Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Freitag, 25. Februar 2022

DER LANGE UNTERGANG DER S.S. KARNAK: KENNETH BRANAGHS “TOD AUF DEM NIL (2021)”









Kapitel 1:

»Ist das Linna Ridgeway?«

»Das ist sie!« sagte Mr. Burnaby, der Wirt der » Drei Kronen«

Er gab seinem Freund einen freundschaftlichen Stoß in die Rippen, und beide starrten mit großen Augen und offenem Mund auf den roten Rolls-Royce, der in diesem Augenblick vordem Postamt hielt. Ein Mädchen sprang heraus. Sie trug keinen Hut und ein Kleid, das – nur für Uneingeweihte – äußerst schlicht aussah. Sie hatte goldblondes Haar und regelmäßige, hochmütige Züge. Ihre Figur war makellos. So ein Mädchen sah man in Malton-under-Wode selten.

Mit schnellen, entschlossenen Schritten verschwand sie im Postamt.»Das ist sie!« wiederholte Mr. Burnaby, dann fuhr er in leisem, ehrfurchtsvollem Ton fort:

»Sie hat Millionen! Der Umbau allein kostet sie Tausende, ein Schwimmbecken läßt sie sich anlegen und einen Garten mit Fontänen und Terrassen, das halbe Haus soll abgerissen und umgebaut werden, mit einem Ballsaal …«

»Sie wird Geld unter die Leute bringen«, sagte der Freund des Wirts, ein magerer, schäbig aussehender Mann, in einem mürrischen, neidischen Tonfall.

Mr. Burnaby nickte. »Ja, für Malton-under-Wode ist es eine großartige Sache. Ganz großartig.«
»Ein kleiner Unterschied zu Sir George.«
»Die Pferde waren sein Unglück«, sagte Mr. Burnaby verständnisvoll. »Nichts als Pech hat er gehabt.«
»Wie viel hat er denn für den Kasten bekommen?«
»Runde sechzigtausend, habe ich gehört.«

Der Magere pfiff durch die Zähne.

»Und es heißt«, fuhr Mr. Burnaby auftrumpfend fort, »daß sie die gleiche Summe noch einmal hinblättern muß, bis alles fertig ist.«
»Verrückt!« sagte der Magere. »Und woher hat sie das Geld?«
»Aus Amerika anscheinend. Ihre Mutter war die einzige Tochter eines Millionärs. Wie im Film, was?«



Mit diesen Worten leitete Dame Agatha Mary Clarissa Christie, Lady Mallowan, ihren legendären Roman „Death On The Nile“ ein, der am 1. November 1937 erstmals erschien.





Nach dem enormen kommerziellen Erfolg der 1975er Verfilmung von „Mord im Orientexpress“ (http://uncahierducinema.blogspot.com/2022/01/mord-im-orientexpress-heute-eine.html), lag es nahe dass die Produzenten auf die Suche nach neuen Stoffen von Agatha Christie gingen, die sich nach demselben Muster umsetzen ließen: Ein meisterhaftes, abgründiges kriminalistisches Rätsel aufwendig an exotischen Schauplätzen mit internationalem all-star-cast und höchsten Production Values realisierbar

Man stieß auf Christies 1937 erschienen Roman „Tod auf dem Nil“, in dem erneut Privatdetektiv Hercule Poirot, ein belgischer Ex-Polizist im Exil, ermittelt. Für das Drehbuch verpflichtete man den Christie-Spezialisten Anthony Shaffer (http://uncahierducinema.blogspot.com/2017/05/a-jumped-up-pantry-boy-sleuth-mord-mit_3.html), auch Drehbuchautor von Hitchcocks „Frenzy (1972)“ und des Theaterhits „Mord mit kleinen Fehlern“ (Sleuth, 1970), und für die Regie John Guillermin, der mit „Die Brücke von Remagen (1968)“, „Flammendes Inferno (1974)“ und „King Kong (1976)“ bereits mehrere Großproduktionen hintereinander verantwortet hatte, die alle zu Publikumshits wurden.

