Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Dienstag, 25. Januar 2022

HÖRSPIELTIPP: "DIE GRANDAUERS UND IHRE ZEIT" BR, (1979- 1984)


„Ein Meisterwerk. `Volkstheater´im ursprünglichen Sinne des Wortes“ HR2-Hörbuch-Bestenliste

„Ein Erzähl- und Hörwerk erster Güte“  FAZ
„Die bayerischen Buddenbrooks“  Christian Ude.
„Die Grandauers und ihre Zeit ist mehr als nur ein Hörspiel. Es ist ein Kunstwerk.“ Hoerspielsachen.


Mancher kennt vielleicht noch die vielfach ausgezeichnete bayerische Fernsehserie "Löwengrube" aus den späten 80iger und frühen 90iger Jahren.
Wenige wissen dass es sich dabei um ein Remake handelt; denn Grundlage und Vorläufer der Fernsehserie war eine meisterhafte 28teilige Hörspielserie des BR mit dem Titel "Die Grandauers und ihre Zeit".



Diese Serie - intensiver, dichter und, dank anderer Besetzung, auch schauspielerisch besser - liegt jetzt als komplette CD Box (mit unglaublich liebevollem Booklet) für Hörspielfans (c'est moí) vor.
Ich hab die Serie seinerzeit aus Suchtgründen komplett gehört (bis zu 3 Folgen an einem Abend) und möchte daher folgende Empfehlung abgeben:
In "Die Grandauers und ihre Zeit" stellt Autor & Erzähler Willy Purucker die Geschichte um die Familie Grandauer in der Zeit vom November 1893 bis zum April 1945 , über drei Generationen, vor dem Hintergrund der jeweiligen geschichtlichen Ereignisse dar.
Ausgehend vom Dorf - Gendarmen Ludwig Grandauer (Karl Obermayr, der Manni Kopfeck aus "Monaco Franze"), der sich von Griesbach zur Kriminaldirektion nach München hocharbeitet, nachdem er - den rigiden moralischen Vorstellungen der Zeit entsprechend - als Beamter 4 Jahre warten musste, um seine geliebte Agnes (Ilse Neubauer), eine Kellnerin, die sein uneheliches Kind Benno erwartet, endlich heiraten zu dürfen.
 

Dieser Sohn Benno (als Erwachsener, wiederum Karl Obermayr) tritt Jahrzehnte später , nach dem ersten Weltkrieg den er knapp überlebt, in seine Fußstapfen und wird ebenfalls Kriminalbeamter im Münchner Polizeipräsidium, genannt die "Löwengrube".
Er trifft auf die reiche Tochter der Musikalienhandlung Soleder, Traudl (wiederum Ilse Neubauer) und heiratet sie später. Dann folgt die Weltwirtschaftskrise und in ihrem Schatten das Heraufdämmern eines neuen Unheils, in Gestalt der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei.
Während Bennos Bruder, der Jurist Adolf Grandauer (Gerd Anthoff) sich der Bewegung begeistert anschließt, opponiert Schwager Kurt (Elmar Wepper), mit einer Jüdin verheiratet, satirisch gegen den braunen Mob......


Die einzelnen Folgen sind stets ein überaus gelungener, höchst unterhaltsamer Cocktail. Neben den gesellschaftlichen und familiären Ereignissen, oft durchsetzt mit amüsanten, humorvollen Rand-Anekdoten, ist auch meist ein spannender Kriminalfall mit verwoben, der mal Aufhänger, mal "Abrunder" des Geschilderten ist.
Es entsteht ein Sog der den Zuhörer regelrecht in längst vergangene Zeiten versinken lässt. Oft sind kostbarste dokumentarische Originalmaterialien eingebaut z.B. die erste je in Bayern ausgestrahlte, versuchsweise Radioübertragung, Original - Radionachrichten aus der Zeit, und Zitate aus der Presse und kriminalistischen Ermittlungsprotokollen realer Fälle.

Bemerkenswert sind neben Puruckers enormem erzählerischem Atem (und ungeheurer Rechercheleistung) auch das großartige Lokalkolorit und die ungeheuer genau getroffenen Milieus (dazu trägt auch die brillante Musik von Filmkomponist Rolf Wilhelm bei), bis hin zur bewussten Nutzung verschiedener bayerischer Dialektstufen und sogar der Entwicklung des vielschichtigen Idioms über die Zeit, sowie die große atmosphärische Dichte.


Weitere Qualitätsmerkmale sind der perfektionistische Einsatz des Raumklangs (so hat z.B. eine Szene in der Grandauerschen Wohnung eine völlig andere Akustik, als eine in den Hallen des Polizeipräsidiums, auf einem Bauernhof oder dem Oktoberfest 1919), die wohltuende Ironie der von Purucker gesprochenen Erzählertexte, und die brillanten Sprecherleistungen, die - ohne jede dumpfe Volkstümelei - die 28 Folgen zu einem gewaltigen, hypnotischen Zeitpanorama machen, einem mitreißenden, ja unwiderstehlichen, Parforce Ritt durch 50 Jahre bayrische Geschichte.
Ein Ritt, der den Zuhörer - völlig unaufdringlich - erkennen lässt, was sonst verborgen bleibt, nämlich die großen Linien geschichtlicher Entwicklung die sich aus dem Alltag unendlich vieler einzelner Familien als großes Ganzes herausschälen.

