Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Freitag, 21. Januar 2022

"DR.JEKYLL UND MR. HYDE" (1931) – MEISTERSTÜCK MIT RASSISTISCHEN UNTERTÖNEN.

 



Vor kurzem begann ich mir aus einem ganz neuen Blickwinkel über einen meiner Lieblingsfilme Gedanken zu machen, und möchte das Ergebnis meiner Überlegungen gern hier einbringen, vielleicht entsteht ja einen spannende Diskussion daraus.

Zumal ich mir unsicher bin ob meine Auffassung nicht vielleicht auf Weißem Privileg gründet. Es geht um den bedeutenden Gruselklassiker „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ von 1931, nach der Novelle von Robert Louis Stevenson.


TRAILER:

https://www.youtube.com/watch?v=sjNtluvxZBI&ab_channel=ClassicClips  


Hier übrigens einige Protagonisten in einer Drehpause, genauer Teepause, am Set. Von links nach rechts sind zu sehen: Fedric March als Mr. Hyde, Regisseur Rouben Mamoulian und Miriam Hopkins (als Ivy):




Erstmal zu den filmhistorischen Hintergründen:




Diese erste symbolistisch geprägte Tonfilmfassung der berühmten Story um den Londoner Arzt der sich vermittels Drogen in sein böses Ich verwandelt, besticht durch ihre optische Brillanz in Karl Struss genialer Kameraführung, die in allen Bereichen bahnbrechend und der Zeit weit voraus war, durch die atmosphärische Dichte, grandioses Dekor, das exquisite, nur gelegentlich gestelzte Drehbuch, und meisterhafte - selbst heute noch überzeugende - Tricktechnik in den spektakulären Verwandlungsszenen.



Ein Mann und sein Trank:  Jekylls erste Verwandlung in Mr. Edward Hyde


„Dr.Jekyll und Mr.Hyde“ von Rouben Mamoulian verfügte über mehr als eine halbe Million Dollar Budget, was seinerzeit astronomisch hoch war, etwa das doppelte Budget, das James Whale im selben Jahr für „Frankenstein“ mit Boris Karloff zur Verfügung stand. Die Set Designs (Jekylls Laboratorium, Die Gassen Sohos im Studio, Hydes Wohnung im East End, der Londoner Hyde Park, das verraucht-verwinkelte Pub in dem „Champagne Ivy“ auftritt) sind extrem aufwendig, ein viktorianisches London im Studio erschaffen - bildgewaltig, unendlich detailbesessen und expressionistisch angehaucht.





Ein Londoner Slum-Hinterhof des 19. Jahrhunderts, nachgebaut im 
Filmstudio in LA




Um die visuelle Brillanz und die bahnbrechende Innovationskraft dieses Films voll würdigen zu können, muss man sich bewusst machen, dass er 1931 entstand, also gerade mal 4 Jahre nach „The Jazz Singer“ und damit dem endgültigen Durchbruch des noch jungen Tonfilms. Zu dieser Zeit steckte dieses de facto neue Filmmedium, der Tonfilm, noch in den Kinderschuhen, was zu sehr starken Einschränkungen führte:



Rouben Mamoulian (Mitte) 1931 bei Dreharbeiten. Man beachte die 
enorme Größe der Kamera


Die riesigen Kameras waren noch sehr laut, ihr Surren wurde von den Mikros mitaufgezeichnet, daher mussten sie mit einem speziellen Gehäuse ummantelt werden, das die Eigengeräusche unterdrückte. Dadurch waren sie aber noch unbeweglicher als ohnehin. Zudem wusste man anfangs nicht, wo die Mikros anzubringen waren, versteckte sie oft in Säulen und Blumentöpfen, um die die Schauspieler gruppiert werden mussten und sich nicht wegbewegen durften, da sie sonst unhörbar wurden. Brachte man die Mikros dagegen versteckt in der Kleidung an, hörte man plötzlich nur noch deren Knittern oder den Herzschlag der Darsteller. Dazu mussten Kamera und separate Tonaufzeichung (ganz am Anfang wurde die Tonspur noch auf Platten gepresst) in exakt identischer Frequenz aufgezeichnet - und später auch abgespielt - werden, damit beides überhaupt zusammenpassen konnte.



Sensationelle Kamera-Arbeit: Jekylls Tod wird gedreht.



Erst wenn man diese Hindernisse kennt, kann man ermessen, wie unvorstellbar es 1931 gewesen sein muss, dass wir hier eine unfassbar moderne, dynamische Kameraarbeit sehen, die lange Plansequenzen in der Subjektive zeigt, offenbar auf unbekannte Weise mit - damals an sich noch nicht existierender - Handkamera gefilmt, aber auch komplexe Kamerafahrten, extrem ausgeklügelte Schwenks, inclusive rasend schnelle 360 Grad Schwenks, und sogar mehrfach Split Screen, eine Technik die in dieser radikalen Form erst Ende der 60iger Jahre wieder aufgegriffen werden sollte.



Der Zeit um drei Jahrzehnte voraus: Split Screen in Jekyll und Hyde (1931)



Künstlerischer Höhepunkt aber ist die grandiose, nachgerade athletische Performance von Fredric March, am Broadway zum Charakterdarsteller gereift, in der Dopplerolle. March, bis dahin fast nur als jugendlicher Liebhaber eingesetzt, bewies in dieser brillantesten Verfilmung der Stevenson-Novelle, erstmals sein volles dramatisches Potential im Kino.



Fredric March als Dr. Jekyll (links) und Edward Hyde (rechts)

 

Später sollte er, als Willy Loman in der Ur-Verfilmung von „Tod eines Handlungsreisenden“ (1951, Darstellerpreis der Filmfestspiele von Venedig), in seiner oscarprämierten Darstellung im Nachkriegsdrama „Die besten Jahre unseres Lebens (1946)“ und als Spencer Tracys bigotter Gegenspieler im Gerichtsdrama „Wer den Wind sät“ (1960, Darstellerpreis der Filmfestspiele von Berlin) als großer Schauspieler in die amerikanische Geschichte eingehen.


Fredric March probt mit Regisseur Rouben Mamoulian




In der Doppelrolle, unterstützt von einer sensationellen Make-Up Leistung von Wally Westmore, setzte er den Maßstab, der Vorgänger John Barrymore (1920) und bislang alle Nachfolger in den Schatten stellte: March gewann für die spektakuläre Performance den Oscar als Bester Schauspieler und den Darstellerpeis (Volpi Cup) bei den ersten Filmfestspielen von Venedig (1932), wo es auch den Goldenen Löwen für den besten Film gab.



John Barrymore 1920 als spinnenafter Mr. Hyde.

 

Oscarnominiert waren auch die grandioseKamerarbeit von Karl Struss (er hat schon in der 1924er Verfilmung von „Ben Hur“ überragendes geleistet, ebeso wie 1927 für Murnaus „Sunrise“ und später für „Im Zeichen des Kreuzes (1933)“, Chaplins „Der große Diktator“ und Kurt Neumanns Original von „Die Fliege“, 1958) und das adaptierte Drehbuch.



Dr. Jekylls Labor als aufwendiges Filmset




Zu Recht gilt diese Fassung neben Jean Renoirs Fernsehadaption "Das Testament des Dr. Cordelier (1959)" mit Jean Louis Barrault als die deutlich beste Verfilmung des Stoffs.

Das liegt sehr wesentlich auch daran, dass das Drehbuch von Percy Heath und Samuel Hoffenstein eine bahnbrechende Dramaturgie entwickelt, die über die literarische Vorlage (Hier eine Zusammenfassung der Original-Novelle als Playmobil-Kurzfilm: https://www.youtube.com/watch?v=3N0PeE8fTEg&ab_channel=SommersWeltliteraturtogo ) , aber auch die populäre Bühnenfassung von 1887, hinausgeht, und die gesamte Filmgeschichte hindurch definiert hat und definiert wie diese Story filmisch zu erzählen ist:



Fredric March, Miriam Hopkins und Rouben Mamoulian bei einer Leseprobe mit dem Drehbuch
von Percy Heath und Samuel Hoffenstein




Die detektivische Erzählstruktur ist aufgegeben, Dr. Lanyon und der Rechtsanwalt Utterson der Novelle entsprechend zu einer einzigen Figur verschmolzen, wir identifizieren uns ganz mit Dr. Henry Jeykll, dessen untergründige, quasi-sexuelle Motivation hier stärker als je zuvor und danach herausgearbeitet ist, der Film liefert uns eine quasifreudianische Deutung voller untergründiger Symbolik...



Einer der Symbolismen des Filmes: Hyde im Endkampf während das sinbildliche
Höllenfeuer schon im Kessel lodert.





Der Jekyll des Filmes ist nicht mehr rein der gute Forscher und Halbgott in Weiß, der das gute und das böse Ich des Menschen trennen will, um Moral und Anstand zum Durchbruch zu verhelfen, vielmehr will er die dionysische, triebhafte, böse Seite des Menschen aus den Zwängen des gesellschaftlichen Korsetts befreien. Er mag sich nicht völlig bewusst darüber sein, so fahrlässig, übermütig, mit Liebe zum Risiko, wie wir ihn hier erleben.



Leseprobe mit Fredric March, R. Mamoulian, Miriam Hopkins und Halliwell Hobbes





Getrieben aus der Sehnsucht nach seiner Verlobten Muriel, die sein Schwiegervater ihm aber entzieht, und der Unmöglichkeit als renommierter Gentleman ins Londoner Nachtleben einzutauchen, um in den Pubs und Freudenhäusern von Soho seine Triebe zu kompensieren, wird seine aktuelle Forschung zur tödlichen Verlockung: Als sein böses Ich, Hyde, kann er seine interdrückte Libido aber auch seine unterdrückte Grausamkeit voll ausleben – bis die Verwandlung zum Selbstläufer wird, über den Jekyll die Kontrolle verliert…



Anzüglicher Promo-Shoot: Fredric March als Dr.Jekyll und Miriam
Hopkins als Ivy



Weitere Beachtung verdient neben der dichten, symbolistischen Inszenierung von Rouben Mamoulian auch die sehr starke, vibrierend intensive Leistung von Miriam Hopkins als Ivy. Diese erregte seinerzeit auch durchaus Anstoß.Es handelt sich um einen sogenannten pre-code-Film, entstanden also in der Zeit vor dem Hays Code, der freiwilligen Selbstverpflichtung der US Filmwirtschaft, die Sitte und Moral filmischer Darstellung reglementierte und stark einschränke. Dementsprechend waren hier Dinge zeigbar, die zwei, drei Jahre später schon illegal gewesen wären: Miriam Hopkins schaukelnder Fuß mit – Skandal! – Strumpfband, ihr nackter Körper unter der Bettdecke als Jekyll sie behandeln will, laszive erotische Anspielungen auf Sex und Sadismus allenthalben.



Das Bein des Anstoßes: Miriam Hopkins verführerisches Gliedmaß.





Die Spezialeffekte sind den 30-iger Jahren weit voraus und streckenweise auch heute noch absolut verblüffend.

Bei den Gesichtszügen von March, die sich vor laufender Kamera, ohne Schnitt, verändern und wandeln, für das Publikum der 30iger absolut unerklärlich, handelt es sich um einen alten Variete-Trick. Der Regisseur; Rouben Mamoulian, stammte aus dem Varieté.




 

Die Augen, Lippen und Nasenumrundungen waren schon vorher mit infraroter Schminke aufgetragen, darüber legte man einen Rotlichtfilte, so verschwanden diese Elemente für den Zuschauer (wäre das ein Farbfilm wäre das ganze Bild an diesen Stellen rot), währed die Kamera lief und March die Verwandlung spielte, wurden die Rotfilter dann gaaaanz langsam, sukzessive weggeblendet und stattdessen Grünfilter drüber gelegt: 

So erschienen, wie von Geisterhand, die vorgeschminkten Stellen: 



Jede der Verwandlungen ist dabei ein eigenes kleines, dramaturgisch durchgetaktetes, Spektakel, jede anders filmisch aufgelöst, anders choreografiert, derselbe technische Trick, dieselbe visuelle Idee wird nie zweimal hintereinander angewendet, jedesmal verwandelt sich Jekyll in eine neue, leicht abgeänderte Stufe der Hyde Transformation. Der Zuschauer wird jedesmal, wie bei einem begnadeten Bühnenmagier, mit einer neuen Attraktion verblüfft und überrascht.



Verwandlung im Hyde-Park: Bis heute absolut verblüffend.





Fredric Mach beschreibt die Tortur, durch die er auch mehrfach im Krankenhaus landete (so durch eine frühere Prothese aus flüssigem Latex), zum Beispiel so:

„Ich musste jeden Morgen um fünf Uhr aufstehen, um um sechs Uhr im Studio zu sein“, sagte March zu Ed Sullivan für seine Zeitungskolumne vom 14. Juni 1938. „Wally Westmore fing sofort bei meinen Augen an. Zuerst hat er mir Kollodium unter die Augen geschmiert, damit kein Schweiß durchkommt. Dann hat er den unteren Teil des Auges mit Stücken chirurgischer Watte beschwert, um den Augapfel aufzubrechen. Die Idee war, dass sich die Augen jedes Mal, wenn ich sprach, zu einem unnatürlichen Grinsen öffneten. Um dies zu erreichen, befestigte er Fäden aus Baumwolle an den Wangen und band sie unter meinem Kinn fest. Infolgedessen wurde das untere Augenlid jedes Mal, wenn ich meinen Mund öffnete, einen Zoll nach unten gezogen. Damals war es schrecklich, aber es ist interessant, darauf zurückzublicken.“



Erhält kein Foto von Heidi Klum: Mr. Hyde.