 






Albert Finney allerdings war für die Rolle des Hercule Poirot, in der er zuletzt eine Oscar-Nominierung als Bester Hauptdarsteller errungen hatte, nicht mehr zu gewinnen. Schon bei „Mord im Orientexpress“ hatte er unter dem starken Make-Up in den engen und heißen Zug-Sets sehr gelitten; die Vorstellung dasselbe in Ägypten zu ertragen, bei 40 Grad (und höher) im Schatten, schreckte ihn von jeder weiteren Mitwirkung ab. 

Die Produzenten beschlossen daher in eine ganz andere Richtung, weg von der Physiologie der Romanfigur, zu gehen, und einen süffisanten, lebensweisen Poirot voller Esprit und Charisma zu schaffen, der durchaus larger-than-life sein durfte. Dessen kongenialen Darsteller fanden sie dann im zweifachen Oscarpreisträger Sir Peter Ustinov – der die Rolle später in noch 2 weiteren Kinofilmen („Das Böse unter der Sonne“ 1982, „Rendezvous mit einer Leiche“ 1988, beide auch noch Drehbüchern Anthony Shaffers) sowie in 3 in die Gegenwart verlegten TV-Filmen („Mord à la Carte (1985), Tödliche Parties und Mord mit verteilten Rollen“, beide 1986) spielen und prägen sollte.


Sir Peter Ustinov als "Poirot, Hercule Poirot"




Das Ergebnis war eine prächtige, sonnendurchflutete Mischung aus furiosem Whodunit und halbem Monumentalfilm in kolonialem Ambiente, an spektakulären ägyptischen Schauplätzen (Kamera: Jack Cardiff), die 2 Stunden und 14 Minuten pures, so eskapistisches wie raffiniertes Krimivergnügen der höchsten Güteklasse bot: Old fashioned im besten Sinne des Wortes, und veredelt durch die Filmmusik von Nino Rota („Der Pate (1972)“). 





Die schier einzigartige Star-Besetzung umfasste Sir David Niven, Simon MacCorkindale, Mia Farrow, Lois Chiles, Bette Davis, Dame Maggie Smith, Dame Angela Lansbury, Olivia Hussey, George Kennedy, Jane Birkin, Jack Warden, Jon Finch und Sam Wanamaker.





Starbesetzung 1978 auf dem Nil.




Die perfekte Handhabung des Genres, wie das Gespür für die brillant ausgeklügelte Vorlage, der immense äußere Aufwand, das Star-Ensemble und Ustinovs famos-vergnügliche Darbietung als Poirot, dazu das oscarprämierte Kostümdesign von Anthony Powell, machten auch „Tod auf dem Nil“ 1978 zum Hit, 41 Jahre nach Erscheinen des Buches.
 




Dem musste sich letztlich auch die – durchaus sehr gelungene – Fernsehneuverfilmung des Romans von 2004, innerhalb der Reihe „Agatha Christie's Poirot“ letztlich geschlagen geben, auch wenn David Suchet auch hier die definitive Poirot-Interpretation schlechthin lieferte.
 

Ein Jahrhundert- Poirot: David Suchet, der als einziger Schauspieler alle Fälle spielte.


Ein brillante Alternative für Hörspielfans, die gleichberechtigt neben dem Kinofilm bestehen kann, bildet übrigens die aufwendige Hörspielproduktion "Death On The Nile" von 1997, in der der fantastische John Moffat für BBC4 als Poirot brilliert: 






Und auch Kenneth Branaghs Neuverfilmung muss sich an diesem Prunkstück von einem Vorbild messen lassen. Und anders, als auf dem Maßband von Mary Poppins, liefert diese Messung leider keineswegs das Ergebnis „practically perfect in every way“….




Es lohnt sich an dieser Stelle einmal in aller Deutlichkeit herauszustellen, wie klassisches „Whodunit“ (umgangssprachlich zusammengezogen aus „Who has done it“= Wer hat es getan?) a la Agatha Christie funktioniert und wie nicht, was das literarische Lebenswerk der Christie kennzeichnet und warum.
 

Queen of Crime: Dame Agatha Mary Clarissa Christie, Lady Mallowan



Dame Agatha Christie steht in der Tradition von Sir Arthur Conan Doyle, der selbst wiederum, im Gefolge von Edgar Allan Poes frühen Detektive-Erzählungen um C. Auguste Dupin anzusiedeln ist. Doyle übernahm von Poe die Rationalität und Logik des Ermittlers und ergänzte sie um die moderne forensische Wissenschaft seiner Zeit, wie er sie selbst bei Dr. Joseph Bell gelernt hatte, und entwickelte letztlich die Methode der Deduktion. Christie baut darauf auf, und erweitert nicht nur das Raffinement der Auflösungen erheblich, sondern webt ein radikal neues, dem Klischee nach sehr weibliches, Element ein: Die fein beobachtete Psychologie der Figuren, eine Psychologie der menschlichen Abgründe, jedoch locker-flockig mit einer Prise Humor zum Dessert serviert.


Im Mittelpunkt steht stets ein absolut verblüffendes, äußerst kreativ begangenes oder sogar vermeintlich unmögliches Verbrechen, meist ein Mord, in der britischen Ober- und Mittelschicht ihrer Zeit, und, mit Fortschreiten ihres Werks häufig ein an exotischen Schauplätzen im Ausland begangener Mord, oft mit komplexen Hintergründen die in die Vergangenheit reichen. In schlanker, präziser, eleganter Sprache, setzt sie ihre stets leicht außerhalb der Klassengesellschaft stehenden Ermittler (Der Ausländer Hercule Poirot, die Rentnerin Jane Marple etc.) auf dieses Verbrechen an. In anheimelnder ,manchmal leicht gruseliger Atmosphäre machen die Ermittler stets ein größeres Ensemble an Verdächtigen aus, aus dem sich, durch die Ermittlungen, anhand von Befragungen, Indizien, Schlussfolgerungen, nach und nach ein:e Hauptverdächtig:e herauskristallisiert, der/die dann im Finale furioso, vor allen Beteiligten, im Schlußmonolog des Detektivs oder der Detektivin überraschend enttarnt und lückenlos überführt wird.


Das Christiesche „Whodunit“ ist zugleich vielschichtiger, oft boshafter und amüsanter psychologischer Krimi und ein hochintellektuelles Vergnügen des Geistes, ein komplexes Krimipuzzle auf höchstem Niveau, bei dem nicht nur Detektiv und Leser unwillkürlich gegeneinander ermitteln, wobei ihnen immer dieselben Fakten vorliegen („Fair Play Rule“), sondern auch Autor und Leser sich direkt messen, nach dem Motto „Kann ich etwas konstruieren, dass so raffiniert und elegant ist, dass ihr es nicht lösen könnt?“ Es ist, wie Christie-Spezialist Anthony Shaffer (Drehbuchautor von „Tod auf dem Nil“ 1977) in seinem Bühnenhit „Mord mit kleinen Fehlern“ treffend schreibt „the normal recreation of noble minds“.

 
Dame Agatha Christie umzingelt von ihrem Werk



Tatsächlich trieb Christie diese, von ihr selbst wesentlich entwickelte, psychologisch tiefenscharfe Version des modernen „Whodunit“ nicht nur zur absoluten Virtuosität, sondern brach sie auch, spielte sich mit ihr, unterwanderte sie mit alleräußerster Raffinesse, sei es durch eine als unmöglich geltende Erzählperspektive in ihrem Durchbruchs-Roman „Alibi“, den komplett überraschenden finalen Twist am Ende von „Die Mausefalle“ der die Sehgewohnheiten des Publikums völlig auf den Kopf stellte, oder das genialische Kabinettstück von „…und dann gab‘s keines mehr“, das nicht nur das Story-Element des Body Count einführte, sondern die Auflösung so sensationell verschlüsselte, dass man bis zum Epilog denkt, man würde niemals je erfahren können, wer der Täter war- weil es scheinbar gar keinen geben konnte.


Und weil Christie Ironikerin und eine empathische, exakte, stets wachsame Beobachterin ihrer eigenen Umwelt ist, gelingen ihr auch stets, wie nebenbei, detaillierte Porträts der zeitgenössischen britischen Klassengesellschaft, auf die ihr Blick mal voller Mitgefühl, mal belustigt und mal mit gnadenloser Unbarmherzigkeit fällt; ein Porträt ihrer Milieus und Schichten, ihrer Menschen und ihrer Sehnsüchte, ihrer dunklen Abgründe, ein reiches und vielschichtiges Panoptikum untergegangener Zeiten. Wie Anton Tschechow nur mit Handlung, sozusagen.


Tee auf der Terrasse trinken?  Phhh..... zu mickrig für Poirot.




Die Neuverfilmung von „Tod auf dem Nil“ von Kenneth Branagh, nach einem Drehbuch von Michael Green, wurde lange mit Spannung erwartet, war sie doch als direkte Fortsetzung von seinem 2017 erschienen Einstand als Hercule Poirot in „Mord im Orientexpress“ (http://uncahierducinema.blogspot.com/2017/11/der-beste-detektiv-der-welt-mord-im.html) konzipiert.


Leider, so muss gesagt werden, krankt sie an denselben Mängeln wie der Vorgänger, was gerade deshalb besonders ärgerlich ist, weil die ersten zwei Drittel des Filmes so ungelungen nicht sind, sogar äußerst vielversprechend sich einlassen, und den Zuschauer, sogar den wenig Geneigten, in die falsche Sicherheit wiegen, man könnte es diesmal tatsächlich hinbekommen haben: Eine Agatha Christie-Verfilmung fürs 20. Jahrhundert, frisch und neu für ein Publikum von heute, und doch klar in der Nachfolge einer großen Tradition.


Dramaturgisch weit gehende Eingriffe sind von Anfang an festzustellen: Wo der Originalprolog die Geschichte des Liebespaars Linnet und Simon Doyle in England erzählt, erfahren wir hier über Hercule Poirots Abenteuer im ersten Weltkrieg an der Front, seine schon damals hervorstechende Begabung, und auch den (bewegenden) Grund für seinen überdimensionierten Schnauz in dieser Inkarnation. Da sich auch der Epilog mit ihm beschäftigt und den Bogen schließt, ist der Fokus dieser Verfilmung von vornherein nicht auf den Liebenden, sondern auf dem Detektiv.


Das muss, für sich genommen, noch nichts Negatives sein.


Ein weiterer Eingriff ist, dass in diese Fassung nicht nur die Figur des Bouc – aus „Mord im Oreintexpress“ – eingebaut ist, die es in keiner der Vorlagen gibt. Eine durchaus potentiell sinnvolle Änderung ist die Tatsache, dass hier alle Reisenden auf dem Nildampfer (der hier mehr von einem viktorianischen Schloss als einem ägyptischen Raddampfer hat) Teil einer einzigen, großen Hochzeitsgesellschaft sind. Das verbindet, macht glaubwürdiger und führt lose Enden zusammen. Leider geht es auch auf Kosten der Klarheit in der Exposition der Figuren. Von vornherein hat man es hier mit einem Ensemble-Brei zu tun, in dem man sich erste einmal zurechtfinden muss, da die einzelnen Reisenden eben gerade nicht mehr nacheinander ankommen.
 

Das Ensemble von 2021



Interessant ist die multiethnischere Besetzung, die zwar ein wenig gewollt wirkt, aber auch durchaus sinnhaft unterfüttert wird: Aus dem Arzt wird ein Inder, aus dem Geschäftsführer von Linnet Ridgeway auch, und Tante und Nichte Otterbourne sind hier Schwarze Künstlerinnen aus der Liga Josephine Baker, nicht mehr Angela Lansbury und Olivia Hussey. Dadurch ergeben sich für die genannten Figuren dann allerdings auch völlig andere persönliche Hintergründe, was, bei einem Krimipuzzle diese Qualität, sagen wir, mindestens sehr riskant ist,

Andere Figuren wurden auch ersatzlos entfernt.

Ein Problem ist die Figur der Jacqueline Belfort, die von Emma Mackey zwar exquisit gespielt wird, aber eben auch, typologisch und in der Anlage, nicht mehr das harmlose Mauerblümchen ist, das von allen, einschließlich des Zuschauers, maßlos unterschätzt wird. Das verändert die psychologische Dynamik dann an einigen Stellen entscheidend.


Auf den Spuren von Simon McCorkindale und Mia Farrow....



Die ersten zwei Drittel des Films machen, trotz der Eingriffe, Hoffnung auf mehr und Lust auf den Rest. Vieles wurde richtig gemacht: Die Kameraarbeit, beim „Orientexpress“ noch zu kühl, kalt und zu stylish, hat hier die Wärme die eine Christie-Adaption braucht, die exotischen ägyptischen Schauplätze sind eine Pracht und ebenso prächtig gefilmt. Visuell ist der ganze Film de facto eine Augenweide.


Etwas von der Leichtigkeit, Spritzigkeit und Eleganz eines echten Poirot-Abenteuers wird da , in diesem Teil des Films, durchaus gekonnt verströmt, und die Atmosphäre und Dichte erinnert – trotz eines Übermaßes an Schilderung mondäner Bordaktivitäten (Die Schiffsreisenden hier sind dekadenter als auf der Titanic) und zu viel Bluesmusik - stark und schwelgerisch an die großen Christie-Verfilmungen vergangener Jahrzehnte. Bestimmte Hinweise, die später für die Auflösung große Bedeutung erlangen werden, sind glänzend und sehr exakt eingeführt.

Kenneth Branagh ist als Poirot gewachsen und deutlich besser als im Vorgänger. In den ersten zwei Dritteln erreicht er, als mehr beobachtender, denkender, ruhigerer und süffisanter Poirot an mehreren Stellen Christie-Format, und - beinahe – Suchet-Niveau. Er ist das weise, liebenswerte Genie im Hintergrund das auf seine Stunde wartet, alles mit Argusaugen beobachtet und in sich aufsaugt. Man sieht die kleinen grauen Zellen förmlich rattern. Auch in den menschelnden Momenten, wo er fast Tränen in den Augen hat, überzeugt er. Bis er, man muss es leider sagen, anfängt zu ermitteln. Denn damit beginnen die Probleme…


"The little grey cells".....auf diesem palastartigen Dampfer kommen sie nicht zum Einsatz...




Bis dahin nimmt man Einiges in froher Erwartung hin, was unpassend, doch nebensächlich scheint: Zu stark auf Actioneffekte angelegte Einsprengsel wie am Tempel von Karnak und im Kampf mit einem sich schlängelnden Beißvieh, aber auch das Schlachtengemälde aus dem Prolog. Ebenso auch eine nicht immer passgenaue, teils irritierende Filmmusik.



Es geschieht also der Mord an Linnet Ridgway-Doyle, wie aus dem Bilderbuch, bzw. dem Christie-Roman.



Hercule Poirot beginnt zu ermitteln – und der Film zu entgleisen. Und für mich beginnt das Entgleisen des Films eben schon mit der Art und Weise WIE er ermittelt. In den Romanen Agatha Christies, einschließlich „Mord im Orientexpress“ und „Tod auf dem Nil“, besteht Poirots Methode darin , ruhig, hintersinnig, Informationen zu sammeln, sie Menschen, mal subtil und mal insistent , zu entlocken, aus ihnen auf genialische Weise Schlüsse zu ziehen, und aus diesen Schlüsseln letztlich zur Auflösung zu gelangen, die er, der kleine große Belgier mit dem übergroßen Charisma, dann in einem genüsslichen Schlußmonolog vor den versammelten Verdächtigen mit Grandezza unterbreitet. Nie wird er dabei aggressiv oder übergriffig und kaum jemals schreit er jemanden an, und wirft nicht mit Verdächtigungen pro forma um sich, sondern zoomt sich - beizeiten durchaus unbarmherzig - auf den/die Täter:in ein, bis er sicher ist.

