Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Montag, 14. Februar 2022

Yul Brunner Ein Leben gegen den Antiziganismus


Yul Brynner – ein Leben gegen den Antiziganismus
(Mit Clips und Links)

1957 kam es während der 29. Oscar-Verleihung zu einer – in sozialkritisch-antirassistischer Hinsicht- kleinen Sensation, deren Besonderheit wir heute erst voll ermessen können.

Denn mit Yul Brynner gewann am 27. März 1957 im RKO Pantages Theatre in Los Angeles nicht nur, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges (!), ein gebürtiger Russe, sondern zum ersten und einzigen Mal ein Rom den Oscar als Bester Hauptdarsteller – und transzendierte damit die für seine Ethnie bis dato gültigen „Rassen“grenzen und den Antiziganismus seiner Zeit:





So wie Sidney Poitier es, sieben Jahre nach ihm, für die Afroamerikaner tat.
Es war eine außerordentlich ungewöhnliche Entscheidung der Academy of Motion Picture Arts & Sciences.

Brynner gewann für die Rolle des siamesischen Königs Mongkut der Große in Rogers & Hammersteins Musical-Hit „Der König und Ich“, der eine durchaus antirassistische Note hat.




„Der König und Ich“ basierte auf dem Roman „Anna und der König“ von Margaret Landon, wiederum basierend auf den realen Tagebüchern der echten Anna Leonowens, die im 19. Jahrhundert tatsächlich als Erzieherin am Hofe Mongkuts von Siam gewesen war.

(Der Roman war bereits 1946 als „Anna und der König von Siam“ verfilmt worden, mit massivem white-washing, denn Brite Rex Harrison hatte dort, stark auf Asiate geschminkt, Mongkut den Großen dargestellt, siehe hier: 



Mit Deborah Kerr

Für die Rolle des Königs hatte Brynner in der Broadway – Uraufführung bereits einen Tony Award erhalten. Dort war es auch , wo die legendäre Kostümdesignerin Edith Head, tief beeindruckt von seiner Arbeit in den Proben, ihm riet sich für die Rolle den Schädel kahl zu rasieren („Mach es und die Welt wird sich an dich erinnern“), was später sein Markenzeichen wurde.

„Der König und Ich“ wurde Brynners großer Durchbruch und Mongkut die Rolle seines Lebens. In der Originalaufführungsserie und zwei Broadway-Revivals in den 70ern und 80ern (auch hierfür gewann er den Tony Award) stand er 4625 – mal (!) als König von Siam auf der Bühne, mehr als jeder andere Schauspieler in jeder anderen Rolle in der Theatergeschichte, zuletzt schwer krebskrank.

Er spielte ihn auch in der 13-teiligen britischen Serie „Anna und der König von Siam“ von 1972, an der Seite von Samantha Eggar, aus der Clip und Musik (Jerry Goldsmith) stammen.


Yul Brynner wurde am 11.Juli 1920 als Juli Borissowitsch Briner, Sohn eines Ingenieurs, der schweizerische und mongolische Wurzeln hatte, und einer sibirischen Arzttocher aus Irkutsk, Marousia Blagovidova, deren Mutter Romni war, in Wladiwostok, Russland, geboren.
Die Familie lebte zunächst auf Sachalin.

Später, nach Scheidung der Eltern, zog er mit seiner Mutter erst nach China, wo er den mongolischen Zweitnamen Tadje Khan führte, dann nach Paris, wo er ein Eliteinternat besuchte.

In den 30igern schlug er sich als Sänger, vier Jahre lang als Akrobat (Trapez), in einem fahrenden Zirkus und als Mitglied eines Roma-Orchesters durch. Rückblickend bezeichnete er diese Periode als die Glücklichste seines Lebens. Eine tiefere, unverstelltere Menschlichkeit als unter Roma habe er „nie kennengelernt“ so Brynner.


1946

1940 immigrierte er in die USA, sprach zu der Zeit fließend Russisch, Romanes und Französisch und wenig Englisch. Als er auf Ellis Island an Land ging, wurde er zu Yul Brynner:


Bald beherrschte er die Sprache perfekt, und studierte bei Michael Checkov in Connecticut Schauspiel. Schnell wurde er hinter der Kamera, als Regisseur beim Live-Fernsehen, erfolgreich.


1949

Rassistische Klischees hatten den Weg des Mannes, der offen, auch selbstironisch, als Rom auftrat und auch seine russischen Wurzeln nicht leugnete, vor die Kamera zunächst verhindert. Bei einem Screentest für Universal wurde er 1947 zurückgewiesen, da er „zu orientalisch“ aussehe.

Dabei widersprach Brynner aufs Trefflichste allen tumben antiziganistischen Klischees: Er war ein kultivierter, sanftmütiger, feinsinnig-gebildeter Mensch, ein außerordentlich disziplinierter workaholic, sehr belesen, leidenschaftlicher Familienvater und sozial engagierter Philanthrop.

