Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Mittwoch, 18. Januar 2017

VORAB-KINOTIPP: „VERLEUGNUNG (2016)“ (OT: „Denial“) - BEI UNS AB APRIL 2017



"Redefreiheit bedeutet, dass jeder sagen kann, was er will. Was man nicht kann, ist lügen und erwarten nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. Nicht alle Meinungen sind gleich. Und einige Dinge haben sich nun einmal zugetragen, so wie wir sagen, dass sie sich zugetragen haben. Die Sklaverei hat stattgefunden. Der schwarze Tod hat stattgefunden. Die Erde ist rund und die Eiskappen schmelzen und Elvis ist nicht am Leben.“                            PROF. DEBORAH LIPSTADT

„Sie werden euch niemals glauben, was wir euch angetan haben“
                        KZ-WÄCHTER zu SIMON WIESENTHAL, kurz vor der Befreiung von Mauthausen.

Mitte der 90iger Jahre: In ihrem Buch „Denying The Holocaust“ bezeichnet Geschichtsprofessorin Deborah Lipstadt (Rachel Weisz) ihren vormaligen Kollegen und jetzigen Aktivisten David Irving aufgrund dessen Leugnung des Holocaust als Lügner und Geschichtsfälscher. 1996 verklagt daraufhin Irving (Timothy Spall) Lipstadt und ihren Verleger Penguin Books wegen Verleumdung. Raffinierter Twist: Irving reicht die Klage in London, England ein. Aufgrund des andersartigen Rechtssystems ist dort die Beweislast in solchen Fällen umgekehrt. Lipstadt, ihr Anwalt Julius(Andrew Scott) und ihr Straftverteidiger, der brillante Richard Rampton (Tom Wilkinson), müssen daher gerichtsfest beweisen dass Irving tatsächlich ein Lügner ist – und dass es den Holocaust wirklich gegeben hat. Fast unerträglich für die aufbrausende Lipstadt ist die Strategie ihrer Verteidiger: Sie selbst darf zur Klage nicht sprechen. Vier Jahre lang.....

„Denial“, deutsch „Verleugnung“ basiert auf dem Sachbuch „History On Trial: My Day In Court With A Holocaust Denier“ und den Gerichtsprotokollen. Das Drehbuch stammt vom preisgekrönten britischen Dramatiker David Hare, Regie führte Mick Jackson.

Hier einige aufschlussreiche Interviews mit den Mitwirkenden:

https://www.youtube.com/watch?v=WG3qX4ZpPgk Spall Interview

https://www.youtube.com/watch?v=6MvlC5I0ktI Jackson & Hare Interview

Gelungen ist ein starker, packender und - ohne Betroffenheitsbilder - erschütternder, zum Nachdenken anregender Film. Besonders klug und sensibel wird beleuchtet, wie schwer es für eine leidenschaftliche Historikerin wie Lipstadt war, in dem wichtigsten Prozeß ihrer Karriere weder gegenüber dem Gericht noch den Medien sprechen zu dürfen, während Irvings Propaganda ungefiltert in die Öffentlichkeit weitergetragen wurde; insofern liefert der Film auch die Studie einer Selbstverleugnung im Dienste der guten Sache. Er zeigt aber auch die Mechanismen der Holocaust – Leugnung auf, und entlarvt die Agenda der Leugner. Diese Leistung wird noch verstärkt, dadurch dass es David Hare , in seinem exquisit recherchierten Skript, gelingt, sehr reale, nuancierte, vielschichtige Figuren zu schaffen – weder wird Irving zum Monster par excellence stilisiert (so monströs seine Ansichten auch sind) noch Lipstadt zur reinen Heroin verklärt (sie wird als, sagen wir, überdurchschnittlich temperamentvoll, partiell zickig, und manchmal zu ich-bezogen gezeigt. Die echte Lipstadt stimmt diesem Porträt ihres jüngeren Ichs übrigens durchaus augenzwinkernd zu). Die Dialoge sind hervorragend, die Inszenierung absolut dicht und es gelingt dem Film durchweg die Grundspannung aufrecht zu halten. Cannes- Preisträger Timothy Spall als Irving und Oscarpreisträgerin Rachel Weisz als Lipstadt spielen hervorragend, Letztere, für eine Britin bemerkenswert, sogar mit waschecht klingendem Brooklyn-Akzent. Andrew Scott, der Moriarty aus „Sherlock“ glänzt als Anwalt Anthony Julius. Am beeindruckendsten allerdings ist die feinsinnige von großer Reife und tiefem Ehrgefühl getragene Darbietung des (wiedereinmal) Oscarreifen Tom Wilkinson als Lipstadts Verteidiger Richard Rampton, die in den - viel zu wenigen – Gerichtssaalszenen eine Wucht erlangt, die Gänsehaut erzeugt.

Das einzige Manko des packenden Films ist denn auch tatsächlich, dass er zwar das Drumherum des Prozesses gekonnt und in all seinen Facetten perfekt einfängt uns aber von der Verhandlung selbst viel zu wenig zeigt, obwohl es hier an faszinierendem Material keineswegs gemangelt hätte. Möglicherweise fehlte es Dramatiker Hare hier einfach an Traute. Besonders unbefriedigend ist dies, weil eben gerade die Gerichtssaalszenen, die enthalten sind, und zwar im WORTLAUT, außerordentlich gelungen sind.
Positiv hervorzuheben ist, dass es „Denial“ auf äußerst subtile Art und Weise gelingt einen profunden und sehr eindeutigen Kommentar zu unserem postfaktischen Zeitalter abzugeben. Wie Lipstadt es im Eingangszitat sagt, „not all opinions are equal“. Dieser Aspekt macht „Denial“ wohl zu einem der bedeutendsten und wichtigsten Filme der letzten Jahre – davon zeugen leider auch die außerordentlich vielen paranoiden und hasserfüllten Kommentare die das Werk online bekommt, viele davon auch in deutscher Sprache. Bedauerlich auch dass ein großer Teile der Kommentare Prof. Lipstadt persönlich in hochverleumderischer Weise angreift. In einer Gesellschaft die einen Rechtsruck erlebt, wird wohl auch Holocaust – Leugnung in leichten, rechtsdrehenden Tänzelschritten wieder en Vogue. Erschütternd.

Hier eine glänzende Video- Review:
https://www.youtube.com/watch?v=WpfAes701cw

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen