gegenüber gibt ein brillanter Peter Cushing den wohl überzeugendsten Van Helsing, der je auf der Leinwand zu sehen war: Todernst, wissenschaftlich geschult, scharfsinnig und hochintelligent, mit der Körperlichkeit eines Abenteurers oder eines jungen Sherlock Holmes (Und in der Tat spielte er ein Jahr später Sherlock Holmes für Hammers „Der Hund von Baskerville“). Die Wiedergabe seines Textes ist tadellos. Welche Glaubwürdigkeit „Horror of Dracula“ auch immer haben mag - Cushing ist derjenige, der sie dem Film einhaucht.


"Ich bin Dracula....." wundervoll ausgestattete Begrüßungsszene

 

John Van Eyck pfählt Carol Marsh

 

Auch die Nebendarsteller sind ziemlich gut, vor allem ein junger Michael Gough in der wenig dankbaren Rolle des Arthur Holmwood und Melissa Stribling.



  
Auch Untote brauchen Kaffeepause: Carol Marsh vor ihrer Pfählung


Die Kameraarbeit von Jack Asher ist kreativ, einfallsreich und unglaublich atmosphärisch. Er macht das Beste aus der begrenzten Anzahl von Sets, die für die Hauptaufnahmen zur Verfügung stehen. Die wenigen Matte-Paitings die zum Einsatz kamen, sind für das Auge des Publikums fast unmöglich als solche zu identifizieren. 


Oben: Bauten in den Bray-Studios, unten mit eingefügtem Matte-Painting



Das alles ist keine kleine Leistung, wenn man bedenkt, dass vor der Hammer-Ära die Regel galt, dass Horror in Schwarz-Weiß gedreht werden musste, um überhaupt überzeugend zu sein. Ashers effektiver Einsatz von Farbe hier (wie auch in „Frankensteins Fluch“ und „Die Mumie“) durchbrach diese Barriere und eröffnete dem Horrorfilm eine neue, mächtige visuelle Dimension. Vor allem sein Einsatz von Licht und Schatten ist wunderbar dunkel und fesselnd.


Werbung für die Premiere, 1958 in London am Haymarket.

 



 

James Bernards kraftvolle, dissonante Filmmusik, die sich oft eines treibenden Tempos bedient, unterstreicht Kinematografie und Handlung perfekt und erzeugt mitunter eine atemberaubende Intensität, was die Wirkung des Films enorm verstärkt. All diese Elemente fügen sich zu einem bemerkenswerten, effektiven kleinen Film zusammen: Düster, schnell, stilvoll, sehr elegant, auch roh und wild, voller unterschwelliger Erotik, doch insgesamt sehr ästhetisch.

 



Ein Film, der, um ehrlich zu sein, wenig mit dem eigentlichen Roman „Dracula“ von Bram Stoker zu tun hat. Aber ALLES zu tun hat mit der Atmosphäre, der Stimmung, dem Gefühl, der Mythologie und den unterschwelligen Themen des Buches.

Es ist eine drastische Vereinfachung der Geschichte, aber Vereinfachung kann in bestimmten Fällen eine Stärke sein, wenn sie mit Intelligenz, Sorgfalt und exquisitem Geschmack erfolgt. Dann ist die Vereinfachung ein bewusster Weg, die Essenz einer großen Geschichte zu erfassen, ihren Kern freizulegen.

Und das, so nehme ich an, war von Anfang an die Idee und das Ziel von Jimmy Sangster.
 
Wunderbare Fan-Art





In dieser Hinsicht ist „Horror of Dracula“ ein Triumph. Er zeigt, dass man auch mit einem begrenzten Budget und begrenzten Möglichkeiten, mit einem intelligenten Konzept, einer perfekt getimten Inszenierung und sehr viel Geschick und Stil - vor und hinter der Kamera - einen sehr guten Film machen kann. Und in diesem speziellen Fall, vor allem wegen seines archetypischen Charakters, sogar einen großartigen.




Terence Fisher, rechts, inszeniert Christopher Lee



Terence Fisher (links) mit dem Dracula aller Draculas.

 

Hier ist eine vollständige Abschrift des Drehbuchs von Sangster: http://www.script-o-rama.com/movie_scripts/h/horror-of-dracula-script-transcript.html




6 Fortsetzungen aufgrund des großen Erfolges: Die Dracula-Reihe von Hammer mit Christopher Lee umfasste 15 Jahre.







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