Auf der anderen Seite war er auch Mensch genug für Widersprüchlichkeiten, konnte exzessiv feiern, kokettierte, spielerisch (und hochironisch), mit seiner angeblichen Wildheit, war ein berüchtigter Charmeur und Womanizer


1950 sprach er für die Rolle des Mongkut in „Der König und ich“ vor, indem er, sich auf einer Balalaika selbst begleitend, klassisches Roma- Liedgut virtuos interpretierte. Richard Rodgers & Oscar Hammerstein waren wie hypnotisiert: „Wir sahen uns an, und sagten: Das ist er“

Nachdem er auf der Bühne für Furore gesorgt hatte, schaffte er 1956 mit gleich drei Hauptrollen in einem Jahr auch den Durchbruch im Filmfach: Als Mongkut in der Verfilmung von „Der König und Ich“, als Ramses II. in „Die zehn Gebote“ und als General Bounine in „Anastasia“.

Während seiner mehr als 30-jährigen Filmkarriere verheimlichte Brynner , der 1943 Amerikaner wurde, seine Roma-Herkunft nie und sah sie als positiven Teil seines Hintergrundes, auf dem er stolz insistierte. Fest steht, dass er den Kontakt zu seiner eigenen Schwester bis zum Tag seines Todes abbrach, als sie während eines Interviews pikiert behauptete „Wir haben doch kein Z******rblut“.

Als Ramses in "Die 10 Gebote"

Tatsächlich trat Brynner sogar wiederholt mit „Gypsy“-Songs auf, manchmal im Duett mit anderen Roma-Künstlern

Der Preis, den er für sein Nicht-Verstecken zahlte, war die fast ausschließliche Zuweisung exotischer Rollen. Dennoch konnte er zuweilen ausbrechen, wie etwa in „Die glorreichen Sieben“ 1960 oder in „Westworld“ 1973.

Westworld


Als Chris in "Die glorreichen 7"

In den 70iger Jahren wurde er Ehrenpräsident der International Romani Union (IRU), ein Amt dass er bis zu seinem Tode ausübte, nahm an allen ihren Weltkongressen teil, und spielte, unter Einsatz seiner ganzen Reputation, eine aktive Rolle bei den Bestrebungen der Roma, sich international zusammenzuschließen und internationale Anerkennung zu finden.
Es war auch auf einem Kongress der IRU, 1971, als die herabwürdigende Fremdbezeichnung „Z******r“/Gypsy offiziell zurückgewiesen wurde.

Hier ein Foto vom Kongress: https://2.bp.blogspot.com/.../564490_10201066429848210...

1979 war es Brynner , der erreichte, dass die UNO die International Romani Union offiziell als NGO anerkannte, hier ein Foto aus der Zeit, vor dem UN Building in New York. Es zeigt Brynner mit Aktivist Ronald Lee am 31.Mai 1978 nach der Übergabe der Petition:


Brynner , der ein äußerst begabter Photograph war, engagierte sich auch stark für Kinderrechte und Flüchtlinge, so unter anderem als Co-Autor des Bildbandes „“Bring Forth the Children: A Journey to the Forgotten People of Europe and the Middle East” in denen er seine Besuche als Aktivist in Flüchtlingscamps, die er seit 1959 regelmäßig tätigte, dokumentierte.

Von da an bis zu seinem Tod bekleidete er eine Funktion als „Special Consultant to the United Nations High Commissioner for Refugees“(siehe hier:


Er drehte auch, als Regisseur, zwei Dokumentationen, zuletzt „15 Million Men Without A Country“ (1969) um auf die unmenschliche Situation in Flüchtlingslagern, besonders das Leid der Kinder, aufmerksam zu machen.

Aufgrund seiner Freundschaft mit Chansonnier Serge Gainsbourg, wurde Yul Brynner 1971 Patenonkel von dessen neugeborener Tochter Charlotte, und Gainsbourg wiederum Patenonkel von Brynners vietnamesischer Adoptivtochter Melody.

Links Mel, rechts Melody

Obschon er , ein früherer Kettenraucher, bereits 1971 aufgehört hatte zu rauchen, wurde bei ihm Anfang 1983 Lungenkrebs diagnostiziert – inoperabel.

Trotzdem , gegen ausdrücklichen Rat der Ärzte, stand Brynner bis zur letzten Vorstellung weiter auf der Bühne und rief die Yul-Brynner-Stiftung ins Leben, die die Gefahren des Rauchens bekämpft und sich um die Erforschung von Krebs verdient gemacht hat.

Yul Brynner , der 4 Töchter und einen Sohn aus vier Ehen hinterließ, starb am 10.Oktober 1985 an Lungenkrebs, drei Monate nach seinem letzten Bühnenauftritt. 

Kathy Lee Ehefrau Nr. 4



Jacqueline de Croiset Ehefrau Nr 3


Doris Kleiner Ehefrau Nr. 2


Virginia Gilmore Ehefrau Nr. 1


Wenige Tage später wurde ein Werbespot über die Gefahren des Rauchens, produziert von der American Cancer Society, ausgestrahlt.

Man nutzte dazu einen Ausschnitt aus einem Interview für „Good Morning America“.
Brynner hatte die posthume Ausstrahlung testamentarisch verfügt:


Der Werbespot hatte einen durchschlagenden Erfolg und erregte internationales Aufsehen. Die American Cancer Society erhielt säckeweise Dankesbriefe von Leuten, denen dieser Clip die Kraft gegeben hatte endlich mit dem Rauchen aufzuhören.



„In Unforgettable Final Act, a King Got Revenge on His Killers” 
titelte später die Times.
Hier der Nachruf der New York Times:


“Wir werden alleine geboren und wir sterben alleine, alles dazwischen ist ein Geschenk"
(Yul Brynner)

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