NUR: In der fraglichen Szene ist March noch normal, blickt runter auf die Hände, die Kamera schwenkt ohne Schnitt mit, die Hände verändern sich durch Kontrastfilter, und die Kamera schwenkt hoch und er ist voll verwandelt.

Trotzdem scheint da kein Schnitt zu sein.

Tatsächlich hat man dort einen Schnitt so sensationell kaschiert, dass er erst seit dem Computer-Zeitalter sichtbar ist.

Wenn sich Marchs Gesicht verwandelt (mit dem Infrarot-Trick) und die Kamera unten auf die Hände schwenkt, haben Kameramann Struss und Regisseur Rouben Mamoulian einen Schnitt eingebaut – IM Reißschwenk, bei laufender Bewegung. Wenn man es ungeheuer langsam abstoppt, kann man es erahnen. Der Schwenk wurde dann noch einmal vollführt, mit einem March der dazwischen 4-Stunden umgeschminkt worden war, den kompletten Hyde-Kopf trägt, seine Hände waren ebenfalls vorgeschminkt – mit den erwähnten Filtern (+ Kontrastfilter) ließ man die Hände sich verwandeln und dann, tatsächlich ohne weiteren Schnitt, wurde hochgeschwenkt.

Der doppelte Schwenk wurde so perfekt (auf die Bewegung!!) montiert, dass der Schnitt beim Runterschwenken auf die Hände völlig unsichtbar ist. Erst heutzutage wo wir das frame-by-frame abstoppen können, wird erahnbar wo der Schnitt sitzen muss. Nämlich dort wo man ihn nicht sucht, weil er da technisch fast unmöglich ist.


Maskenbilnder-Legende Rick Baker (https://en.wikipedia.org/wiki/Rick_Baker) schwärmt über das Make-Up von "Dr-Jekyll und Mr. Hyde" von 1931:





WARUM ICH IM TITEL VON RASSISTISCHEN UNTERTÖNEN SPRECHE?



Früher Stand des Hyde-Make-Ups.


Nun, es wurde bereits seit Ende der 60iger Jahre die, womöglich nicht unberechtigte Anschuldigung erhoben, die schreckliche Hyde Figur – deren Make Up, entworfen von Wally Westmore, über den Verlauf des Filmes immer extremer wird – sei mit rassistischen Klischees und Stereotypen gestaltet. Gerade weil die Spezialeffekt-Seite des Films eine Variete-Herkunft hat, wo damals die rassistischen Minstrel Shows mit hemmungslosem Blackfacing noch immer üblich waren, lässt sich dies nicht ganz von der Hand weisen:







Hyde hat eine breite Nase, eine Art vorgeschobenes Maul mit Reißzähnen, einen gedrungenen Neandertaler-artigen Kopf, hervorgewölbte Augen mit buschigen Brauen, und in den frühen Szenen auch scheinbar gekräuseltes Haar, das später geglättet wirkt, bevor es gegen Ende zur wilde Mähne verkommt . Das alles verleiht ihm eine affenartige Erscheinung, und March verleiht ihm auch solche körperlichen Manierismen, macht ihn zu einem behänden Kletterer und Springer – hier zeigt March übrigens überragende Körperlichkeit und Athletik auf fast artistischem Stand.

Auf der anderen Seite ist aber auch der Hautton von Hyde deutlich abgedunkelt, wenn auch nicht auf Blackface-Level. Im Film selbst, im groben, satten damaligen Schwarzweiß wird es nicht so sehr auffällig, man nimmt es kaum bewusst wahr, aber auf Standfotos, besonders den Nachcolorierten wird es sehr sichtbar.....







Schwarzes Biest und Weiße Frau?




Ein wilder, primitiver, animalischer, affenartiger Mann mit dunkler Haut, in den frühen Verwandlungsstufen durchaus afrikanisch angehaucht, der, zu allem Überfluss in Ivy Pierson eine blass-weiße, blonde, blauäugige Frau begehrt….das wirft schon sehr massive Fragen auf, da entstehen, ob gewollt oder ungewollt, ähnlich wie in „King Kong und die weiße Frau“ rassistisch konnotierte oder konnotierbare Bilder.

