Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Sonntag, 16. Januar 2022

Licht im Dunkel




LICHT IM DUNKEL
(THE MIRACLE WORKER)


„LICHT IM DUNKEL (THE MIRACLE WORKER)“ von 1962
 mit ANNE BANCROFT UND PATTY DUKE.



Regie Arthur Penn
Drehbuch William Gibson
Produktion Fred Coe
Musik Don Costa,
Laurence Rosenthal,
Arthur Siegel
Kamera Ernesto Caparrós
Schnitt Aram Avakian


Besetzung

Anne Bancroft: Anne Sullivan
Patty Duke: Helen Keller
Victor Jory: Arthur Keller
Inga Swenson: Kate Keller
Andrew Prine: James Keller
Kathleen Comegys: Tante Ev



Wir befinden uns im Jahr 2022

Nur wenige Jahre zuvor, 2018, gab die AFD (hier der Verband Nordrhein-Wesfalen) allen Ernstes Sätze von sich wie „Die AfD wird das rot-grüne Inklusionskonzept als ideologischen Irrweg stoppen!“. Und sie steht immer noch dazu.
Anlass genug sich einmal ganz massiv bewusst zu machen, was hier eigentlich „gestoppt“ werden, welcher unendlich lange und unendlich mühsame Weg hier zurückgegangen werden soll. Und Grund genug zurück für einen demütigen Blick auf die Anfänge.


Eine der wichtigsten Geschichten die dort zu erzählen sind, ist die Geschichte von Helen Keller. Und nie wurde diese schier unglaubliche Geschichte eindrucksvoller erzählt, als in der mitreißenden Verfilmung des Bühnenstücks „The Miracle Worker“


„The Miracle Worker“ ist ein Drama von Willam Gibson, das am 19 Oktober 1959 im Payhouse Theatre am New Yorker Broadway seine vielbejubelte Premiere feierte und 719 Vorstellungen lang vor ausverkauften Häusern gespielt wurde – bis Juli 1961. Das Stück basiert eng auf der Autobiographie „The Story Of My Life“ von Helen Keller.
 
Es beschreibt den entscheidenden Abschnitt in Kellers Kindheit. Am 27. Juni 1880 in Tuscumbia Alamba geboren, wurde Keller im Alter von 19 Monaten aufgrund einer Kinderkrankheit taub und blind. Damals ein Todesurteil, das normalerweise für die Betroffenen dazu führte in einer Irrenanstalt unter menschenunwürdigsten Umständen, ohne jede Hilfe, bis zu einem frühen Tod zu vegetieren. Nur dem Umstand, dass Helen aufgeklärtere Eltern hatte und ihr Vater wohlhabender Zeitungsverleger war, verdankt sie ihr Überleben.

Die ersten sieben Jahre ihrer Existenz verbrachte Keller (Patty Duke) ohne jede Möglichkeit der Kommunikation, eingeschlossen in innerer Dunkelheit, ohne jedes Verständnis für das Konzept der Sprache. Später nannte sie sich im Rückblick in dieser Zeit „Phantom“ da ihre Eigenidentität noch nicht entwickelt war. In der damaligen Zeit galt es als unmöglich ein so stark behindertes Kind zu unterrichten oder auch nur zu erziehen. Helens letzte Chance war die Perkins Schule für Blinde in Boston, die seinerzeit einzige staatliche Blindenschule in den USA.
 
Diese Schule sandte 1887 eine Lehrerin nach Tuscumbia, die 21-jährige Irin Annie Sullivan (Anne Bancroft), die jahrelang selbst blind gewesen und im Armenhaus aufgewachsen war. Sullivan war ihrem Schicksal nur deshalb entkommen, weil sie es im Alter von 8 Jahren fertig brachte ihren todkranken Bruder zurückzulassen und sich einem staatlichen Inspizienten, der das Armenhaus alle 5 Jahre kontrollierte, auf einem Rundgang bemerkbar zu machen.
Jetzt war sie, nach einer OP sehend, selbst Lehrerin. Es war ihre erste Stelle.

Anne Bancroft und Patty Duke

 
Niemand hatte zuvor versucht, einem taubblinden Kind Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, da keiner wusste wie der Kontakt herzustellen war. Die temperamentvolle, knallharte Sullivan sollte in einem ungeheuren Gewaltakt, der Geschichte schrieb, beweisen, dass es möglich war. Sie brachte ein von Mönchen mit Schweigegelübde entwickeltes Fingeralphabet mit, das man in die Hand buchstabieren konnte und verleitete die hochbegabte Helen dazu die Bewegungen zu imitieren.
Zwei Monate lang kam es zwischen dem völlig verwilderten, auf fast tierhaftem Niveau lebenden Mädchen, dass sich nur durch Schlagen, Kratzen und Beißen mitteilen konnte und der als Bedrohung empfundenen Lehrerin zu einem leidenschaftlichen , hochintensiven, teils körperlichem Ringen um die Seele eines Menschen, um den einzigen Schlüssel aus der ewigen Nacht: Sprache.
EIN Wort!“ so Sullivan im Stück zu ihrer, in eigener Welt gefangener, Schülerin „Ein einziges Wort und ich könnte die ganze Welt in deine Hände legen. Und was immer es mir bedeutet – ich werde weniger niemals akzeptieren