 
Ein Poirot a la Charles Bronson:  Kenneth Branagh




Branaghs Poirot in diesem Film hingegen ist plötzlich ein harter Inquisitor. Zu treibender Musik verhört er einen Verdächtigen nach dem Anderen, wobei er auf eine Weise, die dem Publikum nicht mitgeteilt oder gar aufgeschlüsselt wird, schlagartig (oder schon lange?) über die geheimen und verborgenen Hintergründe jeder Figur im Bilde ist, die vorher null thematisiert worden waren. Woher er das alles weiß oder ableitet, bleibt, wie gesagt, Mysterium.

Diese Hintergründe enthüllt er, bellt jedem Reisenden erst einmal Verdächtigungen an den Kopf und stempelt ihn oder sie zum potentiellen Mörder, dies auf einem teils beachtlichen Aggressionslevel, oft schreiend. Selten, wenn überhaupt je, war Poirot so unsympathisch und so unbeherrscht. Und leider sind diese Szenen auch noch sehr repetitiv und gleichartig. Dadurch wird das klassische Whodunit an dieser Stelle derartig schematisch, und hohl in dieser Schematik, dass diese Verhörszenen, die extrem brutal an der Grenze zur lächerlichen Selbstparodie a la Neil Simons „Eine Leiche zum Dessert“ entlang schrammen, nur durch Kenneth Branaghs Spielkunst noch vor dem totalen Absturz gerettet werden.

Bouc (Tom Bateman) und seine Mutter (Annette Benning) besichtigen Abu Simbel.



Diese Verirrung findet ihren Höhepunkt dann letztlich – Achtung SPOILER - als Poirot dem verblüfften Bouc erklärt, er sei mit einem speziellen Auftrag an Bord, erteilt von Boucs Mutter. Ein Auftrag der primär darin bestünde, auszuspionieren ob Boucs Schwarze Verlobte Rosalie Otterbourne wirklich astrein und auch gut genug für diesen sei. Nun ist es durchaus verdienstvoll auch selbstreferenziell den strukturellen Rassismus in Christies Werk zu thematisieren und kritisch offenzulegen, und auch ein Hercule Poirot des Jahres 1937 ist keinesfalls gegen rassistische Handlungsmuster gefeit. Und, ja, selbstverständlich kann das Thema sein. Was aber komplett die Poirot-Figur und ihre Schilderung im Werk-Kanon sprengt, ist die Vorstellung ein Hercule Poirot würde jemals sich für einen Auftrag dieser Art einspannen lassen, wo er, wie ein windiger Privatschnüffler, der potentiell untreuen Ehemännern nachstellt, heimlich in amourösen Dingen Leuten hinterher schnüffelt. Eine solche Vorstellung ist mit dem Poirot der Romane nicht mehr vereinbar und ist schon beinah ein Affront gegen die Würde dieses Charakters.


Schon hier und dadurch sehe ich einen massiven Verstoß gegen die Integrität des Werkes von Agatha Christie.


Überhaupt sehen wir hier wenig von klassischen Ermittlungen. Was wir stattdessen sehen, ist, wie Michael Greens Drehbuch an den Strängen zur Auflösung, genauer einigen wichtigen Nebenhandlungen rumfummelt, und zwar durchaus sehr ungekonnt. In dieser Adaption ist es nicht Miss van Schuyler die die Perlenkette stiehlt, sondern, besonders unglaubwürdig, Bouc, und es ist nicht Salome Otterbourne die erschossen wird, bevor sie den Namen des Mörders nennen kann, sondern ebenfalls Bouc, wobei das Eine zur Begründung des Anderen wird, und zwar mitten im inquisitorischen Verhör durch seinen Freund Poirot (wie eigentlich dieser ihm den Diebstahl nachweisen konnte, wird wohl auf ewig ein Geheimnis bleiben), und nach meinem Dafürhalten, sehen wir hier DIE Sollbruchstelle des Filmes, ab der er komplett zerfasert und auseinanderfällt.