Es entsteht – ob so gewollt oder nicht – der visuelle Ausdruck einer rassistischen Urangst: Die vor der gemischtethnischen Liebe und ihren physischen Folgen. Dieses Thema „Weiße Schönheit und Schwarzes Biest“ ist zu alt, zu tief eingegraben ins kollektive Bewusstsein, als dass der Umstand, ob die Bilder mit Vorsatz oder nicht erzeugt worden sind, eine Rolle spielen könnte oder dürfte.




Fredric March und Rouben Mamoulian: Unbewusst rassistische Muster?



Diese unselige Matrix ist in dem Film auf jeden Fall vorhanden.

Es ist schlicht nicht von der Hand zu weisen, dass March als Hyde entweder einen Affenmenschen, einen Neandertaler oder die rassistische Verzeichnung eines Schwarzen Wilden spielt, nur verweigert das Make-Up von Westmore, auch weil es über den Film hinweg, aus dramaturgischen Gründen, mutiert, eine eindeutige Festlegung was nun genau.

Verbal allerdings gibt es keinerlei Anspielungen auf Hydes Ethnie oder Hautfarbe. Ein Grundbewusstsein für eine mögliche Problematik scheint allerdings vorhanden gewesen zu sein, denn auf den damaligen Postern vermied man es, Hyde eine menschliche Hautfarbe zu geben, und verlieh ihm eher grünliche Züge.





Insofern würde ich hier – ungeachtet der künstlerischen Qualität des Films – eindeutig die Auffassung vertreten, dass er rassistische Untertöne hat, und rassistisch konnotierte Bilder beschwört, ob es sich dabei nun um Absicht gehandelt haben mag oder nicht; es ist ein Eindruck der zwangsläufig entsteht, den man zugelassen hat, und den man vor dem Hintergrund der Zeit keinesfalls einfach abtun kann.




Fredric March, Rose Hobart, Rouben Mamoulian und Miriam Hopkins bei der Leseprobe




Trotzdem, und für mich rettet das ein Stück weit den Film (aber eben, wohlgemerkt, für mich als Weißen Zuschauer. Schwarze Menschen sind unter Umständen ganz anderer Ansicht), ist auch eine andere Lesart möglich, wie wir heute den Film betrachten können OHNE ihn primär als Rassismus lesen zu müssen.

Denn:

Hyde ist keine eigene Persönlichkeit.

Sie ist das was IN Dr. Jekyll steckt, sein Innenleben. Was in uns allen steckt.

So wie Neandertaler-Gene, deren Erbgut ja im Homo Sapiens aufging, auch in uns allen stecken. Betrachtet man das Ganze aus dieser Warte, bekommt die Handlung einen anderen Blickwinkel, dann wird sie zu einer Geschichte über Determination, über die generelle Tierhaftigkeit des Menschen, über Urinstinkte.





ODER, NOCH MODERNER:


Man kann, aus heutigem Blickwinkel, das gilt sicher nicht für 1931, noch eine andere Deutung herauslesen…….

....der Weiße Dr. Jekyll verwandelt sich, unter Einfluss des Serums, in die Schreckensfantasie eines jeden Rassisten, die stereotype Klischees bedient und auslebt – die Phantasien eines Weißen Mannes, mind you – jedoch über den Verlauf des Films eine zunehmend a n d e r e Ausprägung mit zunehmend hellerer Haut erhält, und sich am Ende, in der postmortalen letzten Verwandlung wieder als der Weiße Londoner Arzt entpuppt….


.....unter DIESEM Blickwinkel könnte man den Film sogar als Metapher des strukturellen Rassismus der in uns allen schlummert lesen, eine Metapher mit fast satirischem Twist.


Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass Rouben Mamoulian diese moderne Deutung gefallen würde, immerhin inszenierte er 1935 die Welturaufführung von „Porgy und Bess“ am Broadway (http://www.ibdb.com/production.asp?ID=11998) – die erste Broadway-Produktion mit einer rein afroamerikanischen Besetzung.



***


BONUS:   


Am 19. November 1950 strahlte CBS Radio in der Reihe "Theatre Guild On The Air" eine Hörpsielfassung von "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" aus.

Beide Hauptrollen sprach Fredric March.


Das Hörspiel ist komplett erhalten und kann hier gehört werden:

https://ia803408.us.archive.org/0/items/TheaterGuildontheAir/Tgoa_50-11-19_ep050-Dr_Jekyll_and_Mr_Hyde.mp3



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