Mit schier übermenschlicher Geduld, und in ständiger Auseinandersetzung mit Kellers zu nachgiebigen Eltern, gelang Sullivan mit eiserner Härte und tiefer Zuneigung zu ihrer Schülerin, der Durchbruch: Im August 1887 sprach und buchstabierte Helen Keller ihr erstes verstandenes Wort – und hatte damit den Schlüssel zur Welt der Worte in der Hand.
Der Rest war Geschichte. Helen Keller wurde unterrichtet, lernte lesen und schreiben, holte nicht nur die Schulbildung nach, sondern absolvierte mit Sullivans Hilfe, die ihr Millionen von Wörtern in die Hand buchstabierte, als erster taubblinder Mensch ein Hochschulstudium (Abschlüsse in Deutsch und Englisch) und wurde eine gefeierte Schriftstellerin. Ihr Leben lang war Keller eine leidenschaftliche Advokatin & Aktivistin die sich für die Rechte tauber und blinder Menschen einsetzte. Als sie 1968 hochbetagt starb, war sie der berühmteste behinderte Mensch der Welt.

„The Miracle Worker“ fokussiert auf den Kampf um den Durchbruch zum ersten Wort. Die Bühnenfassung , inszeniert von Arthur Penn (der 1967 mit „Bonnie und Clyde“ berühmt wurde) , wurde mit minutenlangen frenetischen Standing Ovations gefeiert und gewann vier Tony Awards (Bestes Drama, Beste Hauptdarstellerin: Anne Bancroft, Beste Regie und Beste Bühnentechnik), die damals 13-jährige Patty Duke erhielt den Theatre World Award als Beste Nachwuchsdarstellerin für die Rolle der Helen Keller



Die Kinoverfilmung des Stücks von 1962, für United Artists, die alle späteren Remakes um Klassen überragt, ist ein Meisterwerk und hat die Besonderheit, dass neben der kompletten Bühnenbesetzung auch der Kostümbildner, Ausstatter, Produzent und Regisseur der Theaterfassung am Werk waren.
 
Sie ist nicht nur, dank Kameramann Ernest Caparros, visuell absolut betörend und filmisch brillant und hat eine bemerkenswert intime Filmmusik von Laurence Rosenthal, sondern Arthur Penns sensationell intensive Inszenierung, die fast ohne Exposition auskommt, den Zuschauer von Beginn an in eine emotionale Achterbahnfahrt stürzt, verweigert sich mit äußerster Kompromisslosigkeit jedem Kitsch, jeder Sentimentalität, jedem Melodrama und erreicht eben dadurch eine enorme emotionale Wucht; sie wird getragen von dem umwerfenden Zusammenspiel von Anne Bancroft und Patty Duke, in zwei der eindrucksvollsten Darstellerleistungen, die je auf der Leinwand zu sehen waren. 

Anna Bancroft wurde 1963 als Beste Hauptdarstellerin mit dem Oscar ausgezeichnet, Patty Duke als Beste Nebendarstellerin.

Patty Duke überwand später auch im wahren Leben ein Schicksal against all odds und wurde zur Inspiration für viele Betroffene. Die Schauspielerin, Mutter von Sean Astin, den Meisten bekannt als Sam Gamdschie in „Herr der Ringe“, litt – wie ihr Umfeld - lange unter unkontrollierbaren Stimmungsschwankungen und Episoden die sich jeder Erklärung entzogen, es kam zu mehreren Suizidversuchen.

 
Erst 1982, mit 36 Jahren, wurde bei ihr eine bipolare Störung diagnostiziert. Statt die „mental illness“ wie in der Branche üblich zu verheimlichen, outete sie sich bereits 1987 in ihrer Autobiographie „Call me Anna“ als erste Prominente als manisch depressiv, und wurde, während sie dank Therapie und Medikation weiter erfolgreich als Schauspielerin arbeitete, zur Aktivistin und sehr öffentlichen Gallionsfigur für die Enttabuisierung psychischer Erkrankungen, besonders bipolarer Störungen, und die Unterstützung psychisch kranker Menschen.
 
Sie setzte sich vor dem Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika ein und arbeitete mit dem National Institute of Mental Health und der National Alliance on Mental Illness, um die Aufmerksamkeit, Finanzierung und Forschung für Menschen mit psychischen Erkrankungen zu erhöhen. Im Jahr 2007 erschien Duke in der Oprah Winfrey Show und sprach über ihre bipolare Störung.
 
Sie starb 2016 im Alter von nur 69 Jahren.

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