Denn hier nun, wird Poirot schlagartig zu einem erstklassigen Stümper: Er zwingt Bouc zu dem Geständnis, dass, er im Rahmen des Diebstahls, den Mörder der Ridgway gesehen hat, und zwar während der Killer direkt neben ihm sitzt und zuhört, und dessen Komplize nur noch aus dem Versteck heraus abdrücken muss. Da wird der geniale Meisterdetektiv zu einem Deppen, der den eigenen Freund dem Killer auf dem Silbertablett serviert. Viel schlimmer hätte man das dramaturgisch nicht lösen können, Michael Green dekonstruiert uns hier komplett die Hauptfigur. Und er dekonstruiert sie ohne erzählerischen Gewinn genau dort, und dann, als sie triumphieren sollte.


Schlußmonolog at Gunpoint: Bruch mit Christies Werk.




Da spielt es dann auch kaum noch eine Rolle, dass der Film danach plötzlich, motiviert durch die Gewissensbisse und persönliche Betroffenheit des Detektivs, zu einem düsteren Rachethriller (mit düster-peitschender Musik) ganz im Sinne von Branaghs „Mord im Orientexpress“ wird. Ein wütender Poirot, der als Rächer übers Schiff rast, und beim Schlussmonolog die Verdächtigen mit der gezückten Waffe bedroht und in Schach hält, das ist neu, das ist eine Idee, die nicht nur nicht im Werk-Kanon von Lady Agatha vorkommt – und zwar nirgends – sondern mit ihm völlig unvereinbar ist.



Das Genre des „Whodunit“, das Agatha Christie in seiner modernen Form schuf, wesentlich prägte und erweiterte, ist eines an das man sich, filmisch und literarisch, nur dann wagen sollte, wenn man a) seine Formelhaftigkeit als sportliche Herausforderung versteht, es b) achtet und respektiert, c) die intellektuelle Befriedigung einer möglichst raffinierten und kreativen Lösung nachfühlen kann und d) es virtuos und überraschend auszuführen versteht.



Im Fall von Kenneth Branaghs „Tod auf dem Nil“, nach einem Drehbuch von Michael Green, hapert es an all diesen Punkten.


Total verhoben: Dieses Poster spielt im Design direkt auf das Filmplakat von 1978 an.....



.....wie man hier sehen kann....






In Summa:



All die schweren Fehler, die in Kenneth Branaghs „Mord im Orientexpress“ auftraten und dazu führten, dass der Tonfall der Werke Agatha Christies, wie die Typologie der Figur Hercule Poirot, komplett verfehlt wurde, ebenso wie (anders als im Roman) unausgesetzt gegen die Fair Play Rule der klassischen Detective Story verstoßen wurde, treten im letzten Drittel von „Tod auf dem Nil“, nach vielversprechendem Start erneut in schockierender Rasanz zutage und zersetzen die zugrundeliegende Erzählung für gänzlich andere Absichten. Und das ist besonders ärgerlich weil gerade hier überdeutlich wird, dass es nicht am Können mangelt, es besser zu machen, sondern schlicht und ergreifend am Wollen.


Und, leider, ist der Schauspieler Kenneth Branagh, hier, so gut er ist, nicht gut genug um den Regisseur Branagh zu retten. Branagh hat hier ein Skript vorliegen, dass, wie bei „Mord im Orientexpress“ Natur und Tonalität des Quellmaterials verkennt, und, weil es verkennt, es zu Etwas der literarischen Welt Christies Fremdes transformiert, und er selbst verfügt offenbar nicht über Gespür und Hintergrund um zu erkennen, was das Quellmaterial ihm abverlangt hätte, um seine Qualitäten erstrahlen zu lassen.

Sein „Tod auf dem Nil“ ist, wie der Vorgänger, in erster Linie eine Themaverfehlung.

 

 

 

 

 








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