Einziges größeres Manko: Die Geschichte der Grandauers sollte eigentlich bis in die 50iger Jahre forterzählt werden, der frühe Tod von Hauptdarsteller Karl Obermayr machte dem einen Strich durch die Rechnung und so endet die Serie mit der dann unvorhergesehen letzten Folge, die das Kriegsende 1945 thematisiert, etwas abrupt.


Neben den bayerischen Schauspielerlegenden Toni Berger, Gustl Bayrhammer und Fritz Straßner die - unvergesslich - in großen durchlaufenden Nebenrollen zu hören sind und Willy Purucker selbst, der als Erzähler auftritt, stellt auch der Rest der Sprecher - Besetzung bis in die kleinste Nebenrolle ein who is who der bayerischen Schauspielerelite der 80iger Jahre dar:
 
Heide Ackermann, Hans Baur, Christiane Blumhoff, Marianne Brandt, Helmut Fischer, Julia Fischer (Tochter von Komödienstadl - Erfinder Olf Fischer), Otfried Fischer, Walter Fitz, Mona Freiberg, Max Grießer, Erich Hallhuber, Willy Harlander, Bernd Helfrich, Wilfried Klaus, Gerhart Lippert, Werner Stocker ,Franziska Stömmer ,Karl Tischlinger ,Georg Einerdinger, Werner Asam, Werner Rom, Hans Stadtmüller, Alexander Malachovsky, Udo Wachtveitl (Kinderrolle) und sogar der spätere Homer Simpson Sprecher Norbert Gastell, sowie zahllose Weitere.

Regie führte TV-Legende Rainer Wolffhardt (https://www.imdb.com/name/nm0938352/)
Die Musik komponierte Filmkomponist Rolf A. Wilhelm (https://www.imdb.com/name/nm0006340/)
Die 28teilige Radioserie wurde zwischen 1980 und 1985 im Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt und sorgte für ein großes Fan - Echo.
 
Hier eine Episodenliste:
1. Einquartierung (Oktober/November 1893)
2. Haberfeldtreiben (Winter 1893/1894 – Frühsommer 1894)
3. Hochzeit (August 1897)
4. München (Ende September 1902)
5. Schneebälle (Januar 1905)
6. Krise (November 1906)
7. Abgründe (Juni 1910)
8. Abschied (Dezember 1912)
9. Todestage (Juni 1914)
10. Generationswechsel (Februar 1920)
11. Verwicklungen (Oktober 1920)
12. Konsequenzen (April 1921)
13. Junigewitter (Juni 1923)
14. Umzüge (November 1923 – März 1924)
15. Ehrengäste (Mai 1925)
16. Aschermittwoch (Februar 1927)
17. Wetterwechsel (Oktober 1929)
18. Notverordnungen (November 1931)
19. Morgenrot (Januar 1933)
20. Volkswillen (März 1933)
21. Frühlingsanfang (März 1933)
22. Heimtücke (Oktober 1935)
23. Tauwetter (Februar 1936 – März 1936)
24. Gewalttäter (September 1938 – November 1938)
25. Wehrübung (August 1939 – September 1939)
26. Vorsehung (November 1939)
27. Sitzkrieg (November 1939)
28. Fasanenjagd (Dezember 1940 – April 1945.

Einer der größten Liebhaber der Geschichte war der Intendant des BR selbst, der dafür sorgte, dass die Serie für das Fernsehen adaptiert wurde.
Unter dem Titel "Löwengrube" gewann diese Serie , dann mit Jörg Hube (dessen Figur dann zu Ehren Karl Obermayrs in "Karl Grandauer" umgetauft wurde) und Christine Neubauer (damals noch gut) in den Hauptrollen, zahlreiche renommierte Fernsehpreise, darunter den Adolf-Grimme-Preis. In der Fernsehserie konnte Willy Purucker die Handlung dann bis ins Adenauer - Deutschland weiterspinnen.

Fazit: Mit weitem Abstand eine der besten Produktionen die der bayerische Rundfunk je ausgestrahlt hat und auch eine der eindrucksvollsten Leistungen deutscher Hörspielgeschichte schlechthin. Ein MUST HEAR für alle

- Hörspielliebhaber
- Fans hochklassiger bayerischer Schauspielkunst.
- Fans der Fernsehserie "Löwengrube"
- Fans historischer Stoffe

Unten ein nettes "Familienfoto" der Hauptsprecher (von links):
Ilse Neubauer, Willy Purucker, Karl Obermayr, und Franziska Stömmer (spricht Oma Soleder):




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